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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Papst Pius der Zehnte

Hoffnung auf das Reich Gottes zu predigen: an die Stelle dieses Reiches ist die
Kirche gekommen, die nun fortfährt, diese Hoffnung zu predigen...." Nun
mag zugegeben werden, daß diese Thesen Loisys mit den Dogmen der katho¬
lischen Kirche nicht zusammenstimmen, und daß die Ablehnung der Thesen
nur die einfache Konsequenz der Einrichtungen und Traditionen der Kirche ist.
Aber die Thesen sind zugleich die Früchte eines in umfangreichen Veröffent¬
lichungen dokumentierten loyalen Bibelstudiums, und wenn wirklich die Päpst¬
liche Freigabe des Bibelstudiums ernst genommen werden dürfte, so hätte es
genügt, mors solido die Schriften Loisys von der Jndexkongregation in die
Reihe der verbotnen aufnehmen zu lassen, und es hätte nicht eines Prozesses
vor dem Heiligen Offizinen und einer ultraradikalen, die Lust an ernstlichem
Bibelstudium allen halbwegs kirchentreuen Leuten gründlich verleidenden Ver¬
dammung bedurft.

Daß "der Heilige" von Fogazzaro, der die Ergebenheit gegen die Kirche
und die Treue zur katholischen Religion bei aller Aufzeigung der das Wesen
der Kirche und der Religion heute alterierenden Erscheinungen wahrlich nicht
vermissen läßt, auch auf den Index gekommen ist, scheint einer Anzahl von
deutschen Katholiken, die in der Zugehörigkeit zum Zentrum ein unzweideutiges
Zeugnis ihrer Gesinnung haben, der Hauptanlaß gewesen zu sein, eine Petition
an den Papst vorzubereiten, in der in gehorsamster Weise Einwände gegen die
geltende Praxis der Jndexkongregation erhoben und Wünsche nach liberalem
Kriterien ausgesprochen werden. Die Vorbereitung der Petition ist bekannt ge¬
worden, und aus dem Vatikan ist die "peinliche Überraschung" so deutlich mit¬
geteilt worden, daß sich die Petenten alles weitere sparen und eines quos eZo
von päpstlicher Seite gewärtig sein dürfen. Ja man darf sagen, daß der neue
Syllabus vom 3. Juli mit seiner entschiednen Verdammung jedweden Bedenkens
gegen Recht, Vollkommenheit und Nützlichkeit des Index eigens auf die deutschen
Petenten berechnet sei.

Pius der Zehnte gestattet nicht den leisesten Zweifel an seiner päpstlichen
Unfehlbarkeit. Pius der Zehnte will nichts von Freiheit und will nichts von
Bildung im wissenschaftlichen Sinne wissen. Pius der Zehnte will kein lebendiges
Verständnis von Inhalt und Absicht der Religion Christi. Pius der Zehnte
hat und erkennt keine Überzeugung an außerhalb der Dogmatik und keine Moral
außerhalb der Befolgung der Gebote der nach den Kirchenvätern und den Be¬
schlüssen der Konzilien sowie im übrigen nach der Tradition der Jesuiten zu
begreifenden römisch-katholischen Kirche.




Papst Pius der Zehnte

Hoffnung auf das Reich Gottes zu predigen: an die Stelle dieses Reiches ist die
Kirche gekommen, die nun fortfährt, diese Hoffnung zu predigen...." Nun
mag zugegeben werden, daß diese Thesen Loisys mit den Dogmen der katho¬
lischen Kirche nicht zusammenstimmen, und daß die Ablehnung der Thesen
nur die einfache Konsequenz der Einrichtungen und Traditionen der Kirche ist.
Aber die Thesen sind zugleich die Früchte eines in umfangreichen Veröffent¬
lichungen dokumentierten loyalen Bibelstudiums, und wenn wirklich die Päpst¬
liche Freigabe des Bibelstudiums ernst genommen werden dürfte, so hätte es
genügt, mors solido die Schriften Loisys von der Jndexkongregation in die
Reihe der verbotnen aufnehmen zu lassen, und es hätte nicht eines Prozesses
vor dem Heiligen Offizinen und einer ultraradikalen, die Lust an ernstlichem
Bibelstudium allen halbwegs kirchentreuen Leuten gründlich verleidenden Ver¬
dammung bedurft.

