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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Zehn Jahre Zionismus

und gleichen Wahlrechts einen Abgeordneten zum Kongreß und zu deu Landes¬
parteitagen. Durch diese demokratisch-parlamentarische Verfassung ist dafür ge¬
sorgt, daß die zionistische Bewegung die Volksideale nimmer verleugnet.

Die Leitung der Organisation wurde einem Engern und einem Weitern
Aktionskomitee übertragen, an dessen Spitze bis zu seinem Tode Dr. Herzl stand.
Schon vor dem zweiten Kongreß wurde dann als das "finanzielle Instrument"
der Bewegung in London ein Bankinstitut unter dem Namen IKs ^holst.
volonig-l Irust (Jüdische Kolonialbank) ins Leben gerufen. Für diese Bank
forderte Herzl als den kleinsten Betrag, der für finanzielle Verhandlungen mit
der Türkei in Betracht komme, ein Stammvermögen von 40 Millionen Mark;
in Wirklichkeit hat sie, dank der Teilnahmlosigkeit der jüdischen Finanzkreise, bis
auf den heutigen Tag nur eine Höhe von etwa 6 Millionen erreicht. Trotzdem
entwickelt sie sich zusehends. Im Jahre 1903 wurde von ihr ein Töchter¬
institut in Jaffa unter dem Namen L.n^1o-?Al68eins <üoinxg.Q^ gegründet, und
diese Gründung hat schon wieder Filialen in Jerusalem, in Beirut und Halfa
gezeitigt.

Auf dein vierten Kongreß wurde die Organisation durch ein neues Mittel,
den "Nationalfonds", verstärkt, dessen Schaffung der Heidelberger Professor
Schapira schon bei der ersten Tagung in Anregung gebracht hatte. Dieser Fonds
ist in der kurzen Zeit seines Bestehns zur populärsten Einrichtung im jüdischen
Volke geworden; seine Mittel, die bisher aus freiwilligen Spenden auf andert¬
halb Millionen Mark angewachsen sind, sind dazu bestimmt, nach Erlangung
genügender rechtlicher Garantien Grund und Boden in Palästina anzukaufen,
der für ewige Zeiten Eigentum des jüdischen Volkes bleibt. Ein Teil des
Kapitals ist schon zum Landkauf für die landwirtschaftliche Versuchsstation, für
die geplante Musterfarm und das genossenschaftliche Gut verwandt worden;
mindestens ein Viertel des Bestandes muß jedoch satzungsgemüß unantastbar
bleiben, bis bedeutungsvolle Augenblicke eine Kolonisation in größerm Stil er¬
möglichen.

Aber so unverrückt die Grundlinien des Ziels und der Organisation
sind, so ist der Zionismus doch nicht eine durch strenge Dogmen abgegrenzte
Theorie, sondern er ist eine sich dauernd im Flusse befindende Bewegung. Eine
solche geistige Strömung setzt nicht nur mit der fortschreitenden Vertiefung des
Programms und der Spezialisierung ihrer Tätigkeit Meinungsverschiedenheiten
und Gegensätze aus sich heraus, sondern sie macht selber in naturgemäßen
Wachstum eine Entwicklung durch. Das einigende Prinzip in dieser Entwicklung
ist für alle Gruppen und zu allen Zeiten das alte unveränderliche Basler
Programm geblieben.

Zu dessen Verwirklichung hatte der erste Kongreß vier Mittel in Aussicht
genommen:

1. Die zweckdienliche Förderung der Besiedlung Palästinas durch jüdische
Ackerbauer, Handwerker und Gewerbetreibende;


Zehn Jahre Zionismus

und gleichen Wahlrechts einen Abgeordneten zum Kongreß und zu deu Landes¬
parteitagen. Durch diese demokratisch-parlamentarische Verfassung ist dafür ge¬
sorgt, daß die zionistische Bewegung die Volksideale nimmer verleugnet.

Die Leitung der Organisation wurde einem Engern und einem Weitern
Aktionskomitee übertragen, an dessen Spitze bis zu seinem Tode Dr. Herzl stand.
Schon vor dem zweiten Kongreß wurde dann als das „finanzielle Instrument"
der Bewegung in London ein Bankinstitut unter dem Namen IKs ^holst.
volonig-l Irust (Jüdische Kolonialbank) ins Leben gerufen. Für diese Bank
forderte Herzl als den kleinsten Betrag, der für finanzielle Verhandlungen mit
der Türkei in Betracht komme, ein Stammvermögen von 40 Millionen Mark;
in Wirklichkeit hat sie, dank der Teilnahmlosigkeit der jüdischen Finanzkreise, bis
auf den heutigen Tag nur eine Höhe von etwa 6 Millionen erreicht. Trotzdem
entwickelt sie sich zusehends. Im Jahre 1903 wurde von ihr ein Töchter¬
institut in Jaffa unter dem Namen L.n^1o-?Al68eins <üoinxg.Q^ gegründet, und
diese Gründung hat schon wieder Filialen in Jerusalem, in Beirut und Halfa
gezeitigt.

