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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Gebit und Kapitalismus

Verständnis für die finanzielle Basierung des Staatskörpers. Bei den Gleichnissen
von den Talenten, vom ungerechten Haushalter gibt er über Segen und Un-
segen richtiger und falscher Kapitalwirtschaft eine heute noch als Maxime
durchaus giltige Norm. Der Mann mit seinen fünf erworbnen Talenten ist
ein respektabler Unternehmer und erwirbt sich damit den Himmel. Bei dem
Gleichnis vom Verlornen Sohne, vom Weinbergbesitzer, vom Perlenhändler,
vom Weizenbauern, der großmütig das Unkraut erträgt, haben wir doch ein
Gefühl fast behaglicher, unreslektierter Anerkennung dieser solid veranlagten
Kapitalisten, die ihre Werte umsetzen, und denen Gewinn und Verlust nicht
gleichgiltig ist.

Aus allen diesen Worten Christi über Kapitalwirtschaft kann man auch
für die kompliziertesten modernen Geldverhältnisse Maximen zu sittlichem Handeln
finden. Ich glaube, daß die Theologen und die Ethiker hier noch nicht alle
Arbeit geleistet haben. Ich glaube nicht, daß es nötig ist, Christi Stellung zum
Geldbesitz aus seiner transzendenten Weltanschauung heraus als befangen zu
erklären. Ich glaube, daß da der Ebionitismus, die Armut der urchristlicher
Gemeinde, manches Wort erst antikapitalistischer gedeutet hat, als Jesus es
meinte.

Aber die transzendente Weltstimmung Christi als Ganzes ist allerdings
ein wesentlicher Zusatz zur allgemeinen Menschheitsmoral geworden. Tranb
hätte das vielleicht noch etwas schärfer herausheben können. Ich möchte sagen:
Der Begriff Gotteskindschcift hat zwei Seiten: eine immanente: gleiche Brüderlich¬
keit der Menschen -- und ein übersinnliches Bürgertum in der übersinnlichen
Welt. Unter dem sittlichen Gedanken der Gleichberechtigung schaffen wir Kultur¬
werte. Die Arbeit an ihnen ist uns Lebensinhalt und Aufgabe. "Aber, sagt
Traub, die Freiheit zu solcher Mitarbeit, die dauernde Freude daran gewinnt
er nur, wenn er noch höhere Werte kennt."

Das Kapitel: Moral und Christentum gehört zu den tiefsten Partien des
geistvollen Buches. Traub anerkennt unumwunden die Komödie sittlicher
Irrungen, die ohne viel Wissen und Kunst auch im "Christentum" und seiner
Geschichte offenliegen. Aber vergessen wir nie, daß die "modernen sittlichen
Begriffe der "Persönlichkeit" und "Verantwortlichkeit" in letzter Linie auf das
Lebensbild Christi zurückführen". Auch die Zurückweisung der Kulturseligkeit,
die Betonung der höhern Werte, moderne Mystik und Metaphysik finden in
der Religion Christi ihren Boden.

Traub will Grenzen zwischen Christi Weltbild und unsern sittlichen
modernen Ordnungen erkennen, die Christus von unserm modernen industriellen
Zeitalter trennen. Er sagt: "Es wird auch der besten Exegese nie gelingen,
Christus und das moderne industrielle Zeitalter einander so anzunähern, daß
die beiden einander etwas deutliches zu sagen hätten. ... Jesus sagt nichts über
Kredit- und Bankwesen, über Industrie, Handel und Ackerbau als volkswirt¬
schaftliche Größen. Er sah keine Panzerflotte und hörte keinen Kanonendonner.


Gebit und Kapitalismus

Verständnis für die finanzielle Basierung des Staatskörpers. Bei den Gleichnissen
von den Talenten, vom ungerechten Haushalter gibt er über Segen und Un-
segen richtiger und falscher Kapitalwirtschaft eine heute noch als Maxime
durchaus giltige Norm. Der Mann mit seinen fünf erworbnen Talenten ist
ein respektabler Unternehmer und erwirbt sich damit den Himmel. Bei dem
Gleichnis vom Verlornen Sohne, vom Weinbergbesitzer, vom Perlenhändler,
vom Weizenbauern, der großmütig das Unkraut erträgt, haben wir doch ein
Gefühl fast behaglicher, unreslektierter Anerkennung dieser solid veranlagten
Kapitalisten, die ihre Werte umsetzen, und denen Gewinn und Verlust nicht
gleichgiltig ist.

Aus allen diesen Worten Christi über Kapitalwirtschaft kann man auch
für die kompliziertesten modernen Geldverhältnisse Maximen zu sittlichem Handeln
finden. Ich glaube, daß die Theologen und die Ethiker hier noch nicht alle
Arbeit geleistet haben. Ich glaube nicht, daß es nötig ist, Christi Stellung zum
Geldbesitz aus seiner transzendenten Weltanschauung heraus als befangen zu
erklären. Ich glaube, daß da der Ebionitismus, die Armut der urchristlicher
Gemeinde, manches Wort erst antikapitalistischer gedeutet hat, als Jesus es
meinte.

