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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Zehn Jahre Zionismus

Ein Charter mit dem Recht der Selbstverwaltung und der Munizipalgesetz-
gebung ist der zionistischen Organisation auch schon von der englischen Negierung
im Jahre 1903 für ein Gebiet in Ostafrika angeboten worden; aber die jüdische
Heimstätte kann nur "in Palästina" liegen, und deshalb ist das sogenannte
"Ugaudaprojekt", das schon den sechsten Kongreß beschäftigte und dann bis zu
dem siebenten im Jahre 1905 das ganze innere Leben der Organisation ausfüllte
und schwere Krisen zeitigte, von diesem mit überwältigender Mehrheit endgiltig
abgelehnt worden. "Der siebente Zionistenkongreß erklärt: Die zionistische Or¬
ganisation hält an dem Grundprinzip des Basler Programms: "Schaffung
einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina"
unerschütterlich fest und lehnt -- sowohl als Zweck wie als Mittel -- jede
kolonisatorische Tätigkeit außerhalb Palästinas und seiner nächsten Nachbarländer
ab." So lautet dessen erste Resolution.

Palästina ist seit der Zerstreuung des jüdischen Volkes das Land seiner
Sehnsucht, in ihm wurzeln alle seine geschichtlichen, nationalen und religiösen
Traditionen. Nur für dieses Land steht deshalb, wenn man mit der Psycho¬
logie der Massen rechnet, eine Mobilisierung aller materiellen und moralischen
Kräfte zu erwarten, deren es bedarf, wenn die Heimstüttengründung Volkssache
werden soll. In jedem andern Lande würde der anzusiedelnde Teil nur eine
Gruppe von Juden bilden; Palästina allein kann als das historische Land
trotz der Teilsiedlung bei Juden und Nichtjuden die Autorität eines jüdischen
Zentrums in Anspruch nehmen; hier hat einst Esra mit 42000 Mann nach
seiner Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft das jüdische Reich wieder¬
hergestellt.

Aber ist das Land auch für eine Besiedlung durch Juden geeignet? Die
"Territorialsten", die für Uganda oder Kanada oder sonst eine Zufluchtsstätte
in der Welt eintreten, bestreiten es. Dagegen stimmen alle Palästinaforscher,
die deutschen wie die englischen, mit den Konsnlarberichten des Landes darin
überein, daß Palästina eine Zukunft hat und seiner wirtschaftlichen Erschließung
erst entgegengeht. Und die praktischen Erfolge, die die kolonisatorische Tätigkeit
der deutschen Templer seit vierzig Jahren gebracht hat, bestätigen es. Palästina
wartet nur auf Kultur und Menschenkraft, um die alte Blüte neu zu entwickeln
und zugleich eine ganz neue Bedeutung als Industrie- und Handelsstaat zu er¬
langen. Die "Zukunft Palästinas" forderte eine Abhandlung für sich.

Das ist das Programm, das in seiner knappen, klaren Fassung einen aus¬
nehmend glücklichen Wurf darstellt. Ebenso schwierig war für jenen Kongreß
die Ausarbeitung eines Organisationssystems. Denn zum erstenmal seit der
Zerstreuung der Juden sollte ein die Welt umspannendes national-jüdisches Land
geschaffen werden. Da hat sich der Gedanke der Schekelabgabe (1 Schekel --
1 Mary, der an die alttestamentliche Tempelstcucr anknüpft, als besonders volks¬
tümlich bewährt. Wer den Schekel zahlt und sich zum Basler Programm be¬
kennt, ist Zionist. Je hundert Schekelzahler stellen auf Grund des allgemeinen


Zehn Jahre Zionismus

Ein Charter mit dem Recht der Selbstverwaltung und der Munizipalgesetz-
gebung ist der zionistischen Organisation auch schon von der englischen Negierung
im Jahre 1903 für ein Gebiet in Ostafrika angeboten worden; aber die jüdische
Heimstätte kann nur „in Palästina" liegen, und deshalb ist das sogenannte
„Ugaudaprojekt", das schon den sechsten Kongreß beschäftigte und dann bis zu
dem siebenten im Jahre 1905 das ganze innere Leben der Organisation ausfüllte
und schwere Krisen zeitigte, von diesem mit überwältigender Mehrheit endgiltig
abgelehnt worden. „Der siebente Zionistenkongreß erklärt: Die zionistische Or¬
ganisation hält an dem Grundprinzip des Basler Programms: »Schaffung
einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina«
unerschütterlich fest und lehnt — sowohl als Zweck wie als Mittel — jede
kolonisatorische Tätigkeit außerhalb Palästinas und seiner nächsten Nachbarländer
ab." So lautet dessen erste Resolution.

Palästina ist seit der Zerstreuung des jüdischen Volkes das Land seiner
Sehnsucht, in ihm wurzeln alle seine geschichtlichen, nationalen und religiösen
Traditionen. Nur für dieses Land steht deshalb, wenn man mit der Psycho¬
logie der Massen rechnet, eine Mobilisierung aller materiellen und moralischen
Kräfte zu erwarten, deren es bedarf, wenn die Heimstüttengründung Volkssache
werden soll. In jedem andern Lande würde der anzusiedelnde Teil nur eine
Gruppe von Juden bilden; Palästina allein kann als das historische Land
trotz der Teilsiedlung bei Juden und Nichtjuden die Autorität eines jüdischen
Zentrums in Anspruch nehmen; hier hat einst Esra mit 42000 Mann nach
seiner Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft das jüdische Reich wieder¬
hergestellt.