Auf dein vierten Kongreß wurde die Organisation durch ein neues Mittel,
den „Nationalfonds", verstärkt, dessen Schaffung der Heidelberger Professor
Schapira schon bei der ersten Tagung in Anregung gebracht hatte. Dieser Fonds
ist in der kurzen Zeit seines Bestehns zur populärsten Einrichtung im jüdischen
Volke geworden; seine Mittel, die bisher aus freiwilligen Spenden auf andert¬
halb Millionen Mark angewachsen sind, sind dazu bestimmt, nach Erlangung
genügender rechtlicher Garantien Grund und Boden in Palästina anzukaufen,
der für ewige Zeiten Eigentum des jüdischen Volkes bleibt. Ein Teil des
Kapitals ist schon zum Landkauf für die landwirtschaftliche Versuchsstation, für
die geplante Musterfarm und das genossenschaftliche Gut verwandt worden;
mindestens ein Viertel des Bestandes muß jedoch satzungsgemüß unantastbar
bleiben, bis bedeutungsvolle Augenblicke eine Kolonisation in größerm Stil er¬
möglichen.

Aber so unverrückt die Grundlinien des Ziels und der Organisation
sind, so ist der Zionismus doch nicht eine durch strenge Dogmen abgegrenzte
Theorie, sondern er ist eine sich dauernd im Flusse befindende Bewegung. Eine
solche geistige Strömung setzt nicht nur mit der fortschreitenden Vertiefung des
Programms und der Spezialisierung ihrer Tätigkeit Meinungsverschiedenheiten
und Gegensätze aus sich heraus, sondern sie macht selber in naturgemäßen
Wachstum eine Entwicklung durch. Das einigende Prinzip in dieser Entwicklung
ist für alle Gruppen und zu allen Zeiten das alte unveränderliche Basler
Programm geblieben.

Zu dessen Verwirklichung hatte der erste Kongreß vier Mittel in Aussicht
genommen:

1. Die zweckdienliche Förderung der Besiedlung Palästinas durch jüdische
Ackerbauer, Handwerker und Gewerbetreibende;


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[0295] Zehn Jahre Zionismus und gleichen Wahlrechts einen Abgeordneten zum Kongreß und zu deu Landes¬ parteitagen. Durch diese demokratisch-parlamentarische Verfassung ist dafür ge¬ sorgt, daß die zionistische Bewegung die Volksideale nimmer verleugnet. Die Leitung der Organisation wurde einem Engern und einem Weitern Aktionskomitee übertragen, an dessen Spitze bis zu seinem Tode Dr. Herzl stand. Schon vor dem zweiten Kongreß wurde dann als das „finanzielle Instrument" der Bewegung in London ein Bankinstitut unter dem Namen IKs ^holst. volonig-l Irust (Jüdische Kolonialbank) ins Leben gerufen. Für diese Bank forderte Herzl als den kleinsten Betrag, der für finanzielle Verhandlungen mit der Türkei in Betracht komme, ein Stammvermögen von 40 Millionen Mark; in Wirklichkeit hat sie, dank der Teilnahmlosigkeit der jüdischen Finanzkreise, bis auf den heutigen Tag nur eine Höhe von etwa 6 Millionen erreicht. Trotzdem entwickelt sie sich zusehends. Im Jahre 1903 wurde von ihr ein Töchter¬ institut in Jaffa unter dem Namen L.n^1o-?Al68eins <üoinxg.Q^ gegründet, und diese Gründung hat schon wieder Filialen in Jerusalem, in Beirut und Halfa gezeitigt. Auf dein vierten Kongreß wurde die Organisation durch ein neues Mittel, den „Nationalfonds", verstärkt, dessen Schaffung der Heidelberger Professor Schapira schon bei der ersten Tagung in Anregung gebracht hatte. Dieser Fonds ist in der kurzen Zeit seines Bestehns zur populärsten Einrichtung im jüdischen Volke geworden; seine Mittel, die bisher aus freiwilligen Spenden auf andert¬ halb Millionen Mark angewachsen sind, sind dazu bestimmt, nach Erlangung genügender rechtlicher Garantien Grund und Boden in Palästina anzukaufen, der für ewige Zeiten Eigentum des jüdischen Volkes bleibt. Ein Teil des Kapitals ist schon zum Landkauf für die landwirtschaftliche Versuchsstation, für die geplante Musterfarm und das genossenschaftliche Gut verwandt worden; mindestens ein Viertel des Bestandes muß jedoch satzungsgemüß unantastbar bleiben, bis bedeutungsvolle Augenblicke eine Kolonisation in größerm Stil er¬ möglichen. Aber so unverrückt die Grundlinien des Ziels und der Organisation sind, so ist der Zionismus doch nicht eine durch strenge Dogmen abgegrenzte Theorie, sondern er ist eine sich dauernd im Flusse befindende Bewegung. Eine solche geistige Strömung setzt nicht nur mit der fortschreitenden Vertiefung des Programms und der Spezialisierung ihrer Tätigkeit Meinungsverschiedenheiten und Gegensätze aus sich heraus, sondern sie macht selber in naturgemäßen Wachstum eine Entwicklung durch. Das einigende Prinzip in dieser Entwicklung ist für alle Gruppen und zu allen Zeiten das alte unveränderliche Basler Programm geblieben. Zu dessen Verwirklichung hatte der erste Kongreß vier Mittel in Aussicht genommen: 1. Die zweckdienliche Förderung der Besiedlung Palästinas durch jüdische Ackerbauer, Handwerker und Gewerbetreibende;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/295>, abgerufen am 01.09.2024.