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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Zur Vorgeschichte des Burenkrieges

sie sich in einem unzugänglichen Tale des Himalaja noch erhalten haben, so
wird die verbesserte Luftschiffahrt sie vollends ausrotten. Mancher Leser des
vorliegenden Buches wird über die bäuerliche Hartnäckigkeit und Verbissenheit,
mit der sich die Buren schon gegen das bloße Wort Suzeränitüt gewehrt
haben, spotten oder unwillig sein; besonders da seit der Mitte des vorigen
Jahrhunderts England allen seinen Ansiedlerkolonien einen Grad von Selbst¬
regierung bewilligt hat, der die Zugehörigkeit der Kolonisten zu seinem Welt¬
reich als eine Ehre und einen Vorteil erscheinen läßt, und der durch keine
Lasten und Leistungen erkauft zu werden braucht. Die Verhältnisse sind jetzt
ganz verschieden von denen im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts. Die
Buren Hütten nach 1870 keinerlei tyrannische oder büreaukratische Eingriffe zu
fürchten gehabt und als Angehörige der Kolonie so frei gelebt wie in ihren
eignen Staaten. Aber eine Entschuldigung haben sie. Nicht zwar die eng¬
lische oder die Kapregierung, aber das Treiben der Uitlanders, der englischen
Minenbesitzer, Spekulanten und ihres Anhangs, der Krämer, Kneipwirte und
Tingeltangelunternehmer, bedrohte den ganzen moralischen Zustand und den
Wirtschaftsorganismus des Volkes mit Auflösung und Umsturz. Fortschritts¬
freunde sehen auch darin kein Unglück. Im Gegenteil meinen sie, es gereiche
der Welt und den Betroffnen zum Heil, wenn diese ihrer Rückständigkeit ent¬
rissen und in das Getriebe des modernen "Kulturlebens" hineingezogen werden.
Wir haben neulich (im 6. Heft S. 303 bis 304) vernommen, daß Dove die
Goldfelder dennoch für ein Unglück hält, weil sie eine vernünftige Besiedlung
des Landes verhindern, und wir haben dem Zweifel Ausdruck gegeben, ob bei
der Art Menschenmaterial, das dem heutigen England zur Verfügung steht,
landwirtschaftliche Kolonisation der südafrikanischen Ödländereien überhaupt
noch möglich sei. Wird mau nicht vielleicht, wenn auch das ganze Südafrika
industrialisiert und modernisiert sein wird, die Buren noch einmal anders be¬
urteilen? Man wird vielleicht finden, daß Männer und Frauen, die um der
Freiheit willen hungern und dürsten, sich in Einöden abrackern, von Löwen
fressen oder in Freiheitskämpfen totschießen lassen, auch etwas wert sind, und
daß ein musterhaftes Familienleben, willige Übernahme schwerer Arbeit, grund¬
sätzliche Menschlichkeit auch gegen Feinde und Kriegsgefangne, einfältiger
Christenglaube und durch kein Unglück zu erschütterndes Gottvertrauen immerhin
den Namen Kultur verdienen, wenn sie auch eine etwas andre Kultur als die
der Goldspekulanten darstellen. Vorläufig ist übrigens trotz der letzten Annexion
die alte Kultur der neuen noch keineswegs vollständig unterlegen. Mitte
Februar wurde gemeldet, daß bei den Wahlen für die Volksvertretung in Trans¬
vaal die Partei "Het Volk" die Mehrheit errungen habe, und daß die
"Progressiven", die Vertreter der Minenbesitzer, unterlegen seien. Die Frank¬
furter Zeitung bemerkte dazu: "Das Vurenelement kommt damit zu seinem
Recht, die Herrschaft der landfremden Spekulanten nimmt ein Ende. Die
legitimen Interessen des in den Minen von Transvaal investierten Kapitals


