Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Vorgeschichte des Burenkrieges

Pretorius äußerte u. a. in einer Unterredung mit dem Hohen Kommissar:
"Wir haben Armut und Entbehrung erduldet, um ein freies Volk zu werden;
darum ist es uns unerträglich, zu britischen Untertanen gemacht und ange¬
schwärzt zu werden von denen, die in unser Land kamen, ihr Glück zu machen."
Und in einer der Königin überreichten Denkschrift sagen die Buren: "Muß es
zum Kriege kommen? Das kann Euer Majestät Wille nicht sein, so wenig
wie es unser Wunsch ist. Euer Majestät kann nicht das Verlangen haben,
über unwillige Untertanen zu herrschen. Denn wir werden zwar treue Nach¬
barn, aber unwillige Untertanen sein." Der Versuchung, der Einladung
Ketschewaios zu folgen und mit ihm verbündet über die durch die Niederlage
bei Jsandhlwana geschwächten Engländer herzufallen, widerstanden sie. Sie
haben sich niemals der Eingebornen gegen Weiße bedient, obwohl die Eng¬
länder niemals Anstand nahmen, Schwarze gegen die Buren zu bewaffnen.
"Die Bewaffnung Farbiger mag dem nicht so schlimm vorkommen, der nicht
weiß, was Kriegführen von südafrikanischen Eingebornen bedeutet, aber der
Bur, der es nur zu wohl weiß, verabscheut es als ein Verbrechen, für das
er keine Worte hat. Und wären die Engländer auch nur einmal in der Lage
gewesen, Landsleute zu sehen, die der von den Buren angestiftete Kaffer grau¬
sam verstümmelt hätte -- nicht ein Fall ist vorgekommen --, dann könnten
sie vielleicht nachempfinden, was die Buren fühlen, die in mehr als einem
Kriege Brüder und Freunde in dieser Weise durch Eingeborne hingemordet
sahen, die von den Engländern angestellt und bewaffnet worden waren."
Interessant ist es zu sehen, wie englische Staatsmänner, namentlich Gladstone
und Chamberlain, wenn sie zufällig gerade der Opposition angehörten, die
Gerechtigkeit der Burensache erkannten und verfochten, aber, zur Regierung
gelangt, sofort vollständig alles vergaßen, was sie ein paar Wochen vorher
ganz genau gewußt hatten. Besonders die Bruchstücke aus Reden Chamberlains,
die Seite 330 bis 334 mitgeteilt werden, mögen der Beachtung empfohlen
werden.

Goethes bekannte Behauptung, daß der Mensch beim Handeln immer ge¬
wissenlos sei, und daß sich das Gewissen erst nachträglich, bei der Reflexion über
das Vollbrachte, zu melden pflege, ist, allgemein genommen, arge Übertreibung;
aber für die Politiker scheint es ausnahmslos zu gelten. Im Augenblick des
politischen Handelns hält der als Privatmann streng rechtschaffne Politiker
die ärgste Schufterei, wenn sie seiner Partei oder seinem Staate nutzt, für voll¬
kommen gerecht; hält sie aufrichtig dafür. Darum dürfen wir mit den Eng¬
ländern nicht ins Gericht gehn. Die auch in der Politik gewissenhaften Buren
sind eben nicht zu den Politikern zu rechnen. Sie waren in dem Grade Privat¬
menschen im altgermanischen Stil, daß ihr loser Verband nur ein Ansatz zu
einem Staate, aber nicht eigentlich ein Staat genannt werden konnte. Darin
eben bestand ihre Freiheit, die sie glühend liebten, und das eben war ihr
Verhängnis, denn diese Art Freiheit ist heute nirgends mehr möglich; sollte


Zur Vorgeschichte des Burenkrieges

Pretorius äußerte u. a. in einer Unterredung mit dem Hohen Kommissar:
„Wir haben Armut und Entbehrung erduldet, um ein freies Volk zu werden;
darum ist es uns unerträglich, zu britischen Untertanen gemacht und ange¬
schwärzt zu werden von denen, die in unser Land kamen, ihr Glück zu machen."
Und in einer der Königin überreichten Denkschrift sagen die Buren: „Muß es
zum Kriege kommen? Das kann Euer Majestät Wille nicht sein, so wenig
wie es unser Wunsch ist. Euer Majestät kann nicht das Verlangen haben,
über unwillige Untertanen zu herrschen. Denn wir werden zwar treue Nach¬
barn, aber unwillige Untertanen sein." Der Versuchung, der Einladung
Ketschewaios zu folgen und mit ihm verbündet über die durch die Niederlage
bei Jsandhlwana geschwächten Engländer herzufallen, widerstanden sie. Sie
haben sich niemals der Eingebornen gegen Weiße bedient, obwohl die Eng¬
länder niemals Anstand nahmen, Schwarze gegen die Buren zu bewaffnen.
„Die Bewaffnung Farbiger mag dem nicht so schlimm vorkommen, der nicht
weiß, was Kriegführen von südafrikanischen Eingebornen bedeutet, aber der
Bur, der es nur zu wohl weiß, verabscheut es als ein Verbrechen, für das
er keine Worte hat. Und wären die Engländer auch nur einmal in der Lage
gewesen, Landsleute zu sehen, die der von den Buren angestiftete Kaffer grau¬
sam verstümmelt hätte — nicht ein Fall ist vorgekommen —, dann könnten
sie vielleicht nachempfinden, was die Buren fühlen, die in mehr als einem
Kriege Brüder und Freunde in dieser Weise durch Eingeborne hingemordet
sahen, die von den Engländern angestellt und bewaffnet worden waren."
Interessant ist es zu sehen, wie englische Staatsmänner, namentlich Gladstone
und Chamberlain, wenn sie zufällig gerade der Opposition angehörten, die
Gerechtigkeit der Burensache erkannten und verfochten, aber, zur Regierung
gelangt, sofort vollständig alles vergaßen, was sie ein paar Wochen vorher
ganz genau gewußt hatten. Besonders die Bruchstücke aus Reden Chamberlains,
die Seite 330 bis 334 mitgeteilt werden, mögen der Beachtung empfohlen
werden.

Goethes bekannte Behauptung, daß der Mensch beim Handeln immer ge¬
wissenlos sei, und daß sich das Gewissen erst nachträglich, bei der Reflexion über
das Vollbrachte, zu melden pflege, ist, allgemein genommen, arge Übertreibung;
aber für die Politiker scheint es ausnahmslos zu gelten. Im Augenblick des
politischen Handelns hält der als Privatmann streng rechtschaffne Politiker
die ärgste Schufterei, wenn sie seiner Partei oder seinem Staate nutzt, für voll¬
kommen gerecht; hält sie aufrichtig dafür. Darum dürfen wir mit den Eng¬
ländern nicht ins Gericht gehn. Die auch in der Politik gewissenhaften Buren
sind eben nicht zu den Politikern zu rechnen. Sie waren in dem Grade Privat¬
menschen im altgermanischen Stil, daß ihr loser Verband nur ein Ansatz zu
einem Staate, aber nicht eigentlich ein Staat genannt werden konnte. Darin
eben bestand ihre Freiheit, die sie glühend liebten, und das eben war ihr
Verhängnis, denn diese Art Freiheit ist heute nirgends mehr möglich; sollte


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0252" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302954"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Vorgeschichte des Burenkrieges</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1035"> Pretorius äußerte u. a. in einer Unterredung mit dem Hohen Kommissar:<lb/>
&#x201E;Wir haben Armut und Entbehrung erduldet, um ein freies Volk zu werden;<lb/>
darum ist es uns unerträglich, zu britischen Untertanen gemacht und ange¬<lb/>
schwärzt zu werden von denen, die in unser Land kamen, ihr Glück zu machen."<lb/>
Und in einer der Königin überreichten Denkschrift sagen die Buren: &#x201E;Muß es<lb/>
zum Kriege kommen? Das kann Euer Majestät Wille nicht sein, so wenig<lb/>
wie es unser Wunsch ist. Euer Majestät kann nicht das Verlangen haben,<lb/>
über unwillige Untertanen zu herrschen. Denn wir werden zwar treue Nach¬<lb/>
barn, aber unwillige Untertanen sein." Der Versuchung, der Einladung<lb/>
Ketschewaios zu folgen und mit ihm verbündet über die durch die Niederlage<lb/>
bei Jsandhlwana geschwächten Engländer herzufallen, widerstanden sie. Sie<lb/>
haben sich niemals der Eingebornen gegen Weiße bedient, obwohl die Eng¬<lb/>
länder niemals Anstand nahmen, Schwarze gegen die Buren zu bewaffnen.<lb/>
&#x201E;Die Bewaffnung Farbiger mag dem nicht so schlimm vorkommen, der nicht<lb/>
weiß, was Kriegführen von südafrikanischen Eingebornen bedeutet, aber der<lb/>
Bur, der es nur zu wohl weiß, verabscheut es als ein Verbrechen, für das<lb/>
er keine Worte hat. Und wären die Engländer auch nur einmal in der Lage<lb/>
gewesen, Landsleute zu sehen, die der von den Buren angestiftete Kaffer grau¬<lb/>
sam verstümmelt hätte &#x2014; nicht ein Fall ist vorgekommen &#x2014;, dann könnten<lb/>
sie vielleicht nachempfinden, was die Buren fühlen, die in mehr als einem<lb/>
Kriege Brüder und Freunde in dieser Weise durch Eingeborne hingemordet<lb/>
sahen, die von den Engländern angestellt und bewaffnet worden waren."<lb/>
Interessant ist es zu sehen, wie englische Staatsmänner, namentlich Gladstone<lb/>
und Chamberlain, wenn sie zufällig gerade der Opposition angehörten, die<lb/>
Gerechtigkeit der Burensache erkannten und verfochten, aber, zur Regierung<lb/>
gelangt, sofort vollständig alles vergaßen, was sie ein paar Wochen vorher<lb/>
ganz genau gewußt hatten. Besonders die Bruchstücke aus Reden Chamberlains,<lb/>
die Seite 330 bis 334 mitgeteilt werden, mögen der Beachtung empfohlen<lb/>
werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1036" next="#ID_1037"> Goethes bekannte Behauptung, daß der Mensch beim Handeln immer ge¬<lb/>
wissenlos sei, und daß sich das Gewissen erst nachträglich, bei der Reflexion über<lb/>
das Vollbrachte, zu melden pflege, ist, allgemein genommen, arge Übertreibung;<lb/>
aber für die Politiker scheint es ausnahmslos zu gelten. Im Augenblick des<lb/>
politischen Handelns hält der als Privatmann streng rechtschaffne Politiker<lb/>