Aber ist das Land auch für eine Besiedlung durch Juden geeignet? Die
„Territorialsten", die für Uganda oder Kanada oder sonst eine Zufluchtsstätte
in der Welt eintreten, bestreiten es. Dagegen stimmen alle Palästinaforscher,
die deutschen wie die englischen, mit den Konsnlarberichten des Landes darin
überein, daß Palästina eine Zukunft hat und seiner wirtschaftlichen Erschließung
erst entgegengeht. Und die praktischen Erfolge, die die kolonisatorische Tätigkeit
der deutschen Templer seit vierzig Jahren gebracht hat, bestätigen es. Palästina
wartet nur auf Kultur und Menschenkraft, um die alte Blüte neu zu entwickeln
und zugleich eine ganz neue Bedeutung als Industrie- und Handelsstaat zu er¬
langen. Die „Zukunft Palästinas" forderte eine Abhandlung für sich.

Das ist das Programm, das in seiner knappen, klaren Fassung einen aus¬
nehmend glücklichen Wurf darstellt. Ebenso schwierig war für jenen Kongreß
die Ausarbeitung eines Organisationssystems. Denn zum erstenmal seit der
Zerstreuung der Juden sollte ein die Welt umspannendes national-jüdisches Land
geschaffen werden. Da hat sich der Gedanke der Schekelabgabe (1 Schekel —
1 Mary, der an die alttestamentliche Tempelstcucr anknüpft, als besonders volks¬
tümlich bewährt. Wer den Schekel zahlt und sich zum Basler Programm be¬
kennt, ist Zionist. Je hundert Schekelzahler stellen auf Grund des allgemeinen


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[0294] Zehn Jahre Zionismus Ein Charter mit dem Recht der Selbstverwaltung und der Munizipalgesetz- gebung ist der zionistischen Organisation auch schon von der englischen Negierung im Jahre 1903 für ein Gebiet in Ostafrika angeboten worden; aber die jüdische Heimstätte kann nur „in Palästina" liegen, und deshalb ist das sogenannte „Ugaudaprojekt", das schon den sechsten Kongreß beschäftigte und dann bis zu dem siebenten im Jahre 1905 das ganze innere Leben der Organisation ausfüllte und schwere Krisen zeitigte, von diesem mit überwältigender Mehrheit endgiltig abgelehnt worden. „Der siebente Zionistenkongreß erklärt: Die zionistische Or¬ ganisation hält an dem Grundprinzip des Basler Programms: »Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina« unerschütterlich fest und lehnt — sowohl als Zweck wie als Mittel — jede kolonisatorische Tätigkeit außerhalb Palästinas und seiner nächsten Nachbarländer ab." So lautet dessen erste Resolution. Palästina ist seit der Zerstreuung des jüdischen Volkes das Land seiner Sehnsucht, in ihm wurzeln alle seine geschichtlichen, nationalen und religiösen Traditionen. Nur für dieses Land steht deshalb, wenn man mit der Psycho¬ logie der Massen rechnet, eine Mobilisierung aller materiellen und moralischen Kräfte zu erwarten, deren es bedarf, wenn die Heimstüttengründung Volkssache werden soll. In jedem andern Lande würde der anzusiedelnde Teil nur eine Gruppe von Juden bilden; Palästina allein kann als das historische Land trotz der Teilsiedlung bei Juden und Nichtjuden die Autorität eines jüdischen Zentrums in Anspruch nehmen; hier hat einst Esra mit 42000 Mann nach seiner Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft das jüdische Reich wieder¬ hergestellt. Aber ist das Land auch für eine Besiedlung durch Juden geeignet? Die „Territorialsten", die für Uganda oder Kanada oder sonst eine Zufluchtsstätte in der Welt eintreten, bestreiten es. Dagegen stimmen alle Palästinaforscher, die deutschen wie die englischen, mit den Konsnlarberichten des Landes darin überein, daß Palästina eine Zukunft hat und seiner wirtschaftlichen Erschließung erst entgegengeht. Und die praktischen Erfolge, die die kolonisatorische Tätigkeit der deutschen Templer seit vierzig Jahren gebracht hat, bestätigen es. Palästina wartet nur auf Kultur und Menschenkraft, um die alte Blüte neu zu entwickeln und zugleich eine ganz neue Bedeutung als Industrie- und Handelsstaat zu er¬ langen. Die „Zukunft Palästinas" forderte eine Abhandlung für sich. Das ist das Programm, das in seiner knappen, klaren Fassung einen aus¬ nehmend glücklichen Wurf darstellt. Ebenso schwierig war für jenen Kongreß die Ausarbeitung eines Organisationssystems. Denn zum erstenmal seit der Zerstreuung der Juden sollte ein die Welt umspannendes national-jüdisches Land geschaffen werden. Da hat sich der Gedanke der Schekelabgabe (1 Schekel — 1 Mary, der an die alttestamentliche Tempelstcucr anknüpft, als besonders volks¬ tümlich bewährt. Wer den Schekel zahlt und sich zum Basler Programm be¬ kennt, ist Zionist. Je hundert Schekelzahler stellen auf Grund des allgemeinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/294>, abgerufen am 01.09.2024.