Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches daß dieses ohne Preußen unmöglich wäre, daß das Reich nicht dadurch entstanden Einen Zankapfel von einiger Dauerhaftigkeit zwischen Liberalen und Konservativen Maßgebliches und Unmaßgebliches daß dieses ohne Preußen unmöglich wäre, daß das Reich nicht dadurch entstanden Einen Zankapfel von einiger Dauerhaftigkeit zwischen Liberalen und Konservativen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0162" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302864"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_692" prev="#ID_691"> daß dieses ohne Preußen unmöglich wäre, daß das Reich nicht dadurch entstanden<lb/> ist, daß Preußen in Deutschland aufgegangen ist, wie die Phrase von 1848<lb/> lautete, vielmehr durch die Ausdehnung einer Reihe preußischer Institutionen über<lb/> das außerpreußische Drittel von Deutschland, daß der festgefügte Bau des preußischen<lb/> Staates das feste Bollwerk im Falle einer Niederlage sein würde, die einen<lb/> Bundesstaat viel schwerer erschüttern müßte als einen Einheitsstaat, das alles wird<lb/> vergessen oder wird absichtlich verschwiegen, weil es sehr unbequeme Wahrheiten<lb/> sind. Wie wenig namentlich der süddeutsche Liberalismus, dessen größte Schöpfung<lb/> die totgeborne Reichsverfassung von 1849 war, den preußischen Staat noch immer<lb/> begriffen hat, weil ihm der Sinn für die Macht noch immer fehlt, dafür gibt der<lb/> jüngst im Berliner Tageblatt veröffentlichte Brief des Freiherrn Franz von Roggen¬<lb/> bach, in dem manche Liberale während der Konfliktszeit den Nachfolger Bismarcks<lb/> sahen, einen wahrhaft monumentalen, aber auch erschreckenden Beweis. Und wird<lb/> dem Volke nicht immer nur von den Rechten des Bürgers und von der Pflicht<lb/> des Staates, für ihn zu sorgen, vorgeredet, und sehr wenig von seinen Pflichten<lb/> gegen den Staat? Sieht nicht ein großer Teil unsrer gebildeten Jugend ihr<lb/> einziges Ideal in dem „Sichausleben" des Einzelnen, ohne Rücksicht auf andre und<lb/> auf die große Gemeinschaft, in der er steht? Neigt nicht eine weitverbreitete Auf¬<lb/> fassung dazu, die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse zu überschätzen, den<lb/> Staat, das Reich des bewußten Willens, zu unterschätzen? Bekämpfe nicht eine<lb/> starke Partei grundsätzlich unser erprobtes Heerwesen, die volkstümlichste Armee<lb/> der Welt, und rüttelt sie nicht fortwährend an den Grundlagen seiner Disziplin?<lb/> Der Krieg selbst gilt gar vielen nicht als die notwendige Folge der staatlichen<lb/> Souveränität, sondern als eine Barbarei, als ein Widerspruch gegen die „Humanität",<lb/> die man dnrch Schiedsgerichte und Friedenskongresse aus der Welt schaffen möchte.<lb/> Unsre Soldaten haben in Südafrika unter den schwierigsten Verhältnissen gezeigt,<lb/> daß der alte deutsche Soldatengeist noch in ihnen lebt, und sie werden das anch<lb/> auf europäischen Schlachtfeldern wieder zeigen; aber ob dieses täglich wohlhabender<lb/> werdende, durch einen langen Frieden seit mehr als einem Menschenalter ver¬<lb/> wöhnte und sittlich gewissermaßen verweichlichte Volk in seiner Masse bei einem<lb/> großen Kriege schwankenden Ganges, der uns vielleicht schwere Niederlagen bringt,<lb/> das notwendige Maß von Ausdauer und Opferwilligkeit bewähren wird, das<lb/> Volk, das schon die Opfer einer gründlichen Reichsfinanzreform scheut? Wer diese<lb/> und ähnliche Gedanken weiter verfolgen und sich über den Krieg 1806/07 von<lb/> Jena bis Tilsit, namentlich anch über das sozusagen psychologische Moment dieses<lb/> Krieges, genauer, als aus den landläufigen Darstellungen möglich ist, unterrichten<lb/> will, dem empfehlen wir angelegentlich das treffliche, vor kurzem erschienene neue<lb/> Buch des Generals Colmar von der Goltz: „Von Jena bis Preußisch-Eylau".<lb/> (Berlin, E, S. Mittler Sohn, 1907.)</p><lb/> <p xml:id="ID_693" next="#ID_694"> Einen Zankapfel von einiger Dauerhaftigkeit zwischen Liberalen und Konservativen<lb/> scheint der Entwurf eines neuen Wahlgesetzes für die zweite sächsische Kummer<lb/> bieten zu wollen. Das übrigens mit Hilfe der Liberalen zustande gekommne Wahl¬<lb/> gesetz von 1896 hat sich so wenig bewährt und so viel Mißstimmung hervorgerufen,<lb/> daß der jetzt leitende Minister, Graf von Hohenthal und Bergen, gleich bei seinem<lb/> Amtsantritt eine Änderung in Aussicht stellte. Der von ihm bei dem sächsischen<lb/> Gemeindetage in Bautzen angekündigte Entwurf ist vor kurzem mit eingehenden<lb/> Erläuterungen amtlich veröffentlicht worden. Danach wird die zweite Kammer auf<lb/> sechs Jahre gewählt, erneuert sich also auch in diesen Fristen vollständig, nicht wie<lb/> jetzt immer nur zu einem Drittel. Weiter fällt der von den Liberalen viel¬<lb/> bekämpfte Unterschied zwischen städtischen und ländlichen Wahlkreisen weg, der ja</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0162]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
