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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Lthik und Kapitalismus

"Wie wirkt der Kapitalismus auf die sittliche Haltung des Volks? Sehen wir
dieselben Erscheinungen in allen Ländern, wo er eingesetzt hat, oder müssen die
ethischen Zustände der Völker aus andern Verhältnissen abgeleitet werden? Ist
es möglich, eine bestimmte Wirtschaftsweise für sittliche Folgen verantwortlich
zu machen? Steht die Technik der Gütererzeugung und Güterverteilung in
einem faßbaren Zusammenhang mit dem Gewissen einer Nation? Überragen
nicht die Einflüsse des Klimas, der Rasse, der geschichtlichen Erziehung, der
politischen Stellung so sehr, daß wir das Konto, welches für die volkswirt¬
schaftlichen Einflüsse in Betracht kommt, gar nicht reinlich ausscheiden können?"

Ethik und Volkswirtschaft haben es ja doch mit ein und demselben Menschen
zu tun. Man soll nicht sagen, der Fabrikherr, der Arbeiter -- und die Ethik
sind zweierlei Dinge. Ich möchte noch schärfer als Trcmb von vornherein be¬
tonen, daß eben tatsächlich beide Faktoren in der Leidenschaft des Kampfes als
Eines geleugnet werden. Es müßte viel mehr Vertrauen und viel weniger Elend
in allen Kontroversen da sein, wenn sich Kapitalist und Arbeiter einander mehr
in ethischer Beziehung verpflichtet fühlen wollten. Ich erinnere an die großen
Streiks, vor allem an die Bergarbeiterstreiks. Trambs Buch ist allerdings vor
diesen geschrieben worden.

Noch größer sind die ethischen Fragen. Traub nennt dagegen die kapi¬
talistischen Probleme ein Kinderspiel. Es gibt noch viel weniger einen einheit¬
lichen Maßstab si" Ethik, für "gut" -- "Tugend". Was tausend für soziales
Unrecht erklären, verteidigen hundert andre als sittlich.

Ethik steht gegen Ethik, das alte Weltbild hat sich verändert. Traub
nennt den Grund nicht -- es ist die Reformation. Aber er scheidet klar: die
einen leben im galiläischen, die andern im romanischen, die dritten im pro¬
testantischen Christentum:. Dieses spaltet sich wieder in rationalistische und pie¬
tistische Ethik. Daneben erhebt sich der stoisch ruhige Bau der antiken Staats¬
moral und dann ein Hans -- noch ohne Dach --, die anarchistische Beurteilung
der Gegenwart und ihrer angefaulten Ethik. Und zuguderletzt hat die rein
Politische Ethik noch ihre Scheidung in demokratisches und aristokratisches Lager.

Aber auch die Grundfesten dieser einzelnen Säulen wanken unsicher: Hie
Sozialethiker, da Jndividualethiker! Zwei Feinde. Unter dem Druck dieser
Komödie der Wirrungen sagt Traub nicht ohne Ironie: "Was nützt es, etwas
zu sagen, wo die besten Führer einander widersprechen? Hier liegt einer der
Gründe, warum die Sozialethiker von den Männern wirtschaftlicher Praxis über
die Achsel angesehen werden. Diese begreifen nicht, warum sie ihre Erfolge
Preisgeben sollen, solange ihre Kritiker noch nicht einmal über ihre eignen
Grundsätze eins sind." Aber wir lassen uns das Recht nicht nehmen, an diesen
höchsten Menschheitsfragen mitzuarbeiten. Die höchsten Gedanken sind die streit¬
barsten.

Erschwert wird eine ethisch, ich möchte sagen gemütvolle Aussprache da¬
durch, daß sich die Großkapitalisten selten über die ethische Seite ihres Berufs


Lthik und Kapitalismus

„Wie wirkt der Kapitalismus auf die sittliche Haltung des Volks? Sehen wir
dieselben Erscheinungen in allen Ländern, wo er eingesetzt hat, oder müssen die
ethischen Zustände der Völker aus andern Verhältnissen abgeleitet werden? Ist
es möglich, eine bestimmte Wirtschaftsweise für sittliche Folgen verantwortlich
zu machen? Steht die Technik der Gütererzeugung und Güterverteilung in
einem faßbaren Zusammenhang mit dem Gewissen einer Nation? Überragen
nicht die Einflüsse des Klimas, der Rasse, der geschichtlichen Erziehung, der
politischen Stellung so sehr, daß wir das Konto, welches für die volkswirt¬
schaftlichen Einflüsse in Betracht kommt, gar nicht reinlich ausscheiden können?"

Ethik und Volkswirtschaft haben es ja doch mit ein und demselben Menschen
zu tun. Man soll nicht sagen, der Fabrikherr, der Arbeiter — und die Ethik
sind zweierlei Dinge. Ich möchte noch schärfer als Trcmb von vornherein be¬
tonen, daß eben tatsächlich beide Faktoren in der Leidenschaft des Kampfes als
Eines geleugnet werden. Es müßte viel mehr Vertrauen und viel weniger Elend
in allen Kontroversen da sein, wenn sich Kapitalist und Arbeiter einander mehr
in ethischer Beziehung verpflichtet fühlen wollten. Ich erinnere an die großen
Streiks, vor allem an die Bergarbeiterstreiks. Trambs Buch ist allerdings vor
diesen geschrieben worden.

Noch größer sind die ethischen Fragen. Traub nennt dagegen die kapi¬
talistischen Probleme ein Kinderspiel. Es gibt noch viel weniger einen einheit¬
lichen Maßstab si« Ethik, für „gut" — „Tugend". Was tausend für soziales
Unrecht erklären, verteidigen hundert andre als sittlich.

Ethik steht gegen Ethik, das alte Weltbild hat sich verändert. Traub
nennt den Grund nicht — es ist die Reformation. Aber er scheidet klar: die
einen leben im galiläischen, die andern im romanischen, die dritten im pro¬
testantischen Christentum:. Dieses spaltet sich wieder in rationalistische und pie¬
tistische Ethik. Daneben erhebt sich der stoisch ruhige Bau der antiken Staats¬
moral und dann ein Hans — noch ohne Dach —, die anarchistische Beurteilung
der Gegenwart und ihrer angefaulten Ethik. Und zuguderletzt hat die rein
Politische Ethik noch ihre Scheidung in demokratisches und aristokratisches Lager.

Aber auch die Grundfesten dieser einzelnen Säulen wanken unsicher: Hie
Sozialethiker, da Jndividualethiker! Zwei Feinde. Unter dem Druck dieser
Komödie der Wirrungen sagt Traub nicht ohne Ironie: „Was nützt es, etwas
zu sagen, wo die besten Führer einander widersprechen? Hier liegt einer der
Gründe, warum die Sozialethiker von den Männern wirtschaftlicher Praxis über
die Achsel angesehen werden. Diese begreifen nicht, warum sie ihre Erfolge
Preisgeben sollen, solange ihre Kritiker noch nicht einmal über ihre eignen
Grundsätze eins sind." Aber wir lassen uns das Recht nicht nehmen, an diesen
höchsten Menschheitsfragen mitzuarbeiten. Die höchsten Gedanken sind die streit¬
barsten.

Erschwert wird eine ethisch, ich möchte sagen gemütvolle Aussprache da¬
durch, daß sich die Großkapitalisten selten über die ethische Seite ihres Berufs


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[0301] Lthik und Kapitalismus „Wie wirkt der Kapitalismus auf die sittliche Haltung des Volks? Sehen wir dieselben Erscheinungen in allen Ländern, wo er eingesetzt hat, oder müssen die ethischen Zustände der Völker aus andern Verhältnissen abgeleitet werden? Ist es möglich, eine bestimmte Wirtschaftsweise für sittliche Folgen verantwortlich zu machen? Steht die Technik der Gütererzeugung und Güterverteilung in einem faßbaren Zusammenhang mit dem Gewissen einer Nation? Überragen nicht die Einflüsse des Klimas, der Rasse, der geschichtlichen Erziehung, der politischen Stellung so sehr, daß wir das Konto, welches für die volkswirt¬ schaftlichen Einflüsse in Betracht kommt, gar nicht reinlich ausscheiden können?" Ethik und Volkswirtschaft haben es ja doch mit ein und demselben Menschen zu tun. Man soll nicht sagen, der Fabrikherr, der Arbeiter — und die Ethik sind zweierlei Dinge. Ich möchte noch schärfer als Trcmb von vornherein be¬ tonen, daß eben tatsächlich beide Faktoren in der Leidenschaft des Kampfes als Eines geleugnet werden. Es müßte viel mehr Vertrauen und viel weniger Elend in allen Kontroversen da sein, wenn sich Kapitalist und Arbeiter einander mehr in ethischer Beziehung verpflichtet fühlen wollten. Ich erinnere an die großen Streiks, vor allem an die Bergarbeiterstreiks. Trambs Buch ist allerdings vor diesen geschrieben worden. Noch größer sind die ethischen Fragen. Traub nennt dagegen die kapi¬ talistischen Probleme ein Kinderspiel. Es gibt noch viel weniger einen einheit¬ lichen Maßstab si« Ethik, für „gut" — „Tugend". Was tausend für soziales Unrecht erklären, verteidigen hundert andre als sittlich. Ethik steht gegen Ethik, das alte Weltbild hat sich verändert. Traub nennt den Grund nicht — es ist die Reformation. Aber er scheidet klar: die einen leben im galiläischen, die andern im romanischen, die dritten im pro¬ testantischen Christentum:. Dieses spaltet sich wieder in rationalistische und pie¬ tistische Ethik. Daneben erhebt sich der stoisch ruhige Bau der antiken Staats¬ moral und dann ein Hans — noch ohne Dach —, die anarchistische Beurteilung der Gegenwart und ihrer angefaulten Ethik. Und zuguderletzt hat die rein Politische Ethik noch ihre Scheidung in demokratisches und aristokratisches Lager. Aber auch die Grundfesten dieser einzelnen Säulen wanken unsicher: Hie Sozialethiker, da Jndividualethiker! Zwei Feinde. Unter dem Druck dieser Komödie der Wirrungen sagt Traub nicht ohne Ironie: „Was nützt es, etwas zu sagen, wo die besten Führer einander widersprechen? Hier liegt einer der Gründe, warum die Sozialethiker von den Männern wirtschaftlicher Praxis über die Achsel angesehen werden. Diese begreifen nicht, warum sie ihre Erfolge Preisgeben sollen, solange ihre Kritiker noch nicht einmal über ihre eignen Grundsätze eins sind." Aber wir lassen uns das Recht nicht nehmen, an diesen höchsten Menschheitsfragen mitzuarbeiten. Die höchsten Gedanken sind die streit¬ barsten. Erschwert wird eine ethisch, ich möchte sagen gemütvolle Aussprache da¬ durch, daß sich die Großkapitalisten selten über die ethische Seite ihres Berufs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/301>, abgerufen am 01.09.2024.