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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Nochmals der höhere Verwaltungsdienst in Preußen

Die zweite Prüfung zerfällt, wie bisher, in einen schriftlichen und einen
mündlichen Teil. Sie soll sich erstrecken "auf das in Preußen geltende öffentliche
und Privatrecht, insbesondre auf das Verfassuugs- und Verwaltungsrecht, sowie
aus die Volks- und Staatswirtschaftslehre". Dabei erhebt sich sofort die Frage,
was das Privatrecht in diesem Programm solle. Die privatrechtlichen Kenntnisse,
die der Regierungsreferendar von der Universität und aus seiner oberflächlichen
praktischen Tätigkeit beim Amtsgericht mitgebracht hat, sind längst vergessen.
Während des Vorbereitungsdienstes in der Verwaltung wird er sich mit Privat¬
recht nicht mehr beschäftigen können, auch soll dieses nach der früher hier
wörtlich mitgeteilten Vorschrift des Regulativs ja auch kein Gegenstand der
Kurse sein. Inwieweit es also in der Assessorprüfung gefragt werden kann, ist
mir nicht klar geworden.

Die schriftliche Prüfung besteht in einer größern freien schriftlichen Arbeit,
die während des Vorbereitungsdienstes anzufertigen ist, und aus zwei Klausur¬
arbeiten in der Prüfung selbst. Die freie Arbeit ist sehr wichtig für das Bestehen
der Prüfung, deren spätere Abschnitte auch mit Rücksicht auf sie bedeutend
verkürzt und erleichtert worden sind. Die Aufgabe zu dieser freien Arbeit wird
von dem Regierungspräsidenten gestellt. Sie kann rein praktisch sein oder einen
mehr wissenschaftlichen Charakter haben, auch ein Bericht aus der Tätigkeit des
Regierungsreferendars beim Landrat oder bei der Gemeindeverwaltung sein.
Die Arbeit ist von dem Leiter des Vorbereitungsdienstes eingehend zu zensieren
und von dem Regierungspräsidenten einzusehen. Diese Bestimmung scheint mir
den Wert dieser neuen Anordnung zum großen Teil wieder aufzuheben. Ein¬
gehend zensieren kann man eine Arbeit nur dann, wenn man den Gegenstand,
den sie behandelt, eingehend kennt. Deshalb wird es dem Leiter des Vor¬
bereitungsdienstes wahrscheinlich sehr schwer fallen, geeignete Aufgaben zu finden.
Er wird wohl überall kein praktisches Dezernat mehr haben und deshalb darauf
angewiesen, jedenfalls aber geneigt sein, einseitige theoretische Doktorfragen
zusammen zu tifteln. Besser wäre es gewesen, die Auswahl der Aufgaben und
zum mindesten die erste Beurteilung der Arbeiten den einzelnen Dezernenten,
bei denen die Referendare praktisch arbeiten, zu überlassen. Abgesehen hiervon
enthalten die Vorschriften über die zweite Prüfung wichtige Verbesserungen.
Aber ein grundsätzliches Bedenken habe ich doch noch. Die Prüfung wird im
ganzen wesentlich erleichtert, jedenfalls bequemer gemacht. Ich fürchte, daß dies
auf das Verhältnis zwischen Justiz und Verwaltung zurückwirken wird, und
glaube darum, daß es besser gewesen wäre, nicht auf einmal mit der Vergangen¬
heit so vollständig zu brechen.