Aber die transzendente Weltstimmung Christi als Ganzes ist allerdings
ein wesentlicher Zusatz zur allgemeinen Menschheitsmoral geworden. Tranb
hätte das vielleicht noch etwas schärfer herausheben können. Ich möchte sagen:
Der Begriff Gotteskindschcift hat zwei Seiten: eine immanente: gleiche Brüderlich¬
keit der Menschen — und ein übersinnliches Bürgertum in der übersinnlichen
Welt. Unter dem sittlichen Gedanken der Gleichberechtigung schaffen wir Kultur¬
werte. Die Arbeit an ihnen ist uns Lebensinhalt und Aufgabe. „Aber, sagt
Traub, die Freiheit zu solcher Mitarbeit, die dauernde Freude daran gewinnt
er nur, wenn er noch höhere Werte kennt."

Das Kapitel: Moral und Christentum gehört zu den tiefsten Partien des
geistvollen Buches. Traub anerkennt unumwunden die Komödie sittlicher
Irrungen, die ohne viel Wissen und Kunst auch im „Christentum" und seiner
Geschichte offenliegen. Aber vergessen wir nie, daß die „modernen sittlichen
Begriffe der »Persönlichkeit« und »Verantwortlichkeit« in letzter Linie auf das
Lebensbild Christi zurückführen". Auch die Zurückweisung der Kulturseligkeit,
die Betonung der höhern Werte, moderne Mystik und Metaphysik finden in
der Religion Christi ihren Boden.

Traub will Grenzen zwischen Christi Weltbild und unsern sittlichen
modernen Ordnungen erkennen, die Christus von unserm modernen industriellen
Zeitalter trennen. Er sagt: „Es wird auch der besten Exegese nie gelingen,
Christus und das moderne industrielle Zeitalter einander so anzunähern, daß
die beiden einander etwas deutliches zu sagen hätten. ... Jesus sagt nichts über
Kredit- und Bankwesen, über Industrie, Handel und Ackerbau als volkswirt¬
schaftliche Größen. Er sah keine Panzerflotte und hörte keinen Kanonendonner.


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[0304] Gebit und Kapitalismus Verständnis für die finanzielle Basierung des Staatskörpers. Bei den Gleichnissen von den Talenten, vom ungerechten Haushalter gibt er über Segen und Un- segen richtiger und falscher Kapitalwirtschaft eine heute noch als Maxime durchaus giltige Norm. Der Mann mit seinen fünf erworbnen Talenten ist ein respektabler Unternehmer und erwirbt sich damit den Himmel. Bei dem Gleichnis vom Verlornen Sohne, vom Weinbergbesitzer, vom Perlenhändler, vom Weizenbauern, der großmütig das Unkraut erträgt, haben wir doch ein Gefühl fast behaglicher, unreslektierter Anerkennung dieser solid veranlagten Kapitalisten, die ihre Werte umsetzen, und denen Gewinn und Verlust nicht gleichgiltig ist. Aus allen diesen Worten Christi über Kapitalwirtschaft kann man auch für die kompliziertesten modernen Geldverhältnisse Maximen zu sittlichem Handeln finden. Ich glaube, daß die Theologen und die Ethiker hier noch nicht alle Arbeit geleistet haben. Ich glaube nicht, daß es nötig ist, Christi Stellung zum Geldbesitz aus seiner transzendenten Weltanschauung heraus als befangen zu erklären. Ich glaube, daß da der Ebionitismus, die Armut der urchristlicher Gemeinde, manches Wort erst antikapitalistischer gedeutet hat, als Jesus es meinte. Aber die transzendente Weltstimmung Christi als Ganzes ist allerdings ein wesentlicher Zusatz zur allgemeinen Menschheitsmoral geworden. Tranb hätte das vielleicht noch etwas schärfer herausheben können. Ich möchte sagen: Der Begriff Gotteskindschcift hat zwei Seiten: eine immanente: gleiche Brüderlich¬ keit der Menschen — und ein übersinnliches Bürgertum in der übersinnlichen Welt. Unter dem sittlichen Gedanken der Gleichberechtigung schaffen wir Kultur¬ werte. Die Arbeit an ihnen ist uns Lebensinhalt und Aufgabe. „Aber, sagt Traub, die Freiheit zu solcher Mitarbeit, die dauernde Freude daran gewinnt er nur, wenn er noch höhere Werte kennt." Das Kapitel: Moral und Christentum gehört zu den tiefsten Partien des geistvollen Buches. Traub anerkennt unumwunden die Komödie sittlicher Irrungen, die ohne viel Wissen und Kunst auch im „Christentum" und seiner Geschichte offenliegen. Aber vergessen wir nie, daß die „modernen sittlichen Begriffe der »Persönlichkeit« und »Verantwortlichkeit« in letzter Linie auf das Lebensbild Christi zurückführen". Auch die Zurückweisung der Kulturseligkeit, die Betonung der höhern Werte, moderne Mystik und Metaphysik finden in der Religion Christi ihren Boden. Traub will Grenzen zwischen Christi Weltbild und unsern sittlichen modernen Ordnungen erkennen, die Christus von unserm modernen industriellen Zeitalter trennen. Er sagt: „Es wird auch der besten Exegese nie gelingen, Christus und das moderne industrielle Zeitalter einander so anzunähern, daß die beiden einander etwas deutliches zu sagen hätten. ... Jesus sagt nichts über Kredit- und Bankwesen, über Industrie, Handel und Ackerbau als volkswirt¬ schaftliche Größen. Er sah keine Panzerflotte und hörte keinen Kanonendonner.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/304>, abgerufen am 01.09.2024.