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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Papst Plus der Zehnte

fußt auf wirklichen Vorkommnissen, die ein Werben der weltlichen Macht um die
Gunst der geistlichen bis zu einem gewissen peinlich berührenden hohen Grade
verraten.

Aber in dem Komplex der gegenwärtig in Italien gegebnen Verhältnisse
gibt es Dinge -- und ich denke dabei namentlich an die Angelegenheit der
katholischen italienischen Missionare im Orient, die der Papst vielfach vor den
Missionaren andrer Nationalität bevorzugt, und deren Anstalten er nach dem
Konflikt mit Frankreich sich offen unter das Protektorat des Königreichs Italien
hat stellen lassen, sowie an die päpstliche Bekämpfung des slawischen Idioms in
den Kirchen Dalmatiens, Jstriens und Kroatiens zugunsten des lateinischen und
der Italiener --, die verraten, daß sich Pius der Zehnte bei aller durch seine
Papstrolle gebotnen intransigenten Pose sehr lebhaft als Italiener fühlt und
den italienischen nationalen Interessen nach Kräften zu dienen bestrebt ist. Es
ist auch keineswegs unwahrscheinlich, daß seine Vorliebe für die Berufung
italienischer Kardinäle auf die vakanten Posten des Kardinalkollegiums außer
von Geistesverwandtschaft zwischen ihm und ihnen auch von nationalistischen
Motiven stark bestimmt ist. Ebensowenig mag es ungern geschehen, daß die
konservativ-reaktionäre Wirksamkeit des Papstes auf sozialpolitischen Felde die
Schwierigkeiten mindert, die der Staatsregierung aus der fortschreitenden
revolutionären Bewegung erwachsen.

Es ist natürlich eine Frage für sich, wie weit des Papstes Pius sozial-
Politische Absichten vorhalten können, ohne in wesentlichen Bestandteilen ack
Adsurcluni gelangt zu sein. In einem Erlasse vom 21. Dezember 1903 hat sich
Pius der Zehnte genauer über sein sozialpolitisches "System" geäußert, und
zwar in Form von neunzehn Leitsätzen, denen man es anmerkt, daß sie normativ
gedacht und das Resultat einer Verschmelzung der in Leos des Dreizehnter drei
sozialpolitischen Enzykliken enthaltnen Forderungen mit den eignen Meinungen
Pius des Zehnten sind. Er behauptet hier 1, daß die menschliche Gesell¬
schaft aus ungleichen Elementen gebildet wird, die gleich zu machen unmöglich
ist. An diese Wahrheit reiht er s.et 2 und 3 die Sätze, daß eine Gleichheit der
Menschen nur bestehe in ihrem Ursprünge von Gott, und daß es eben zufolge gött¬
licher Ordnung -- also in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft -- Herrscher
und Untertanen, Herren (!) und Knechtes!), Reiche und Arme, Gelehrte und Un¬
wissendes). Adliges!) und Plebejer(!) gebe, 5 setzt er fest, daß der Mensch das
Recht des Gütergebrauchs und außer diesem das Recht auf Eigentum habe, und aä 6,
daß das Privateigentum, zumal da es auf einem unveräußerlichen Naturrecht
beruhe, vererbt und verschenkt werden könne. Er empfiehlt zugleich als Ver¬
söhnungsmittel der doch von ihm selbst auf göttliche Ordnung zurückgeführten
Klassengegensätze und vornehmlich des Gegensatzes von arm und reich "Gerechtig¬
keit" und "Werktätige Nächstenliebe". Gerechtigkeitspflichten des Proletariers
nennt er in Satz 7: die übernommene Arbeit treu zu Ende zu führen, dem'
Besitz und der Person des Arbeitgebers keinerlei Schaden zuzufügen sowie sich


Papst Plus der Zehnte

fußt auf wirklichen Vorkommnissen, die ein Werben der weltlichen Macht um die
Gunst der geistlichen bis zu einem gewissen peinlich berührenden hohen Grade
verraten.

Aber in dem Komplex der gegenwärtig in Italien gegebnen Verhältnisse
gibt es Dinge — und ich denke dabei namentlich an die Angelegenheit der
katholischen italienischen Missionare im Orient, die der Papst vielfach vor den
Missionaren andrer Nationalität bevorzugt, und deren Anstalten er nach dem
Konflikt mit Frankreich sich offen unter das Protektorat des Königreichs Italien
hat stellen lassen, sowie an die päpstliche Bekämpfung des slawischen Idioms in
den Kirchen Dalmatiens, Jstriens und Kroatiens zugunsten des lateinischen und
der Italiener —, die verraten, daß sich Pius der Zehnte bei aller durch seine
Papstrolle gebotnen intransigenten Pose sehr lebhaft als Italiener fühlt und
den italienischen nationalen Interessen nach Kräften zu dienen bestrebt ist. Es
ist auch keineswegs unwahrscheinlich, daß seine Vorliebe für die Berufung
italienischer Kardinäle auf die vakanten Posten des Kardinalkollegiums außer
von Geistesverwandtschaft zwischen ihm und ihnen auch von nationalistischen
Motiven stark bestimmt ist. Ebensowenig mag es ungern geschehen, daß die
konservativ-reaktionäre Wirksamkeit des Papstes auf sozialpolitischen Felde die
Schwierigkeiten mindert, die der Staatsregierung aus der fortschreitenden
revolutionären Bewegung erwachsen.