Ich muß meine Ausführungen dahin zusammenfassen, daß die Neuordnung
der Ausbildung der jungen Verwaltungsbeamten kein wesentlicher Fortschritt
im ganzen ist, sondern ein Rückschritt. Namentlich hat sie gerade das nicht
gebracht, was man vor allem erstrebt hat: eine bessere wissenschaftliche
Ausbildung der Verwaltungsbeamten. Man hat eben nicht berücksichtigt, daß


Nochmals der höhere Verwaltungsdienst in Preußen

Die zweite Prüfung zerfällt, wie bisher, in einen schriftlichen und einen
mündlichen Teil. Sie soll sich erstrecken „auf das in Preußen geltende öffentliche
und Privatrecht, insbesondre auf das Verfassuugs- und Verwaltungsrecht, sowie
aus die Volks- und Staatswirtschaftslehre". Dabei erhebt sich sofort die Frage,
was das Privatrecht in diesem Programm solle. Die privatrechtlichen Kenntnisse,
die der Regierungsreferendar von der Universität und aus seiner oberflächlichen
praktischen Tätigkeit beim Amtsgericht mitgebracht hat, sind längst vergessen.
Während des Vorbereitungsdienstes in der Verwaltung wird er sich mit Privat¬
recht nicht mehr beschäftigen können, auch soll dieses nach der früher hier
wörtlich mitgeteilten Vorschrift des Regulativs ja auch kein Gegenstand der
Kurse sein. Inwieweit es also in der Assessorprüfung gefragt werden kann, ist
mir nicht klar geworden.

Die schriftliche Prüfung besteht in einer größern freien schriftlichen Arbeit,
die während des Vorbereitungsdienstes anzufertigen ist, und aus zwei Klausur¬
arbeiten in der Prüfung selbst. Die freie Arbeit ist sehr wichtig für das Bestehen
der Prüfung, deren spätere Abschnitte auch mit Rücksicht auf sie bedeutend
verkürzt und erleichtert worden sind. Die Aufgabe zu dieser freien Arbeit wird
von dem Regierungspräsidenten gestellt. Sie kann rein praktisch sein oder einen
mehr wissenschaftlichen Charakter haben, auch ein Bericht aus der Tätigkeit des
Regierungsreferendars beim Landrat oder bei der Gemeindeverwaltung sein.
Die Arbeit ist von dem Leiter des Vorbereitungsdienstes eingehend zu zensieren
und von dem Regierungspräsidenten einzusehen. Diese Bestimmung scheint mir
den Wert dieser neuen Anordnung zum großen Teil wieder aufzuheben. Ein¬
gehend zensieren kann man eine Arbeit nur dann, wenn man den Gegenstand,
den sie behandelt, eingehend kennt. Deshalb wird es dem Leiter des Vor¬
bereitungsdienstes wahrscheinlich sehr schwer fallen, geeignete Aufgaben zu finden.
Er wird wohl überall kein praktisches Dezernat mehr haben und deshalb darauf
angewiesen, jedenfalls aber geneigt sein, einseitige theoretische Doktorfragen
zusammen zu tifteln. Besser wäre es gewesen, die Auswahl der Aufgaben und
zum mindesten die erste Beurteilung der Arbeiten den einzelnen Dezernenten,
bei denen die Referendare praktisch arbeiten, zu überlassen. Abgesehen hiervon
enthalten die Vorschriften über die zweite Prüfung wichtige Verbesserungen.
Aber ein grundsätzliches Bedenken habe ich doch noch. Die Prüfung wird im
ganzen wesentlich erleichtert, jedenfalls bequemer gemacht. Ich fürchte, daß dies
auf das Verhältnis zwischen Justiz und Verwaltung zurückwirken wird, und
glaube darum, daß es besser gewesen wäre, nicht auf einmal mit der Vergangen¬
heit so vollständig zu brechen.

Ich muß meine Ausführungen dahin zusammenfassen, daß die Neuordnung
der Ausbildung der jungen Verwaltungsbeamten kein wesentlicher Fortschritt
im ganzen ist, sondern ein Rückschritt. Namentlich hat sie gerade das nicht
gebracht, was man vor allem erstrebt hat: eine bessere wissenschaftliche
Ausbildung der Verwaltungsbeamten. Man hat eben nicht berücksichtigt, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/179>, abgerufen am 12.12.2024.