Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.Zehn Jahre Zionismus jüdischen Massen viel Energie aufgespeichert. Es bedürfte nur der starken Hand, Da erstand aus einem Milieu, das die meisten Zionsfreunde längst als Die Ära des modernen politischen Zionismus läßt sich schon vom Jahre Der "Judenstaat" erhob die Judenfrage zu einer politischen Frage von Zehn Jahre Zionismus jüdischen Massen viel Energie aufgespeichert. Es bedürfte nur der starken Hand, Da erstand aus einem Milieu, das die meisten Zionsfreunde längst als Die Ära des modernen politischen Zionismus läßt sich schon vom Jahre Der „Judenstaat" erhob die Judenfrage zu einer politischen Frage von <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0291" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302993"/> <fw type="header" place="top"> Zehn Jahre Zionismus</fw><lb/> <p xml:id="ID_1775" prev="#ID_1774"> jüdischen Massen viel Energie aufgespeichert. Es bedürfte nur der starken Hand,<lb/> die Energie flüssig zu machen und den Willen in die zielbewußte Tat umzusetzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1776"> Da erstand aus einem Milieu, das die meisten Zionsfreunde längst als<lb/> entjudet angesehen hatten, zur rechten Zeit der rechte Mann. Theodor Herzl<lb/> lebte um die Mitte der neunziger Jahre als Vertreter der Wiener Neuen Freien<lb/> Presse in Paris. Zu jüdischen Fragen zog ihn nichts, er ging ganz in künst¬<lb/> lerischen und literarischen Neigungen auf. Da rief die Kollektivverleumdung,<lb/> die sich an die Drchfusaffäre knüpfte, den Juden in ihm wach. Über Nacht<lb/> wurde aus dem geistreichen Feuilletonisten ein jüdischer Staatsmann. Und in<lb/> wenigen Jahren wurde er, der mit fünfunddreißig Jahren seinem Volke noch<lb/> ein Fremdling gewesen war, dessen Stolz und Hoffnung. Aber da starb er,<lb/> am 3. Juni 1904. „Es war das größte Glück des politischen Zionismus,<lb/> Theodor Herzl gefunden, seine schwerste Prüfung, ihn so früh verloren zu haben."<lb/> Aber das Wort aus Herzls Selbstbiographie hat sich bewahrheitet: „Ich weiß<lb/> nicht, wann ich sterben werde, aber die Bewegung wird anhalten, der Zionismus<lb/> wird nie sterben." Sein Tod und die gleichzeitige Ostafrikakrise waren Kraft¬<lb/> proben für die Bewegung. Sie hat diese bestanden. Die „Seifenblase" ist nicht<lb/> zerplatzt. Und die erneute Rückkehr des letzten Kongresses zu dem alten Palästina¬<lb/> programm zeugt von der Macht der Idee und der Stärke der Organisation.</p><lb/> <p xml:id="ID_1777"> Die Ära des modernen politischen Zionismus läßt sich schon vom Jahre<lb/> 1896 datieren, wo Herzl durch eine gleichnamige Broschüre die Losung des<lb/> „Judenstaates" ausgab. Drei Punkte in dieser Schrift trafen, mit Energie, ja<lb/> mit Radikalismus vorgetragen, seine Volksgenossen in das Herz, daß sie ihn<lb/> gegen seinen Willen in die Führung der politischen Bewegung hineindrängten;<lb/> es waren das Prinzip des Nationalismus; die Forderung, daß den Juden<lb/> wieder ein mit Souveränitätsrechten ausgestattetes Gemeinwesen werde; und der<lb/> Grundsatz, daß die Erwerbung dieser Heimstätte auf öffentlich politischem Wege,<lb/> im Einverständnis mit den Regierungen, zu erwirken sei. Hatte Herzl bei der<lb/> Heimstätte anfangs noch an Palästina oder an Argentinien gedacht, wo der<lb/> Baron Hirsch seit fünf Jahren jüdische Kolonien ins Leben rief, so rang er sich<lb/> in der Folge rapide zu der Einsicht durch, daß als Territorium nur Palästina<lb/> in Frage kommen könne. Und gleichsam als politisches Testament hinterließ er<lb/> auf der letzten Tagung des Aktionskomitees in Wien seinen Freunden das Wort:<lb/> „Das Problem des jüdischen Volkes kann nur in Palästina gelöst werden."</p><lb/> <p xml:id="ID_1778" next="#ID_1779"> Der „Judenstaat" erhob die Judenfrage zu einer politischen Frage von<lb/> allgemeiner Bedeutung. Diese Auffassung brach gründlich mit der in den<lb/> führenden Kreisen des Judentums herrschenden. Hier regierte die Assimilations¬<lb/> politik. Das heißt, der „Jsraelit" — das Wort „Jude" war in den west¬<lb/> europäischen Salons verpönt — glaubte die Judenfrage dadurch zu lösen, daß<lb/> er sich als Deutscher, Tscheche, Pole, Magyare usw. mosaischer oder, nach der<lb/> Taufe, christlicher Konfession ausgab. Aber der Glaube, die Judenfrage werde<lb/> dadurch verschwinden, daß das jüdische Volk verschwinde — sei es durch die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0291]
Zehn Jahre Zionismus
jüdischen Massen viel Energie aufgespeichert. Es bedürfte nur der starken Hand,
die Energie flüssig zu machen und den Willen in die zielbewußte Tat umzusetzen.