Es ist natürlich eine Frage für sich, wie weit des Papstes Pius sozial-
Politische Absichten vorhalten können, ohne in wesentlichen Bestandteilen ack
Adsurcluni gelangt zu sein. In einem Erlasse vom 21. Dezember 1903 hat sich
Pius der Zehnte genauer über sein sozialpolitisches „System" geäußert, und
zwar in Form von neunzehn Leitsätzen, denen man es anmerkt, daß sie normativ
gedacht und das Resultat einer Verschmelzung der in Leos des Dreizehnter drei
sozialpolitischen Enzykliken enthaltnen Forderungen mit den eignen Meinungen
Pius des Zehnten sind. Er behauptet hier 1, daß die menschliche Gesell¬
schaft aus ungleichen Elementen gebildet wird, die gleich zu machen unmöglich
ist. An diese Wahrheit reiht er s.et 2 und 3 die Sätze, daß eine Gleichheit der
Menschen nur bestehe in ihrem Ursprünge von Gott, und daß es eben zufolge gött¬
licher Ordnung — also in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft — Herrscher
und Untertanen, Herren (!) und Knechtes!), Reiche und Arme, Gelehrte und Un¬
wissendes). Adliges!) und Plebejer(!) gebe, 5 setzt er fest, daß der Mensch das
Recht des Gütergebrauchs und außer diesem das Recht auf Eigentum habe, und aä 6,
daß das Privateigentum, zumal da es auf einem unveräußerlichen Naturrecht
beruhe, vererbt und verschenkt werden könne. Er empfiehlt zugleich als Ver¬
söhnungsmittel der doch von ihm selbst auf göttliche Ordnung zurückgeführten
Klassengegensätze und vornehmlich des Gegensatzes von arm und reich „Gerechtig¬
keit" und „Werktätige Nächstenliebe". Gerechtigkeitspflichten des Proletariers
nennt er in Satz 7: die übernommene Arbeit treu zu Ende zu führen, dem'
Besitz und der Person des Arbeitgebers keinerlei Schaden zuzufügen sowie sich


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[0231] Papst Plus der Zehnte fußt auf wirklichen Vorkommnissen, die ein Werben der weltlichen Macht um die Gunst der geistlichen bis zu einem gewissen peinlich berührenden hohen Grade verraten. Aber in dem Komplex der gegenwärtig in Italien gegebnen Verhältnisse gibt es Dinge — und ich denke dabei namentlich an die Angelegenheit der katholischen italienischen Missionare im Orient, die der Papst vielfach vor den Missionaren andrer Nationalität bevorzugt, und deren Anstalten er nach dem Konflikt mit Frankreich sich offen unter das Protektorat des Königreichs Italien hat stellen lassen, sowie an die päpstliche Bekämpfung des slawischen Idioms in den Kirchen Dalmatiens, Jstriens und Kroatiens zugunsten des lateinischen und der Italiener —, die verraten, daß sich Pius der Zehnte bei aller durch seine Papstrolle gebotnen intransigenten Pose sehr lebhaft als Italiener fühlt und den italienischen nationalen Interessen nach Kräften zu dienen bestrebt ist. Es ist auch keineswegs unwahrscheinlich, daß seine Vorliebe für die Berufung italienischer Kardinäle auf die vakanten Posten des Kardinalkollegiums außer von Geistesverwandtschaft zwischen ihm und ihnen auch von nationalistischen Motiven stark bestimmt ist. Ebensowenig mag es ungern geschehen, daß die konservativ-reaktionäre Wirksamkeit des Papstes auf sozialpolitischen Felde die Schwierigkeiten mindert, die der Staatsregierung aus der fortschreitenden revolutionären Bewegung erwachsen. Es ist natürlich eine Frage für sich, wie weit des Papstes Pius sozial- Politische Absichten vorhalten können, ohne in wesentlichen Bestandteilen ack Adsurcluni gelangt zu sein. In einem Erlasse vom 21. Dezember 1903 hat sich Pius der Zehnte genauer über sein sozialpolitisches „System" geäußert, und zwar in Form von neunzehn Leitsätzen, denen man es anmerkt, daß sie normativ gedacht und das Resultat einer Verschmelzung der in Leos des Dreizehnter drei sozialpolitischen Enzykliken enthaltnen Forderungen mit den eignen Meinungen Pius des Zehnten sind. Er behauptet hier 1, daß die menschliche Gesell¬ schaft aus ungleichen Elementen gebildet wird, die gleich zu machen unmöglich ist. An diese Wahrheit reiht er s.et 2 und 3 die Sätze, daß eine Gleichheit der Menschen nur bestehe in ihrem Ursprünge von Gott, und daß es eben zufolge gött¬ licher Ordnung — also in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft — Herrscher und Untertanen, Herren (!) und Knechtes!), Reiche und Arme, Gelehrte und Un¬ wissendes). Adliges!) und Plebejer(!) gebe, 5 setzt er fest, daß der Mensch das Recht des Gütergebrauchs und außer diesem das Recht auf Eigentum habe, und aä 6, daß das Privateigentum, zumal da es auf einem unveräußerlichen Naturrecht beruhe, vererbt und verschenkt werden könne. Er empfiehlt zugleich als Ver¬ söhnungsmittel der doch von ihm selbst auf göttliche Ordnung zurückgeführten Klassengegensätze und vornehmlich des Gegensatzes von arm und reich „Gerechtig¬ keit" und „Werktätige Nächstenliebe". Gerechtigkeitspflichten des Proletariers nennt er in Satz 7: die übernommene Arbeit treu zu Ende zu führen, dem' Besitz und der Person des Arbeitgebers keinerlei Schaden zuzufügen sowie sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/231>, abgerufen am 12.12.2024.