Daß „der Heilige" von Fogazzaro, der die Ergebenheit gegen die Kirche
und die Treue zur katholischen Religion bei aller Aufzeigung der das Wesen
der Kirche und der Religion heute alterierenden Erscheinungen wahrlich nicht
vermissen läßt, auch auf den Index gekommen ist, scheint einer Anzahl von
deutschen Katholiken, die in der Zugehörigkeit zum Zentrum ein unzweideutiges
Zeugnis ihrer Gesinnung haben, der Hauptanlaß gewesen zu sein, eine Petition
an den Papst vorzubereiten, in der in gehorsamster Weise Einwände gegen die
geltende Praxis der Jndexkongregation erhoben und Wünsche nach liberalem
Kriterien ausgesprochen werden. Die Vorbereitung der Petition ist bekannt ge¬
worden, und aus dem Vatikan ist die „peinliche Überraschung" so deutlich mit¬
geteilt worden, daß sich die Petenten alles weitere sparen und eines quos eZo
von päpstlicher Seite gewärtig sein dürfen. Ja man darf sagen, daß der neue
Syllabus vom 3. Juli mit seiner entschiednen Verdammung jedweden Bedenkens
gegen Recht, Vollkommenheit und Nützlichkeit des Index eigens auf die deutschen
Petenten berechnet sei.

Pius der Zehnte gestattet nicht den leisesten Zweifel an seiner päpstlichen
Unfehlbarkeit. Pius der Zehnte will nichts von Freiheit und will nichts von
Bildung im wissenschaftlichen Sinne wissen. Pius der Zehnte will kein lebendiges
Verständnis von Inhalt und Absicht der Religion Christi. Pius der Zehnte
hat und erkennt keine Überzeugung an außerhalb der Dogmatik und keine Moral
außerhalb der Befolgung der Gebote der nach den Kirchenvätern und den Be¬
schlüssen der Konzilien sowie im übrigen nach der Tradition der Jesuiten zu
begreifenden römisch-katholischen Kirche.




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[0235] Papst Pius der Zehnte Hoffnung auf das Reich Gottes zu predigen: an die Stelle dieses Reiches ist die Kirche gekommen, die nun fortfährt, diese Hoffnung zu predigen...." Nun mag zugegeben werden, daß diese Thesen Loisys mit den Dogmen der katho¬ lischen Kirche nicht zusammenstimmen, und daß die Ablehnung der Thesen nur die einfache Konsequenz der Einrichtungen und Traditionen der Kirche ist. Aber die Thesen sind zugleich die Früchte eines in umfangreichen Veröffent¬ lichungen dokumentierten loyalen Bibelstudiums, und wenn wirklich die Päpst¬ liche Freigabe des Bibelstudiums ernst genommen werden dürfte, so hätte es genügt, mors solido die Schriften Loisys von der Jndexkongregation in die Reihe der verbotnen aufnehmen zu lassen, und es hätte nicht eines Prozesses vor dem Heiligen Offizinen und einer ultraradikalen, die Lust an ernstlichem Bibelstudium allen halbwegs kirchentreuen Leuten gründlich verleidenden Ver¬ dammung bedurft. Daß „der Heilige" von Fogazzaro, der die Ergebenheit gegen die Kirche und die Treue zur katholischen Religion bei aller Aufzeigung der das Wesen der Kirche und der Religion heute alterierenden Erscheinungen wahrlich nicht vermissen läßt, auch auf den Index gekommen ist, scheint einer Anzahl von deutschen Katholiken, die in der Zugehörigkeit zum Zentrum ein unzweideutiges Zeugnis ihrer Gesinnung haben, der Hauptanlaß gewesen zu sein, eine Petition an den Papst vorzubereiten, in der in gehorsamster Weise Einwände gegen die geltende Praxis der Jndexkongregation erhoben und Wünsche nach liberalem Kriterien ausgesprochen werden. Die Vorbereitung der Petition ist bekannt ge¬ worden, und aus dem Vatikan ist die „peinliche Überraschung" so deutlich mit¬ geteilt worden, daß sich die Petenten alles weitere sparen und eines quos eZo von päpstlicher Seite gewärtig sein dürfen. Ja man darf sagen, daß der neue Syllabus vom 3. Juli mit seiner entschiednen Verdammung jedweden Bedenkens gegen Recht, Vollkommenheit und Nützlichkeit des Index eigens auf die deutschen Petenten berechnet sei. Pius der Zehnte gestattet nicht den leisesten Zweifel an seiner päpstlichen Unfehlbarkeit. Pius der Zehnte will nichts von Freiheit und will nichts von Bildung im wissenschaftlichen Sinne wissen. Pius der Zehnte will kein lebendiges Verständnis von Inhalt und Absicht der Religion Christi. Pius der Zehnte hat und erkennt keine Überzeugung an außerhalb der Dogmatik und keine Moral außerhalb der Befolgung der Gebote der nach den Kirchenvätern und den Be¬ schlüssen der Konzilien sowie im übrigen nach der Tradition der Jesuiten zu begreifenden römisch-katholischen Kirche.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/235>, abgerufen am 01.09.2024.