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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Thomas Bailey Aldrich

der Humorist Aldrich sein Bestes. Die Situationskomik ist oft überwältigend,
dazu kommt ein sehr gewühlter Stil mit feinen, kleinen Wortwitzen, die in der
Übersetzung leider nicht wiederzugeben sind. Dennoch ist es dankenswert, daß manche
seiner Novelletten in deutscher Übersetzung zugänglich sind,*) denn sie gehören
zu dem besten, was der amerikanische Humor uns geschenkt hat. Dem deutschen
Leser wird ihre Komik sympathischer sein als die Mark Twains. Aldrich ist
weniger trocken und nicht so grotesk wie Mark Twain oder Artemus Ward.
Des neuenglischen Dichters Freude am Komischen bleibt immer anmutig, sie be¬
wegt sich in zierlichen Tanzschritten und verzichtet auf die tollen Kapriolen, an
denen man in Amerika soviel Gefallen findet. Und irgendein verborgnes
Winkelchen ist immer vorhanden, wo weichere Töne den Leser ansprechen; die
kommen geradeswegs aus dem goldnen Herzen des warmfühlenden Optimisten,
der Elend und Leid nie als die Hauptsache im Leben sah. Einige seiner größern
Romane (?ruäsne,e ?inter<zzs, Ins Le.iI1og.ehr IraMä^, IKs (Zuseii ot Ldsdg.)
bewegen sich auf der Grenze des Tragischen, aber des Dichters letztes Wort
ist immer versöhnend.

An psychologischer Feinheit steht die zuerst genannte Erzählung Wohl am
höchsten. Es ist ein überaus anziehendes Idyll aus einer neuenglischen Klein¬
stadt mit ihren Alltagssorgen, ihren kleinen Freuden und Leiden, die sich unter
wohlgehütetem altvüterischem Dekorum kaum recht ans Licht wagen, bis aus
einer neuentdeckten Goldregion der frischere Wind abenteuerlustigen Wagemuth
hineinbläst. Da zieht denn Jack Dent hinaus in die Rocky Mountains, in der
Hoffnung, mit goldner Beute heimzukehren, um als würdiger Freier vor seine
geliebte Prue treten zu können. Und ob auch das Mädchen ihm kaum ein
Zeichen ihrer Zuneigung gibt, wartet sie doch drei lange Jahre auf ihn und
läßt sich weder durch die falsche Nachricht von seinem Tode noch durch das
Erscheinen eines andern Freiers irre machen. Zwar dieser, Ehrwürden Mr.
Dillingham, ist ein gefährlicher Rivale. An des verstorbnen Pastor Hawkins
Stelle gerückt, hat er sich die Herzen von Rivermouth im Sturm erobert; durch
seine Predigten wird die Gemeinde von Tag zu Tag frommer, und die jungen
Damen bezeigen ihm ihre Verehrung in Gestalt von ungezählten gestickten Pan¬
toffeln. Schließlich wird ihm aber infolge von Jack Dents Rückkehr der Boden
in Rivermouth zu heiß, was bei seiner Vorgeschichte nicht weiter verwunderlich
ist. Denn er hat in seiner, dieser geistlichen Episode vorangegangnen Laufbahn
als Goldgräber "Cook Dick" alias George Nevins verschiedne Heldentaten auf
dem Kerbholz, die selbst den Bürgern von Rivermouth ihren Pastor verleiden
würden. Einige seiner Streiche kann Jack Dent erzählen, denn er hat in per¬
sönlichen Beziehungen mit jenem gestanden und hat allen Grund, das zu be¬
dauern. Als er aber erfährt, daß seinem Rivalen das reine Gold in Prues
Herzen unerreichbar geblieben ist, erweist er sich als echtes Kind der Aldrichschen



*) Leipzig, Fr. Wilh. Grunow, und Halle, Otto Hendel.
Thomas Bailey Aldrich

der Humorist Aldrich sein Bestes. Die Situationskomik ist oft überwältigend,
dazu kommt ein sehr gewühlter Stil mit feinen, kleinen Wortwitzen, die in der
Übersetzung leider nicht wiederzugeben sind. Dennoch ist es dankenswert, daß manche
seiner Novelletten in deutscher Übersetzung zugänglich sind,*) denn sie gehören
zu dem besten, was der amerikanische Humor uns geschenkt hat. Dem deutschen
Leser wird ihre Komik sympathischer sein als die Mark Twains. Aldrich ist
weniger trocken und nicht so grotesk wie Mark Twain oder Artemus Ward.
Des neuenglischen Dichters Freude am Komischen bleibt immer anmutig, sie be¬
wegt sich in zierlichen Tanzschritten und verzichtet auf die tollen Kapriolen, an
denen man in Amerika soviel Gefallen findet. Und irgendein verborgnes
Winkelchen ist immer vorhanden, wo weichere Töne den Leser ansprechen; die
kommen geradeswegs aus dem goldnen Herzen des warmfühlenden Optimisten,
der Elend und Leid nie als die Hauptsache im Leben sah. Einige seiner größern
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bewegen sich auf der Grenze des Tragischen, aber des Dichters letztes Wort
ist immer versöhnend.

An psychologischer Feinheit steht die zuerst genannte Erzählung Wohl am
höchsten. Es ist ein überaus anziehendes Idyll aus einer neuenglischen Klein¬
stadt mit ihren Alltagssorgen, ihren kleinen Freuden und Leiden, die sich unter
wohlgehütetem altvüterischem Dekorum kaum recht ans Licht wagen, bis aus
einer neuentdeckten Goldregion der frischere Wind abenteuerlustigen Wagemuth
hineinbläst. Da zieht denn Jack Dent hinaus in die Rocky Mountains, in der
Hoffnung, mit goldner Beute heimzukehren, um als würdiger Freier vor seine
geliebte Prue treten zu können. Und ob auch das Mädchen ihm kaum ein
Zeichen ihrer Zuneigung gibt, wartet sie doch drei lange Jahre auf ihn und
läßt sich weder durch die falsche Nachricht von seinem Tode noch durch das
Erscheinen eines andern Freiers irre machen. Zwar dieser, Ehrwürden Mr.
Dillingham, ist ein gefährlicher Rivale. An des verstorbnen Pastor Hawkins
Stelle gerückt, hat er sich die Herzen von Rivermouth im Sturm erobert; durch
seine Predigten wird die Gemeinde von Tag zu Tag frommer, und die jungen
Damen bezeigen ihm ihre Verehrung in Gestalt von ungezählten gestickten Pan¬
toffeln. Schließlich wird ihm aber infolge von Jack Dents Rückkehr der Boden
in Rivermouth zu heiß, was bei seiner Vorgeschichte nicht weiter verwunderlich
ist. Denn er hat in seiner, dieser geistlichen Episode vorangegangnen Laufbahn
als Goldgräber „Cook Dick" alias George Nevins verschiedne Heldentaten auf
dem Kerbholz, die selbst den Bürgern von Rivermouth ihren Pastor verleiden
würden. Einige seiner Streiche kann Jack Dent erzählen, denn er hat in per¬
sönlichen Beziehungen mit jenem gestanden und hat allen Grund, das zu be¬
dauern. Als er aber erfährt, daß seinem Rivalen das reine Gold in Prues
Herzen unerreichbar geblieben ist, erweist er sich als echtes Kind der Aldrichschen



*) Leipzig, Fr. Wilh. Grunow, und Halle, Otto Hendel.
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[0311] Thomas Bailey Aldrich der Humorist Aldrich sein Bestes. Die Situationskomik ist oft überwältigend, dazu kommt ein sehr gewühlter Stil mit feinen, kleinen Wortwitzen, die in der Übersetzung leider nicht wiederzugeben sind. Dennoch ist es dankenswert, daß manche seiner Novelletten in deutscher Übersetzung zugänglich sind,*) denn sie gehören zu dem besten, was der amerikanische Humor uns geschenkt hat. Dem deutschen Leser wird ihre Komik sympathischer sein als die Mark Twains. Aldrich ist weniger trocken und nicht so grotesk wie Mark Twain oder Artemus Ward. Des neuenglischen Dichters Freude am Komischen bleibt immer anmutig, sie be¬ wegt sich in zierlichen Tanzschritten und verzichtet auf die tollen Kapriolen, an denen man in Amerika soviel Gefallen findet. Und irgendein verborgnes Winkelchen ist immer vorhanden, wo weichere Töne den Leser ansprechen; die kommen geradeswegs aus dem goldnen Herzen des warmfühlenden Optimisten, der Elend und Leid nie als die Hauptsache im Leben sah. Einige seiner größern Romane (?ruäsne,e ?inter<zzs, Ins Le.iI1og.ehr IraMä^, IKs (Zuseii ot Ldsdg.) bewegen sich auf der Grenze des Tragischen, aber des Dichters letztes Wort ist immer versöhnend. An psychologischer Feinheit steht die zuerst genannte Erzählung Wohl am höchsten. Es ist ein überaus anziehendes Idyll aus einer neuenglischen Klein¬ stadt mit ihren Alltagssorgen, ihren kleinen Freuden und Leiden, die sich unter wohlgehütetem altvüterischem Dekorum kaum recht ans Licht wagen, bis aus einer neuentdeckten Goldregion der frischere Wind abenteuerlustigen Wagemuth hineinbläst. Da zieht denn Jack Dent hinaus in die Rocky Mountains, in der Hoffnung, mit goldner Beute heimzukehren, um als würdiger Freier vor seine geliebte Prue treten zu können. Und ob auch das Mädchen ihm kaum ein Zeichen ihrer Zuneigung gibt, wartet sie doch drei lange Jahre auf ihn und läßt sich weder durch die falsche Nachricht von seinem Tode noch durch das Erscheinen eines andern Freiers irre machen. Zwar dieser, Ehrwürden Mr. Dillingham, ist ein gefährlicher Rivale. An des verstorbnen Pastor Hawkins Stelle gerückt, hat er sich die Herzen von Rivermouth im Sturm erobert; durch seine Predigten wird die Gemeinde von Tag zu Tag frommer, und die jungen Damen bezeigen ihm ihre Verehrung in Gestalt von ungezählten gestickten Pan¬ toffeln. Schließlich wird ihm aber infolge von Jack Dents Rückkehr der Boden in Rivermouth zu heiß, was bei seiner Vorgeschichte nicht weiter verwunderlich ist. Denn er hat in seiner, dieser geistlichen Episode vorangegangnen Laufbahn als Goldgräber „Cook Dick" alias George Nevins verschiedne Heldentaten auf dem Kerbholz, die selbst den Bürgern von Rivermouth ihren Pastor verleiden würden. Einige seiner Streiche kann Jack Dent erzählen, denn er hat in per¬ sönlichen Beziehungen mit jenem gestanden und hat allen Grund, das zu be¬ dauern. Als er aber erfährt, daß seinem Rivalen das reine Gold in Prues Herzen unerreichbar geblieben ist, erweist er sich als echtes Kind der Aldrichschen *) Leipzig, Fr. Wilh. Grunow, und Halle, Otto Hendel.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/311>, abgerufen am 01.09.2024.