die ärgste Schufterei, wenn sie seiner Partei oder seinem Staate nutzt, für voll¬<lb/>
kommen gerecht; hält sie aufrichtig dafür. Darum dürfen wir mit den Eng¬<lb/>
ländern nicht ins Gericht gehn. Die auch in der Politik gewissenhaften Buren<lb/>
sind eben nicht zu den Politikern zu rechnen. Sie waren in dem Grade Privat¬<lb/>
menschen im altgermanischen Stil, daß ihr loser Verband nur ein Ansatz zu<lb/>
einem Staate, aber nicht eigentlich ein Staat genannt werden konnte. Darin<lb/>
eben bestand ihre Freiheit, die sie glühend liebten, und das eben war ihr<lb/>
Verhängnis, denn diese Art Freiheit ist heute nirgends mehr möglich; sollte</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0252] Zur Vorgeschichte des Burenkrieges Pretorius äußerte u. a. in einer Unterredung mit dem Hohen Kommissar: „Wir haben Armut und Entbehrung erduldet, um ein freies Volk zu werden; darum ist es uns unerträglich, zu britischen Untertanen gemacht und ange¬ schwärzt zu werden von denen, die in unser Land kamen, ihr Glück zu machen." Und in einer der Königin überreichten Denkschrift sagen die Buren: „Muß es zum Kriege kommen? Das kann Euer Majestät Wille nicht sein, so wenig wie es unser Wunsch ist. Euer Majestät kann nicht das Verlangen haben, über unwillige Untertanen zu herrschen. Denn wir werden zwar treue Nach¬ barn, aber unwillige Untertanen sein." Der Versuchung, der Einladung Ketschewaios zu folgen und mit ihm verbündet über die durch die Niederlage bei Jsandhlwana geschwächten Engländer herzufallen, widerstanden sie. Sie haben sich niemals der Eingebornen gegen Weiße bedient, obwohl die Eng¬ länder niemals Anstand nahmen, Schwarze gegen die Buren zu bewaffnen. „Die Bewaffnung Farbiger mag dem nicht so schlimm vorkommen, der nicht weiß, was Kriegführen von südafrikanischen Eingebornen bedeutet, aber der Bur, der es nur zu wohl weiß, verabscheut es als ein Verbrechen, für das er keine Worte hat. Und wären die Engländer auch nur einmal in der Lage gewesen, Landsleute zu sehen, die der von den Buren angestiftete Kaffer grau¬ sam verstümmelt hätte — nicht ein Fall ist vorgekommen —, dann könnten sie vielleicht nachempfinden, was die Buren fühlen, die in mehr als einem Kriege Brüder und Freunde in dieser Weise durch Eingeborne hingemordet sahen, die von den Engländern angestellt und bewaffnet worden waren." Interessant ist es zu sehen, wie englische Staatsmänner, namentlich Gladstone und Chamberlain, wenn sie zufällig gerade der Opposition angehörten, die Gerechtigkeit der Burensache erkannten und verfochten, aber, zur Regierung gelangt, sofort vollständig alles vergaßen, was sie ein paar Wochen vorher ganz genau gewußt hatten. Besonders die Bruchstücke aus Reden Chamberlains, die Seite 330 bis 334 mitgeteilt werden, mögen der Beachtung empfohlen werden. Goethes bekannte Behauptung, daß der Mensch beim Handeln immer ge¬ wissenlos sei, und daß sich das Gewissen erst nachträglich, bei der Reflexion über das Vollbrachte, zu melden pflege, ist, allgemein genommen, arge Übertreibung; aber für die Politiker scheint es ausnahmslos zu gelten. Im Augenblick des politischen Handelns hält der als Privatmann streng rechtschaffne Politiker die ärgste Schufterei, wenn sie seiner Partei oder seinem Staate nutzt, für voll¬ kommen gerecht; hält sie aufrichtig dafür. Darum dürfen wir mit den Eng¬ ländern nicht ins Gericht gehn. Die auch in der Politik gewissenhaften Buren sind eben nicht zu den Politikern zu rechnen. Sie waren in dem Grade Privat¬ menschen im altgermanischen Stil, daß ihr loser Verband nur ein Ansatz zu einem Staate, aber nicht eigentlich ein Staat genannt werden konnte. Darin eben bestand ihre Freiheit, die sie glühend liebten, und das eben war ihr Verhängnis, denn diese Art Freiheit ist heute nirgends mehr möglich; sollte

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/252
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/252>, abgerufen am 01.09.2024.