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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Papst plus der Zehnte

Konkrete Folgen dieser Ideen und Prinzipien erkennt man natürlich am
klarsten auf dem staatspolitischen Felde. Der Papst, der für den Erdenbereich
Gottes Autorität für seine Person in Anspruch nimmt, kann natürlich nicht
umhin, sich als den berufnen Herrn und Lehrer der Staaten und Nationen zu
betrachten, alles Politische aus dem päpstlichen Willen abzuleiten- Also sind
ihm Staat und Kirche nicht bloß untrennbar, sondern der Staat ist ihm nichts
als die aus rein technischen Gründen in weitgehendem Maße emanzipierte
Organisation einiger der Lebensäußerungen der ursprünglich und eigentlich voll¬
ständig in die Sphäre der Kirche gehörenden Menschen. Dies ist die Quelle
der neuerdings wieder stark betonten kirchlichen Ansprüche auf die Schule und
der päpstlichen Bestrebungen nach Leitung und Gründung von politischen,
Berufs- und Standesvereinen, wie es die Quelle ist aller sonstigen Vor- und
Sonderrechte geistiger und materieller Art, die die Kirche -- freilich nicht erst
seit heute -- im bürgerlichen Leben beansprucht.

Die praktische Nutzanwendung dieser Auffassung ist am besten in Spanien
zu bemerken. Hier geht es der römischen Kirche gewiß recht gut: nur wenige
tausend Menschen sind in Spanien nicht Katholiken, und sogar diese wenigen
dürfen die Besonderheit ihrer Religion und ihres Kultus nicht öffentlich kund¬
geben; zwei Drittel der Bevölkerung ist analphabet und dem geistlichen Ein¬
fluß absolut hingegeben; Schulen und Erziehungsanstalten höherer und niedrer
Ordnung werden in verhältnismäßig sehr großer Zahl von Klöstern unter¬
halten und von Geistlichen geleitet; Ordensniederlassungen sind wenngleich
nicht gesetzlich, so in der Tat frei; das Staatsbudget stellt alljährlich für den
mit einem Übermaß von Personal versehenen Kultus nicht weniger als
33 Millionen Mark ein; König sowie Parlament und Negierung sind trotz
gelegentlicher bescheidner Einwände und Abwege dem Vatikan ergeben. Dennoch
hat der Papst in einem Briefe an den Primas von Spanien, Kardinal Saucha,
den Wunsch ausgesprochen nach einem engern Zusammenschluß der spanischen
Katholiken im spezifischen Interesse der politischen Geltung der Kirche; nach
einem Zusammenschluß, der analog der Gliederung der Bevölkerung in Diözesen
und unter der unmittelbaren Leitung der Bischöfe geschehen und verharren soll,
und dessen Ausschuß im Parlament die bisherigen Parteien der Konservativen
und Liberalen wo nicht absorbieren, so beeinflussen oder gegeneinander aus¬
spielen soll. Als Aufgabe dieser politischen Gruppierung ist vom Papste zu¬
nächst die Neuregelung des Unterrichtswesens in Aussicht genommen; erstens,
das verfassungsmäßige Recht eines jeden Spaniers, im Rahmen der gesetzlichen
Sonderbestimmungen Schulen zu gründen und zu unterhalten, soll beseitigt und
dieses Recht ausschließlich den Klöstern eingeräumt werden, zweitens, die
Klosterschulen sollen den staatlichen Prüfungskommissionen nicht mehr unterstellt
sein und alle Befähigungs- und Reifezeugnisse selbständig erteilen dürfen.

Was Frankreich und seine besondern Verhältnisse angeht, so ist der
Papst ja gerade bei der Gelegenheit einer in der Methode ganz und gar nicht


Papst plus der Zehnte

Konkrete Folgen dieser Ideen und Prinzipien erkennt man natürlich am
klarsten auf dem staatspolitischen Felde. Der Papst, der für den Erdenbereich
Gottes Autorität für seine Person in Anspruch nimmt, kann natürlich nicht
umhin, sich als den berufnen Herrn und Lehrer der Staaten und Nationen zu
betrachten, alles Politische aus dem päpstlichen Willen abzuleiten- Also sind
ihm Staat und Kirche nicht bloß untrennbar, sondern der Staat ist ihm nichts
als die aus rein technischen Gründen in weitgehendem Maße emanzipierte
Organisation einiger der Lebensäußerungen der ursprünglich und eigentlich voll¬
ständig in die Sphäre der Kirche gehörenden Menschen. Dies ist die Quelle
der neuerdings wieder stark betonten kirchlichen Ansprüche auf die Schule und
der päpstlichen Bestrebungen nach Leitung und Gründung von politischen,
Berufs- und Standesvereinen, wie es die Quelle ist aller sonstigen Vor- und
Sonderrechte geistiger und materieller Art, die die Kirche — freilich nicht erst
seit heute — im bürgerlichen Leben beansprucht.