Da erstand aus einem Milieu, das die meisten Zionsfreunde längst als
entjudet angesehen hatten, zur rechten Zeit der rechte Mann. Theodor Herzl
lebte um die Mitte der neunziger Jahre als Vertreter der Wiener Neuen Freien
Presse in Paris. Zu jüdischen Fragen zog ihn nichts, er ging ganz in künst¬
lerischen und literarischen Neigungen auf. Da rief die Kollektivverleumdung,
die sich an die Drchfusaffäre knüpfte, den Juden in ihm wach. Über Nacht
wurde aus dem geistreichen Feuilletonisten ein jüdischer Staatsmann. Und in
wenigen Jahren wurde er, der mit fünfunddreißig Jahren seinem Volke noch
ein Fremdling gewesen war, dessen Stolz und Hoffnung. Aber da starb er,
am 3. Juni 1904. „Es war das größte Glück des politischen Zionismus,
Theodor Herzl gefunden, seine schwerste Prüfung, ihn so früh verloren zu haben."
Aber das Wort aus Herzls Selbstbiographie hat sich bewahrheitet: „Ich weiß
nicht, wann ich sterben werde, aber die Bewegung wird anhalten, der Zionismus
wird nie sterben." Sein Tod und die gleichzeitige Ostafrikakrise waren Kraft¬
proben für die Bewegung. Sie hat diese bestanden. Die „Seifenblase" ist nicht
zerplatzt. Und die erneute Rückkehr des letzten Kongresses zu dem alten Palästina¬
programm zeugt von der Macht der Idee und der Stärke der Organisation.
Die Ära des modernen politischen Zionismus läßt sich schon vom Jahre
1896 datieren, wo Herzl durch eine gleichnamige Broschüre die Losung des
„Judenstaates" ausgab. Drei Punkte in dieser Schrift trafen, mit Energie, ja
mit Radikalismus vorgetragen, seine Volksgenossen in das Herz, daß sie ihn
gegen seinen Willen in die Führung der politischen Bewegung hineindrängten;
es waren das Prinzip des Nationalismus; die Forderung, daß den Juden
wieder ein mit Souveränitätsrechten ausgestattetes Gemeinwesen werde; und der
Grundsatz, daß die Erwerbung dieser Heimstätte auf öffentlich politischem Wege,
im Einverständnis mit den Regierungen, zu erwirken sei. Hatte Herzl bei der
Heimstätte anfangs noch an Palästina oder an Argentinien gedacht, wo der
Baron Hirsch seit fünf Jahren jüdische Kolonien ins Leben rief, so rang er sich
in der Folge rapide zu der Einsicht durch, daß als Territorium nur Palästina
in Frage kommen könne. Und gleichsam als politisches Testament hinterließ er
auf der letzten Tagung des Aktionskomitees in Wien seinen Freunden das Wort:
„Das Problem des jüdischen Volkes kann nur in Palästina gelöst werden."
Der „Judenstaat" erhob die Judenfrage zu einer politischen Frage von
allgemeiner Bedeutung. Diese Auffassung brach gründlich mit der in den
führenden Kreisen des Judentums herrschenden. Hier regierte die Assimilations¬
politik. Das heißt, der „Jsraelit" — das Wort „Jude" war in den west¬
europäischen Salons verpönt — glaubte die Judenfrage dadurch zu lösen, daß
er sich als Deutscher, Tscheche, Pole, Magyare usw. mosaischer oder, nach der
Taufe, christlicher Konfession ausgab. Aber der Glaube, die Judenfrage werde
dadurch verschwinden, daß das jüdische Volk verschwinde — sei es durch die
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |