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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Frankreichs Allianzversuche 1^363 bis ^370

Herr von Beust, daß die Septemberkonvention nicht mehr der Situation ent¬
spreche, und daß man den Italienern nicht verwehren könne, von den Päpst¬
lichen Staaten Besitz zu ergreifen. Österreich werde sichs zur Ehre rechnen,
wenn ihm Frankreich die Verantwortlichkeit für eine Lösung der römischen
Frage überlasse. Die zuletzt genannte Anregung ist wohl der sprechendste Be¬
weis dafür, daß dem österreichischen Reichskanzler alles daran lag, die einem
Einvernehmen entgegenstehenden Hindernisse aus dem Wege zu räumen, Italien
den Eintritt in die Aktion zu erleichtern und somit zum "wahren Zweck" seiner
Politik, an das Ziel einer wirksamen Tripelallianz zu gelangen.

Doch gerade die römische Frage wurde abermals zu einem Stein des An¬
stoßes. Vimercati, der in Florenz wenig Geneigtheit, in den Krieg einzutreten,
aber große Geneigtheit, nach Rom zu gelangen, gefunden hatte, kam am 24. Juli
von dort nach Wien, wo nun am folgenden Tag eine Konferenz mit Latour
d'Auvergne, Beust und Vitzthum stattfand. Wieder verlangte der französische
Botschafter die sofortige Mitwirkung Österreichs durch Absendung eines Armee¬
korps nach Böhmen. Wiederum erklärte dies Beust für unmöglich, dagegen
war er bereit, mit Italien eine gemeinschaftliche Mediation zu vereinbaren, die
sich nach Vollendung der Rüstungen und nach einer voraussichtlich fruchtlosen
Sommation an Preußen in eine endige Mitwirkung verwandeln sollte. Vimercati
erklärte sich ermächtigt, eine solche Übereinkunft: Neutralität und Mediation
abzuschließen, einen Zweibund, der, wenn der Zeitpunkt gekommen sei, zur
Grundlage des Dreibundes dienen sollte; dabei setzte er aber voraus, daß Italien
das Ziel seiner nationalen Wünsche erreiche und nach Abzug der Franzosen
in den Besitz seiner natürlichen Hauptstadt gelange. Der französische Botschafter
widersprach; er bezweifelte, ob dies im Sinne des Kaisers sei: "Räumung
Roms -- ja, aber Besetzung durch Italien -- nein." In einer Audienz, die
der Botschafter an demselben Tage bei Franz Joseph hatte, sagte dieser, er
schreibe an Napoleon den Dritten, die Neutralitätserklärung ändre nichts an
seinen guten Gesinnungen für Frankreich, und Österreich beschleunige seine
Rüstungen, um imstande zu sein, Frankreich tatsächliche Hilfe zu leisten. Der
Kaiser zweifelte nicht an der Einwilligung Viktor Emanuels und befürwortete
seinerseits, daß Napoleon den Italienern keine Schwierigkeiten in der römischen
Frage mache, wenn er auch in dieser Sache nach Latours Bericht geringern
Eifer zeigte als sein Kanzler. Wirklich gab Viktor Emanuel "mit Freuden"
seine Zustimmung, und Beust machte sich mit Vimercati ans Werk, den Ver¬
trag über die gemeinsame Mediation zum Abschluß zu bringen. Der Vertrag
bestand aus acht Artikeln; er verpflichtete zu einer für Frankreich wohlwollenden
Neutralität, und im Falle der Versuch einer Vermittlung fehlschlüge, zu
schleuniger Kriegsrüstung. In der römischen Frage hieß es. Österreich solle
sich bei Frankreich dafür verwenden, daß die sofortige Räumung des Kirchen¬
staates unter Bedingungen geschehe, die den Wünschen und Interessen Italiens
entsprächen und den innern Frieden des Königreichs sicher stellten.


Grenzboten III 1907 24
Frankreichs Allianzversuche 1^363 bis ^370

Herr von Beust, daß die Septemberkonvention nicht mehr der Situation ent¬
spreche, und daß man den Italienern nicht verwehren könne, von den Päpst¬
lichen Staaten Besitz zu ergreifen. Österreich werde sichs zur Ehre rechnen,
wenn ihm Frankreich die Verantwortlichkeit für eine Lösung der römischen
Frage überlasse. Die zuletzt genannte Anregung ist wohl der sprechendste Be¬
weis dafür, daß dem österreichischen Reichskanzler alles daran lag, die einem
Einvernehmen entgegenstehenden Hindernisse aus dem Wege zu räumen, Italien
den Eintritt in die Aktion zu erleichtern und somit zum „wahren Zweck" seiner
Politik, an das Ziel einer wirksamen Tripelallianz zu gelangen.