Zur Vorgeschichte des Burenkrieges

sie sich in einem unzugänglichen Tale des Himalaja noch erhalten haben, so
wird die verbesserte Luftschiffahrt sie vollends ausrotten. Mancher Leser des
vorliegenden Buches wird über die bäuerliche Hartnäckigkeit und Verbissenheit,
mit der sich die Buren schon gegen das bloße Wort Suzeränitüt gewehrt
haben, spotten oder unwillig sein; besonders da seit der Mitte des vorigen
Jahrhunderts England allen seinen Ansiedlerkolonien einen Grad von Selbst¬
regierung bewilligt hat, der die Zugehörigkeit der Kolonisten zu seinem Welt¬
reich als eine Ehre und einen Vorteil erscheinen läßt, und der durch keine
Lasten und Leistungen erkauft zu werden braucht. Die Verhältnisse sind jetzt
ganz verschieden von denen im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts. Die
Buren Hütten nach 1870 keinerlei tyrannische oder büreaukratische Eingriffe zu
fürchten gehabt und als Angehörige der Kolonie so frei gelebt wie in ihren
eignen Staaten. Aber eine Entschuldigung haben sie. Nicht zwar die eng¬
lische oder die Kapregierung, aber das Treiben der Uitlanders, der englischen
Minenbesitzer, Spekulanten und ihres Anhangs, der Krämer, Kneipwirte und
Tingeltangelunternehmer, bedrohte den ganzen moralischen Zustand und den
Wirtschaftsorganismus des Volkes mit Auflösung und Umsturz. Fortschritts¬
freunde sehen auch darin kein Unglück. Im Gegenteil meinen sie, es gereiche
der Welt und den Betroffnen zum Heil, wenn diese ihrer Rückständigkeit ent¬
rissen und in das Getriebe des modernen „Kulturlebens" hineingezogen werden.
Wir haben neulich (im 6. Heft S. 303 bis 304) vernommen, daß Dove die
Goldfelder dennoch für ein Unglück hält, weil sie eine vernünftige Besiedlung
des Landes verhindern, und wir haben dem Zweifel Ausdruck gegeben, ob bei
der Art Menschenmaterial, das dem heutigen England zur Verfügung steht,
landwirtschaftliche Kolonisation der südafrikanischen Ödländereien überhaupt
noch möglich sei. Wird mau nicht vielleicht, wenn auch das ganze Südafrika
industrialisiert und modernisiert sein wird, die Buren noch einmal anders be¬
urteilen? Man wird vielleicht finden, daß Männer und Frauen, die um der
Freiheit willen hungern und dürsten, sich in Einöden abrackern, von Löwen
fressen oder in Freiheitskämpfen totschießen lassen, auch etwas wert sind, und
daß ein musterhaftes Familienleben, willige Übernahme schwerer Arbeit, grund¬
sätzliche Menschlichkeit auch gegen Feinde und Kriegsgefangne, einfältiger
Christenglaube und durch kein Unglück zu erschütterndes Gottvertrauen immerhin
den Namen Kultur verdienen, wenn sie auch eine etwas andre Kultur als die
der Goldspekulanten darstellen. Vorläufig ist übrigens trotz der letzten Annexion
die alte Kultur der neuen noch keineswegs vollständig unterlegen. Mitte
Februar wurde gemeldet, daß bei den Wahlen für die Volksvertretung in Trans¬
vaal die Partei „Het Volk" die Mehrheit errungen habe, und daß die
„Progressiven", die Vertreter der Minenbesitzer, unterlegen seien. Die Frank¬
furter Zeitung bemerkte dazu: „Das Vurenelement kommt damit zu seinem
Recht, die Herrschaft der landfremden Spekulanten nimmt ein Ende. Die
legitimen Interessen des in den Minen von Transvaal investierten Kapitals


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[0253] Zur Vorgeschichte des Burenkrieges sie sich in einem unzugänglichen Tale des Himalaja noch erhalten haben, so wird die verbesserte Luftschiffahrt sie vollends ausrotten. Mancher Leser des vorliegenden Buches wird über die bäuerliche Hartnäckigkeit und Verbissenheit, mit der sich die Buren schon gegen das bloße Wort Suzeränitüt gewehrt haben, spotten oder unwillig sein; besonders da seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts England allen seinen Ansiedlerkolonien einen Grad von Selbst¬ regierung bewilligt hat, der die Zugehörigkeit der Kolonisten zu seinem Welt¬ reich als eine Ehre und einen Vorteil erscheinen läßt, und der durch keine Lasten und Leistungen erkauft zu werden braucht. Die Verhältnisse sind jetzt ganz verschieden von denen im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts. Die Buren Hütten nach 1870 keinerlei tyrannische oder büreaukratische Eingriffe zu fürchten gehabt und als Angehörige der Kolonie so frei gelebt wie in ihren eignen Staaten. Aber eine Entschuldigung haben sie. Nicht zwar die eng¬ lische oder die Kapregierung, aber das Treiben der Uitlanders, der englischen Minenbesitzer, Spekulanten und ihres Anhangs, der Krämer, Kneipwirte und Tingeltangelunternehmer, bedrohte den ganzen moralischen Zustand und den Wirtschaftsorganismus des Volkes mit Auflösung und Umsturz. Fortschritts¬ freunde sehen auch darin kein Unglück. Im Gegenteil meinen sie, es gereiche der Welt und den Betroffnen zum Heil, wenn diese ihrer Rückständigkeit ent¬ rissen und in das Getriebe des modernen „Kulturlebens" hineingezogen werden. Wir haben neulich (im 6. Heft S. 303 bis 304) vernommen, daß Dove die Goldfelder dennoch für ein Unglück hält, weil sie eine vernünftige Besiedlung des Landes verhindern, und wir haben dem Zweifel Ausdruck gegeben, ob bei der Art Menschenmaterial, das dem heutigen England zur Verfügung steht, landwirtschaftliche Kolonisation der südafrikanischen Ödländereien überhaupt noch möglich sei. Wird mau nicht vielleicht, wenn auch das ganze Südafrika industrialisiert und modernisiert sein wird, die Buren noch einmal anders be¬ urteilen? Man wird vielleicht finden, daß Männer und Frauen, die um der Freiheit willen hungern und dürsten, sich in Einöden abrackern, von Löwen fressen oder in Freiheitskämpfen totschießen lassen, auch etwas wert sind, und daß ein musterhaftes Familienleben, willige Übernahme schwerer Arbeit, grund¬ sätzliche Menschlichkeit auch gegen Feinde und Kriegsgefangne, einfältiger Christenglaube und durch kein Unglück zu erschütterndes Gottvertrauen immerhin den Namen Kultur verdienen, wenn sie auch eine etwas andre Kultur als die der Goldspekulanten darstellen. Vorläufig ist übrigens trotz der letzten Annexion die alte Kultur der neuen noch keineswegs vollständig unterlegen. Mitte Februar wurde gemeldet, daß bei den Wahlen für die Volksvertretung in Trans¬ vaal die Partei „Het Volk" die Mehrheit errungen habe, und daß die „Progressiven", die Vertreter der Minenbesitzer, unterlegen seien. Die Frank¬ furter Zeitung bemerkte dazu: „Das Vurenelement kommt damit zu seinem Recht, die Herrschaft der landfremden Spekulanten nimmt ein Ende. Die legitimen Interessen des in den Minen von Transvaal investierten Kapitals

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/253>, abgerufen am 12.12.2024.