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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Lthik und Kapitalismus

5. Sittlich ist, wer das Ideal der Gemeinschaft freier Menschen verwirk¬
lichen will. Damit erreicht der bisher formale Begriff des Sittlichen seinen
Inhalt: gut, sittlich ist, was der Gemeinschaft dient.

Traub versteht unter Christentum die religiösen Zentralgedanken Jesu, wie
sie uns durch Reformation und Aufklärungszeit in neuem Gewände zugeführt
wurden. Die leitenden Ideen sind: Sündenvergebung und Gotteskindschaft.
scheinbare theologische unfruchtbare Schlagwörter, und doch die fruchtbarsten
Elemente zur Vertiefung und Durchführung selbständiger Moral. Es ist hier un¬
möglich, die feinen Auffassungen Traubs auch nur übersichtlich zu geben. Ich
verweise auf das Buch und nenne nur die Resultate: Sündenvergebung ist
sittliche Reformation, Mut, Freude zu neuer Tat mitten im Irren, ohne be¬
dingende Fessel und Brandmarkung. Gotteskindschaft ist Gleichheit aller vor
Gott. Das Neue in Christo ist nicht dieser Gedanke, sondern die Tat der Ver¬
brüderung mit den Menschen, anhebend bei den Ausgestoßenen. "Der indi¬
viduelle Menschenwert als Postulat sittlichen Denkens ist mit dem Leben Christi
engstens verbunden." Der christliche Gedanke der sozialen Gleichheit behält
aber seine Höhe dadurch, daß er nicht mechanisch quantitativ die Menschen
gleichstellen will, sondern nur nach der qualitativen Wertung ihrer Gesinnung.
Traub Hütte auch noch darauf hinweisen können, daß damit aller utopistischen
Nenformierung anarchistischer Gelüste im Namen Christi die Spitze abge¬
brochen ist. Aber damit ist der Wert Christi sür die soziale Ethik noch nicht er¬
schöpft; er gab ihr nicht nur zwei neue religiöse Güter, er gab dazu auch noch
das Mittel, diese sich anzueignen -- er gab eine neue Pädagogik. Er entband
die Großmacht der Liebe als höchste sittliche Energie. Göttliche Liebe erzieht
den Charakter zu sittlicher Freiheit, sie macht alle die Tugenden wirksam, die
soziales Wirken erheischt. Christus gab keine Regeln und Gesetze, weder für den
Bankier, noch den Politiker, noch den Handwerker, noch den Kirchenmann.
Er gab allen Lebenskreisen der Menschheit die sittliche Aufgabe, an der Hand
seiner Grundsätze Ewigkeitsprobleme mit irdischem Material zu lösen. Immer
werden Versuche frommer Menschen nötig sein, die uns sagen wollen, wie
Jesus heute handeln würde. Nur müssen fromme Leute aus allen Berufs¬
schichten gehört werden. Der Theologe selbst ist wohl der am wenigsten taug¬
liche zu solcher Arbeit!

Es ist eine weitverbreitete Ansicht unter Theologen, daß Christus von
einer Menge sittlicher Interessen, die die moderne Kultur auslöst, keine Vor¬
stellung gehabt habe. Auch Traub ist teilweise dieser Ansicht. Ich kann das
nicht finden. Vor allem wird Christi Ablehnung gegen das Geld, gegen die
Kapitalisten als beschränkt richtig empfunden gerade für unsre Zeit. Aber
einmal weist Christus in seinem Verkehr mit einer Anzahl vermögender Leute
durchaus unbefangne Objektivität auf -- so gegen Zachüus, Nikodemus, Joseph
von Arimathia, Simon usw. Wenn er dem Kaiser geben will, was des Kaisers
ist, so zeigt er inmitten eines korrupten Steuersystems doch ein geistvolles


Lthik und Kapitalismus

5. Sittlich ist, wer das Ideal der Gemeinschaft freier Menschen verwirk¬
lichen will. Damit erreicht der bisher formale Begriff des Sittlichen seinen
Inhalt: gut, sittlich ist, was der Gemeinschaft dient.

Traub versteht unter Christentum die religiösen Zentralgedanken Jesu, wie
sie uns durch Reformation und Aufklärungszeit in neuem Gewände zugeführt
wurden. Die leitenden Ideen sind: Sündenvergebung und Gotteskindschaft.
scheinbare theologische unfruchtbare Schlagwörter, und doch die fruchtbarsten
Elemente zur Vertiefung und Durchführung selbständiger Moral. Es ist hier un¬
möglich, die feinen Auffassungen Traubs auch nur übersichtlich zu geben. Ich
verweise auf das Buch und nenne nur die Resultate: Sündenvergebung ist
sittliche Reformation, Mut, Freude zu neuer Tat mitten im Irren, ohne be¬
dingende Fessel und Brandmarkung. Gotteskindschaft ist Gleichheit aller vor
Gott. Das Neue in Christo ist nicht dieser Gedanke, sondern die Tat der Ver¬
brüderung mit den Menschen, anhebend bei den Ausgestoßenen. „Der indi¬
viduelle Menschenwert als Postulat sittlichen Denkens ist mit dem Leben Christi
engstens verbunden." Der christliche Gedanke der sozialen Gleichheit behält
aber seine Höhe dadurch, daß er nicht mechanisch quantitativ die Menschen
gleichstellen will, sondern nur nach der qualitativen Wertung ihrer Gesinnung.
Traub Hütte auch noch darauf hinweisen können, daß damit aller utopistischen
Nenformierung anarchistischer Gelüste im Namen Christi die Spitze abge¬
brochen ist. Aber damit ist der Wert Christi sür die soziale Ethik noch nicht er¬
schöpft; er gab ihr nicht nur zwei neue religiöse Güter, er gab dazu auch noch
das Mittel, diese sich anzueignen — er gab eine neue Pädagogik. Er entband
die Großmacht der Liebe als höchste sittliche Energie. Göttliche Liebe erzieht
den Charakter zu sittlicher Freiheit, sie macht alle die Tugenden wirksam, die
soziales Wirken erheischt. Christus gab keine Regeln und Gesetze, weder für den
Bankier, noch den Politiker, noch den Handwerker, noch den Kirchenmann.
Er gab allen Lebenskreisen der Menschheit die sittliche Aufgabe, an der Hand
seiner Grundsätze Ewigkeitsprobleme mit irdischem Material zu lösen. Immer
werden Versuche frommer Menschen nötig sein, die uns sagen wollen, wie
Jesus heute handeln würde. Nur müssen fromme Leute aus allen Berufs¬
schichten gehört werden. Der Theologe selbst ist wohl der am wenigsten taug¬
liche zu solcher Arbeit!

Es ist eine weitverbreitete Ansicht unter Theologen, daß Christus von
einer Menge sittlicher Interessen, die die moderne Kultur auslöst, keine Vor¬
stellung gehabt habe. Auch Traub ist teilweise dieser Ansicht. Ich kann das
nicht finden. Vor allem wird Christi Ablehnung gegen das Geld, gegen die
Kapitalisten als beschränkt richtig empfunden gerade für unsre Zeit. Aber
einmal weist Christus in seinem Verkehr mit einer Anzahl vermögender Leute
durchaus unbefangne Objektivität auf — so gegen Zachüus, Nikodemus, Joseph
von Arimathia, Simon usw. Wenn er dem Kaiser geben will, was des Kaisers
ist, so zeigt er inmitten eines korrupten Steuersystems doch ein geistvolles


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[0303] Lthik und Kapitalismus 5. Sittlich ist, wer das Ideal der Gemeinschaft freier Menschen verwirk¬ lichen will. Damit erreicht der bisher formale Begriff des Sittlichen seinen Inhalt: gut, sittlich ist, was der Gemeinschaft dient. Traub versteht unter Christentum die religiösen Zentralgedanken Jesu, wie sie uns durch Reformation und Aufklärungszeit in neuem Gewände zugeführt wurden. Die leitenden Ideen sind: Sündenvergebung und Gotteskindschaft. scheinbare theologische unfruchtbare Schlagwörter, und doch die fruchtbarsten Elemente zur Vertiefung und Durchführung selbständiger Moral. Es ist hier un¬ möglich, die feinen Auffassungen Traubs auch nur übersichtlich zu geben. Ich verweise auf das Buch und nenne nur die Resultate: Sündenvergebung ist sittliche Reformation, Mut, Freude zu neuer Tat mitten im Irren, ohne be¬ dingende Fessel und Brandmarkung. Gotteskindschaft ist Gleichheit aller vor Gott. Das Neue in Christo ist nicht dieser Gedanke, sondern die Tat der Ver¬ brüderung mit den Menschen, anhebend bei den Ausgestoßenen. „Der indi¬ viduelle Menschenwert als Postulat sittlichen Denkens ist mit dem Leben Christi engstens verbunden." Der christliche Gedanke der sozialen Gleichheit behält aber seine Höhe dadurch, daß er nicht mechanisch quantitativ die Menschen gleichstellen will, sondern nur nach der qualitativen Wertung ihrer Gesinnung. Traub Hütte auch noch darauf hinweisen können, daß damit aller utopistischen Nenformierung anarchistischer Gelüste im Namen Christi die Spitze abge¬ brochen ist. Aber damit ist der Wert Christi sür die soziale Ethik noch nicht er¬ schöpft; er gab ihr nicht nur zwei neue religiöse Güter, er gab dazu auch noch das Mittel, diese sich anzueignen — er gab eine neue Pädagogik. Er entband die Großmacht der Liebe als höchste sittliche Energie. Göttliche Liebe erzieht den Charakter zu sittlicher Freiheit, sie macht alle die Tugenden wirksam, die soziales Wirken erheischt. Christus gab keine Regeln und Gesetze, weder für den Bankier, noch den Politiker, noch den Handwerker, noch den Kirchenmann. Er gab allen Lebenskreisen der Menschheit die sittliche Aufgabe, an der Hand seiner Grundsätze Ewigkeitsprobleme mit irdischem Material zu lösen. Immer werden Versuche frommer Menschen nötig sein, die uns sagen wollen, wie Jesus heute handeln würde. Nur müssen fromme Leute aus allen Berufs¬ schichten gehört werden. Der Theologe selbst ist wohl der am wenigsten taug¬ liche zu solcher Arbeit! Es ist eine weitverbreitete Ansicht unter Theologen, daß Christus von einer Menge sittlicher Interessen, die die moderne Kultur auslöst, keine Vor¬ stellung gehabt habe. Auch Traub ist teilweise dieser Ansicht. Ich kann das nicht finden. Vor allem wird Christi Ablehnung gegen das Geld, gegen die Kapitalisten als beschränkt richtig empfunden gerade für unsre Zeit. Aber einmal weist Christus in seinem Verkehr mit einer Anzahl vermögender Leute durchaus unbefangne Objektivität auf — so gegen Zachüus, Nikodemus, Joseph von Arimathia, Simon usw. Wenn er dem Kaiser geben will, was des Kaisers ist, so zeigt er inmitten eines korrupten Steuersystems doch ein geistvolles

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/303>, abgerufen am 01.09.2024.