Doch gerade die römische Frage wurde abermals zu einem Stein des An¬
stoßes. Vimercati, der in Florenz wenig Geneigtheit, in den Krieg einzutreten,
aber große Geneigtheit, nach Rom zu gelangen, gefunden hatte, kam am 24. Juli
von dort nach Wien, wo nun am folgenden Tag eine Konferenz mit Latour
d'Auvergne, Beust und Vitzthum stattfand. Wieder verlangte der französische
Botschafter die sofortige Mitwirkung Österreichs durch Absendung eines Armee¬
korps nach Böhmen. Wiederum erklärte dies Beust für unmöglich, dagegen
war er bereit, mit Italien eine gemeinschaftliche Mediation zu vereinbaren, die
sich nach Vollendung der Rüstungen und nach einer voraussichtlich fruchtlosen
Sommation an Preußen in eine endige Mitwirkung verwandeln sollte. Vimercati
erklärte sich ermächtigt, eine solche Übereinkunft: Neutralität und Mediation
abzuschließen, einen Zweibund, der, wenn der Zeitpunkt gekommen sei, zur
Grundlage des Dreibundes dienen sollte; dabei setzte er aber voraus, daß Italien
das Ziel seiner nationalen Wünsche erreiche und nach Abzug der Franzosen
in den Besitz seiner natürlichen Hauptstadt gelange. Der französische Botschafter
widersprach; er bezweifelte, ob dies im Sinne des Kaisers sei: „Räumung
Roms — ja, aber Besetzung durch Italien — nein." In einer Audienz, die
der Botschafter an demselben Tage bei Franz Joseph hatte, sagte dieser, er
schreibe an Napoleon den Dritten, die Neutralitätserklärung ändre nichts an
seinen guten Gesinnungen für Frankreich, und Österreich beschleunige seine
Rüstungen, um imstande zu sein, Frankreich tatsächliche Hilfe zu leisten. Der
Kaiser zweifelte nicht an der Einwilligung Viktor Emanuels und befürwortete
seinerseits, daß Napoleon den Italienern keine Schwierigkeiten in der römischen
Frage mache, wenn er auch in dieser Sache nach Latours Bericht geringern
Eifer zeigte als sein Kanzler. Wirklich gab Viktor Emanuel „mit Freuden"
seine Zustimmung, und Beust machte sich mit Vimercati ans Werk, den Ver¬
trag über die gemeinsame Mediation zum Abschluß zu bringen. Der Vertrag
bestand aus acht Artikeln; er verpflichtete zu einer für Frankreich wohlwollenden
Neutralität, und im Falle der Versuch einer Vermittlung fehlschlüge, zu
schleuniger Kriegsrüstung. In der römischen Frage hieß es. Österreich solle
sich bei Frankreich dafür verwenden, daß die sofortige Räumung des Kirchen¬
staates unter Bedingungen geschehe, die den Wünschen und Interessen Italiens
entsprächen und den innern Frieden des Königreichs sicher stellten.


Grenzboten III 1907 24
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[0185] Frankreichs Allianzversuche 1^363 bis ^370 Herr von Beust, daß die Septemberkonvention nicht mehr der Situation ent¬ spreche, und daß man den Italienern nicht verwehren könne, von den Päpst¬ lichen Staaten Besitz zu ergreifen. Österreich werde sichs zur Ehre rechnen, wenn ihm Frankreich die Verantwortlichkeit für eine Lösung der römischen Frage überlasse. Die zuletzt genannte Anregung ist wohl der sprechendste Be¬ weis dafür, daß dem österreichischen Reichskanzler alles daran lag, die einem Einvernehmen entgegenstehenden Hindernisse aus dem Wege zu räumen, Italien den Eintritt in die Aktion zu erleichtern und somit zum „wahren Zweck" seiner Politik, an das Ziel einer wirksamen Tripelallianz zu gelangen. Doch gerade die römische Frage wurde abermals zu einem Stein des An¬ stoßes. Vimercati, der in Florenz wenig Geneigtheit, in den Krieg einzutreten, aber große Geneigtheit, nach Rom zu gelangen, gefunden hatte, kam am 24. Juli von dort nach Wien, wo nun am folgenden Tag eine Konferenz mit Latour d'Auvergne, Beust und Vitzthum stattfand. Wieder verlangte der französische Botschafter die sofortige Mitwirkung Österreichs durch Absendung eines Armee¬ korps nach Böhmen. Wiederum erklärte dies Beust für unmöglich, dagegen war er bereit, mit Italien eine gemeinschaftliche Mediation zu vereinbaren, die sich nach Vollendung der Rüstungen und nach einer voraussichtlich fruchtlosen Sommation an Preußen in eine endige Mitwirkung verwandeln sollte. Vimercati erklärte sich ermächtigt, eine solche Übereinkunft: Neutralität und Mediation abzuschließen, einen Zweibund, der, wenn der Zeitpunkt gekommen sei, zur Grundlage des Dreibundes dienen sollte; dabei setzte er aber voraus, daß Italien das Ziel seiner nationalen Wünsche erreiche und nach Abzug der Franzosen in den Besitz seiner natürlichen Hauptstadt gelange. Der französische Botschafter widersprach; er bezweifelte, ob dies im Sinne des Kaisers sei: „Räumung Roms — ja, aber Besetzung durch Italien — nein." In einer Audienz, die der Botschafter an demselben Tage bei Franz Joseph hatte, sagte dieser, er schreibe an Napoleon den Dritten, die Neutralitätserklärung ändre nichts an seinen guten Gesinnungen für Frankreich, und Österreich beschleunige seine Rüstungen, um imstande zu sein, Frankreich tatsächliche Hilfe zu leisten. Der Kaiser zweifelte nicht an der Einwilligung Viktor Emanuels und befürwortete seinerseits, daß Napoleon den Italienern keine Schwierigkeiten in der römischen Frage mache, wenn er auch in dieser Sache nach Latours Bericht geringern Eifer zeigte als sein Kanzler. Wirklich gab Viktor Emanuel „mit Freuden" seine Zustimmung, und Beust machte sich mit Vimercati ans Werk, den Ver¬ trag über die gemeinsame Mediation zum Abschluß zu bringen. Der Vertrag bestand aus acht Artikeln; er verpflichtete zu einer für Frankreich wohlwollenden Neutralität, und im Falle der Versuch einer Vermittlung fehlschlüge, zu schleuniger Kriegsrüstung. In der römischen Frage hieß es. Österreich solle sich bei Frankreich dafür verwenden, daß die sofortige Räumung des Kirchen¬ staates unter Bedingungen geschehe, die den Wünschen und Interessen Italiens entsprächen und den innern Frieden des Königreichs sicher stellten. Grenzboten III 1907 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/185>, abgerufen am 01.09.2024.