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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Frankreichs Allianzversuche ^363 bis ^870

in Bayern, so 150000 Österreicher in Böhmen einrücken sehen. Die Sprache,
die Beust gegen die Vertreter Frankreichs führte, ließ aber durchblicken, daß
das letzte Ziel seiner Politik nicht das Verharren in der Neutralität war. Der
Marquis von Cazaux schrieb: "es heißt, daß die Neutralitätserklärung nur eine
Art Vorwand sei, um die Rüstungen zu decken; Tatsache ist, daß die Rüstungen
in großem Maßstabe beginnen." Als dann am 23. Juli der Fürst Latour
d'Auvergne, der neue Botschafter in Wien, seine erste Unterredung mit Beust
hatte, telegraphierte auch er nach Paris: "Beust mußte die Neutralität erklären,
um sich die Möglichkeit zu verschaffen, für uns zu handeln. Ich erklärte, diese
Neutralität, die den Hoffnungen nicht entspreche, zu denen uns Österreichs
frühere Haltung berechtigte, müßte mindestens von einer Handlung begleitet sein,
die uns gegenüber den entschiednen Willen, uns sobald als möglich zu Hilfe
zu kommen, bekundete, zum Beispiel der sofortigen Absendung eines Armeekorps
nach Böhmen. Beust verweigerte dies, weil er Rußland und deutschfreundliche
Kundgebungen in Österreich fürchtete. Aber er weist den Gedanken eines diplo¬
matischen Aktes nicht zurück, jedoch ohne einen Vertrag zu wollen. . . . Eine
Allianz der drei Höfe wird möglich sein durch eine vorläufige Verständigung
Österreichs und Italiens."

Mit diesen Berichten der französischen Diplomaten stimmt aber auch der
Inhalt der berühmten Depesche überein, die Graf Beust am 20. Juli an den
Fürsten Metternich sandte, und die am 24. dem Herzog von Gramont mitge¬
teilt wurde. Sie lautet ganz anders als jene Depesche vom 11. Juli, die
rundweg den Beistand Österreichs verweigert hatte, aber sie stellt auch die
Grenzen fest, innerhalb deren Österreich seine Hilfe anbot. "Wiederholen Sie
Seiner Majestät und ihren Ministern, daß wir treu unsern Verpflichtungen,
wie sie in den zwischen beiden Souveränen gewechselten Briefen niedergelegt
sind, die Sache Frankreichs als die unsrige betrachten, und daß wir zum Er¬
folg seiner Waffen in den Grenzen des Möglichen beitragen werden." Es folgt
dann die Aufzählung der Schwierigkeiten: die Besorgnis vor russischer Ein¬
mischung, die Haltung der Deutschen und der Ungarn, worauf es weiter heißt:
"Unter diesen Umständen ist uns das Wort Neutralität, das wir nicht ohne
Bedauern aussprechen, durch eine gebieterische Notwendigkeit und eine vernünf¬
tige Würdigung unsrer Interessen auferlegt. Aber diese Neutralität ist nur
das Mittel, uns dem wahren Zweck unsrer Politik zu nähern, das einzige
Mittel, unsre Rüstungen zu vollenden, ohne uns einem plötzlichen Angriff, sei
es Preußens, sei es Rußlands, auszusetzen. . . . Indessen haben wir keinen
Augenblick verloren, uns mit Italien über die Mediation, deren Initiative der
Kaiser Napoleon uns überließ, in Verbindung zu setzen. Werden die neuen
Grundlagen, die Sie uns übermitteln, den Zweck erreichen, den die französische
Regierung im Auge hat? Mit andern Worten, werden sie von Preußen unan¬
nehmbar gefunden werden? Wie dem sei, wir nehmen sie als Ausgangspunkt
einer kombinierten Aktion an, wenn Italien sie annimmt." Schließlich erklärt


Frankreichs Allianzversuche ^363 bis ^870

in Bayern, so 150000 Österreicher in Böhmen einrücken sehen. Die Sprache,
die Beust gegen die Vertreter Frankreichs führte, ließ aber durchblicken, daß
das letzte Ziel seiner Politik nicht das Verharren in der Neutralität war. Der
Marquis von Cazaux schrieb: „es heißt, daß die Neutralitätserklärung nur eine
Art Vorwand sei, um die Rüstungen zu decken; Tatsache ist, daß die Rüstungen
in großem Maßstabe beginnen." Als dann am 23. Juli der Fürst Latour
d'Auvergne, der neue Botschafter in Wien, seine erste Unterredung mit Beust
hatte, telegraphierte auch er nach Paris: „Beust mußte die Neutralität erklären,
um sich die Möglichkeit zu verschaffen, für uns zu handeln. Ich erklärte, diese
Neutralität, die den Hoffnungen nicht entspreche, zu denen uns Österreichs
frühere Haltung berechtigte, müßte mindestens von einer Handlung begleitet sein,
die uns gegenüber den entschiednen Willen, uns sobald als möglich zu Hilfe
zu kommen, bekundete, zum Beispiel der sofortigen Absendung eines Armeekorps
nach Böhmen. Beust verweigerte dies, weil er Rußland und deutschfreundliche
Kundgebungen in Österreich fürchtete. Aber er weist den Gedanken eines diplo¬
matischen Aktes nicht zurück, jedoch ohne einen Vertrag zu wollen. . . . Eine
Allianz der drei Höfe wird möglich sein durch eine vorläufige Verständigung
Österreichs und Italiens."

Mit diesen Berichten der französischen Diplomaten stimmt aber auch der
Inhalt der berühmten Depesche überein, die Graf Beust am 20. Juli an den
Fürsten Metternich sandte, und die am 24. dem Herzog von Gramont mitge¬
teilt wurde. Sie lautet ganz anders als jene Depesche vom 11. Juli, die
rundweg den Beistand Österreichs verweigert hatte, aber sie stellt auch die
Grenzen fest, innerhalb deren Österreich seine Hilfe anbot. „Wiederholen Sie
Seiner Majestät und ihren Ministern, daß wir treu unsern Verpflichtungen,
wie sie in den zwischen beiden Souveränen gewechselten Briefen niedergelegt
sind, die Sache Frankreichs als die unsrige betrachten, und daß wir zum Er¬
folg seiner Waffen in den Grenzen des Möglichen beitragen werden." Es folgt
dann die Aufzählung der Schwierigkeiten: die Besorgnis vor russischer Ein¬
mischung, die Haltung der Deutschen und der Ungarn, worauf es weiter heißt:
„Unter diesen Umständen ist uns das Wort Neutralität, das wir nicht ohne
Bedauern aussprechen, durch eine gebieterische Notwendigkeit und eine vernünf¬
tige Würdigung unsrer Interessen auferlegt. Aber diese Neutralität ist nur
das Mittel, uns dem wahren Zweck unsrer Politik zu nähern, das einzige
Mittel, unsre Rüstungen zu vollenden, ohne uns einem plötzlichen Angriff, sei
es Preußens, sei es Rußlands, auszusetzen. . . . Indessen haben wir keinen
Augenblick verloren, uns mit Italien über die Mediation, deren Initiative der
Kaiser Napoleon uns überließ, in Verbindung zu setzen. Werden die neuen
Grundlagen, die Sie uns übermitteln, den Zweck erreichen, den die französische
Regierung im Auge hat? Mit andern Worten, werden sie von Preußen unan¬
nehmbar gefunden werden? Wie dem sei, wir nehmen sie als Ausgangspunkt
einer kombinierten Aktion an, wenn Italien sie annimmt." Schließlich erklärt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/184>, abgerufen am 01.09.2024.