Die praktische Nutzanwendung dieser Auffassung ist am besten in Spanien
zu bemerken. Hier geht es der römischen Kirche gewiß recht gut: nur wenige
tausend Menschen sind in Spanien nicht Katholiken, und sogar diese wenigen
dürfen die Besonderheit ihrer Religion und ihres Kultus nicht öffentlich kund¬
geben; zwei Drittel der Bevölkerung ist analphabet und dem geistlichen Ein¬
fluß absolut hingegeben; Schulen und Erziehungsanstalten höherer und niedrer
Ordnung werden in verhältnismäßig sehr großer Zahl von Klöstern unter¬
halten und von Geistlichen geleitet; Ordensniederlassungen sind wenngleich
nicht gesetzlich, so in der Tat frei; das Staatsbudget stellt alljährlich für den
mit einem Übermaß von Personal versehenen Kultus nicht weniger als
33 Millionen Mark ein; König sowie Parlament und Negierung sind trotz
gelegentlicher bescheidner Einwände und Abwege dem Vatikan ergeben. Dennoch
hat der Papst in einem Briefe an den Primas von Spanien, Kardinal Saucha,
den Wunsch ausgesprochen nach einem engern Zusammenschluß der spanischen
Katholiken im spezifischen Interesse der politischen Geltung der Kirche; nach
einem Zusammenschluß, der analog der Gliederung der Bevölkerung in Diözesen
und unter der unmittelbaren Leitung der Bischöfe geschehen und verharren soll,
und dessen Ausschuß im Parlament die bisherigen Parteien der Konservativen
und Liberalen wo nicht absorbieren, so beeinflussen oder gegeneinander aus¬
spielen soll. Als Aufgabe dieser politischen Gruppierung ist vom Papste zu¬
nächst die Neuregelung des Unterrichtswesens in Aussicht genommen; erstens,
das verfassungsmäßige Recht eines jeden Spaniers, im Rahmen der gesetzlichen
Sonderbestimmungen Schulen zu gründen und zu unterhalten, soll beseitigt und
dieses Recht ausschließlich den Klöstern eingeräumt werden, zweitens, die
Klosterschulen sollen den staatlichen Prüfungskommissionen nicht mehr unterstellt
sein und alle Befähigungs- und Reifezeugnisse selbständig erteilen dürfen.

Was Frankreich und seine besondern Verhältnisse angeht, so ist der
Papst ja gerade bei der Gelegenheit einer in der Methode ganz und gar nicht


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[0227] Papst plus der Zehnte Konkrete Folgen dieser Ideen und Prinzipien erkennt man natürlich am klarsten auf dem staatspolitischen Felde. Der Papst, der für den Erdenbereich Gottes Autorität für seine Person in Anspruch nimmt, kann natürlich nicht umhin, sich als den berufnen Herrn und Lehrer der Staaten und Nationen zu betrachten, alles Politische aus dem päpstlichen Willen abzuleiten- Also sind ihm Staat und Kirche nicht bloß untrennbar, sondern der Staat ist ihm nichts als die aus rein technischen Gründen in weitgehendem Maße emanzipierte Organisation einiger der Lebensäußerungen der ursprünglich und eigentlich voll¬ ständig in die Sphäre der Kirche gehörenden Menschen. Dies ist die Quelle der neuerdings wieder stark betonten kirchlichen Ansprüche auf die Schule und der päpstlichen Bestrebungen nach Leitung und Gründung von politischen, Berufs- und Standesvereinen, wie es die Quelle ist aller sonstigen Vor- und Sonderrechte geistiger und materieller Art, die die Kirche — freilich nicht erst seit heute — im bürgerlichen Leben beansprucht. Die praktische Nutzanwendung dieser Auffassung ist am besten in Spanien zu bemerken. Hier geht es der römischen Kirche gewiß recht gut: nur wenige tausend Menschen sind in Spanien nicht Katholiken, und sogar diese wenigen dürfen die Besonderheit ihrer Religion und ihres Kultus nicht öffentlich kund¬ geben; zwei Drittel der Bevölkerung ist analphabet und dem geistlichen Ein¬ fluß absolut hingegeben; Schulen und Erziehungsanstalten höherer und niedrer Ordnung werden in verhältnismäßig sehr großer Zahl von Klöstern unter¬ halten und von Geistlichen geleitet; Ordensniederlassungen sind wenngleich nicht gesetzlich, so in der Tat frei; das Staatsbudget stellt alljährlich für den mit einem Übermaß von Personal versehenen Kultus nicht weniger als 33 Millionen Mark ein; König sowie Parlament und Negierung sind trotz gelegentlicher bescheidner Einwände und Abwege dem Vatikan ergeben. Dennoch hat der Papst in einem Briefe an den Primas von Spanien, Kardinal Saucha, den Wunsch ausgesprochen nach einem engern Zusammenschluß der spanischen Katholiken im spezifischen Interesse der politischen Geltung der Kirche; nach einem Zusammenschluß, der analog der Gliederung der Bevölkerung in Diözesen und unter der unmittelbaren Leitung der Bischöfe geschehen und verharren soll, und dessen Ausschuß im Parlament die bisherigen Parteien der Konservativen und Liberalen wo nicht absorbieren, so beeinflussen oder gegeneinander aus¬ spielen soll. Als Aufgabe dieser politischen Gruppierung ist vom Papste zu¬ nächst die Neuregelung des Unterrichtswesens in Aussicht genommen; erstens, das verfassungsmäßige Recht eines jeden Spaniers, im Rahmen der gesetzlichen Sonderbestimmungen Schulen zu gründen und zu unterhalten, soll beseitigt und dieses Recht ausschließlich den Klöstern eingeräumt werden, zweitens, die Klosterschulen sollen den staatlichen Prüfungskommissionen nicht mehr unterstellt sein und alle Befähigungs- und Reifezeugnisse selbständig erteilen dürfen. Was Frankreich und seine besondern Verhältnisse angeht, so ist der Papst ja gerade bei der Gelegenheit einer in der Methode ganz und gar nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/227>, abgerufen am 01.09.2024.