daß dieses ohne Preußen unmöglich wäre, daß das Reich nicht dadurch entstanden
ist, daß Preußen in Deutschland aufgegangen ist, wie die Phrase von 1848
lautete, vielmehr durch die Ausdehnung einer Reihe preußischer Institutionen über
das außerpreußische Drittel von Deutschland, daß der festgefügte Bau des preußischen
Staates das feste Bollwerk im Falle einer Niederlage sein würde, die einen
Bundesstaat viel schwerer erschüttern müßte als einen Einheitsstaat, das alles wird
vergessen oder wird absichtlich verschwiegen, weil es sehr unbequeme Wahrheiten
sind. Wie wenig namentlich der süddeutsche Liberalismus, dessen größte Schöpfung
die totgeborne Reichsverfassung von 1849 war, den preußischen Staat noch immer
begriffen hat, weil ihm der Sinn für die Macht noch immer fehlt, dafür gibt der
jüngst im Berliner Tageblatt veröffentlichte Brief des Freiherrn Franz von Roggen¬
bach, in dem manche Liberale während der Konfliktszeit den Nachfolger Bismarcks
sahen, einen wahrhaft monumentalen, aber auch erschreckenden Beweis. Und wird
dem Volke nicht immer nur von den Rechten des Bürgers und von der Pflicht
des Staates, für ihn zu sorgen, vorgeredet, und sehr wenig von seinen Pflichten
gegen den Staat? Sieht nicht ein großer Teil unsrer gebildeten Jugend ihr
einziges Ideal in dem „Sichausleben" des Einzelnen, ohne Rücksicht auf andre und
auf die große Gemeinschaft, in der er steht? Neigt nicht eine weitverbreitete Auf¬
fassung dazu, die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse zu überschätzen, den
Staat, das Reich des bewußten Willens, zu unterschätzen? Bekämpfe nicht eine
starke Partei grundsätzlich unser erprobtes Heerwesen, die volkstümlichste Armee
der Welt, und rüttelt sie nicht fortwährend an den Grundlagen seiner Disziplin?
Der Krieg selbst gilt gar vielen nicht als die notwendige Folge der staatlichen
Souveränität, sondern als eine Barbarei, als ein Widerspruch gegen die „Humanität",
die man dnrch Schiedsgerichte und Friedenskongresse aus der Welt schaffen möchte.
Unsre Soldaten haben in Südafrika unter den schwierigsten Verhältnissen gezeigt,
daß der alte deutsche Soldatengeist noch in ihnen lebt, und sie werden das anch
auf europäischen Schlachtfeldern wieder zeigen; aber ob dieses täglich wohlhabender
werdende, durch einen langen Frieden seit mehr als einem Menschenalter ver¬
wöhnte und sittlich gewissermaßen verweichlichte Volk in seiner Masse bei einem
großen Kriege schwankenden Ganges, der uns vielleicht schwere Niederlagen bringt,
das notwendige Maß von Ausdauer und Opferwilligkeit bewähren wird, das
Volk, das schon die Opfer einer gründlichen Reichsfinanzreform scheut? Wer diese
und ähnliche Gedanken weiter verfolgen und sich über den Krieg 1806/07 von
Jena bis Tilsit, namentlich anch über das sozusagen psychologische Moment dieses
Krieges, genauer, als aus den landläufigen Darstellungen möglich ist, unterrichten
will, dem empfehlen wir angelegentlich das treffliche, vor kurzem erschienene neue
Buch des Generals Colmar von der Goltz: „Von Jena bis Preußisch-Eylau".
(Berlin, E, S. Mittler Sohn, 1907.)
Einen Zankapfel von einiger Dauerhaftigkeit zwischen Liberalen und Konservativen
scheint der Entwurf eines neuen Wahlgesetzes für die zweite sächsische Kummer
bieten zu wollen. Das übrigens mit Hilfe der Liberalen zustande gekommne Wahl¬
gesetz von 1896 hat sich so wenig bewährt und so viel Mißstimmung hervorgerufen,
daß der jetzt leitende Minister, Graf von Hohenthal und Bergen, gleich bei seinem
Amtsantritt eine Änderung in Aussicht stellte. Der von ihm bei dem sächsischen
Gemeindetage in Bautzen angekündigte Entwurf ist vor kurzem mit eingehenden
Erläuterungen amtlich veröffentlicht worden. Danach wird die zweite Kammer auf
sechs Jahre gewählt, erneuert sich also auch in diesen Fristen vollständig, nicht wie
jetzt immer nur zu einem Drittel. Weiter fällt der von den Liberalen viel¬
bekämpfte Unterschied zwischen städtischen und ländlichen Wahlkreisen weg, der ja
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