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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Der Prediger in Nöten

Er war ganz bereit, öffnete rasch die Tür und erreichte die Hintertür fast gleich¬
zeitig mit ihr.

Sie wollen also gehn, Lizzy? sagte er, sobald er auf der Schwelle neben ihr
stand, die nun wieder als kleiner Mann erschien mit einem Gesicht, das durchaus
nicht zum Anzug paßte.

Ich muß, sagte sie, von seinem strengen Ton eingeschüchtert.

Dann werde ich auch gehn, sagte er.

Und ich bin überzeugt, Sie haben Ihre Freude dran! rief sie lebhafter. Das
hat jeder, der es einmal versucht.

Verhüte Gott, daß ich mich darüber freuen sollte! sagte er. Aber ich muß
auf Sie acht geben.

Sie öffneten das Pförtchen und gingen mit einem kleinen Abstand eins neben
dem andern die Straße hinauf, fast ohne ein Wort zu wechseln. Der Abend war
zum schmuggeln weniger geeignet als der vorige, da der Wind schwächer und der
Himmel gegen Norden ziemlich klar war.

Es ist etwas Heller, sagte Stockdale.

Ja, leider, sagte sie. Aber das machen nur die paar Sterne da drüben.
Heut um vier Uhr war Neumond, und ich glaubte, es würde wolkig werden. Ich
hoffe, Wir werden es während dieser Dunkelheit tuu können, denn wenn wir sie
für längere Zeit versenken müssen, dann nimmt das Zeug einen brackigen Geschmack
an, und das mögen die Leute nicht so gern.

Ihr Weg war ein andrer als in der vergangnen Nacht; sobald sie die Straße
verlassen und die Chaussee gekreuzt hatten, bogen sie linker Hand über die Herren¬
halde ab. Als sie die Chcildonniederung erreicht hatten, war Stockdale, bisher
voll Unsicherheit, was er zu ihr sagen sollte, zu dem Entschluß gekommen, jetzt
keine Ermahnungen zu versuchen. Sie war erregt über das Abenteuer; so wollte
er warten, bis es vorüber war, und sich bemühen, sie in Zukunft von solchem
Treiben zurückzuhalten. Ein oder zweimal fiel es ihm während ihres Marsches
ein, daß, sofern die Zollbeamten sie abfaßten, seine Lage schwieriger sein möchte
als die ihre, da es schwer halten würde, das wahre Motiv seiner Anwesenheit zu
beweisen; diese Gefahr siel jedoch neben seinem Wunsch, ihr nahe zu sein, nicht
schwer ins Gewicht.

Sie kamen nun an eine Schlucht an der Grenze von Chelidon, ein Dorf, das
zwei Meilen ans ihrem Wege nach dem gesuchten Küstenpunkt lag. Diesmal brach
Lizzy das Schweigen: Ich muß hier warten, um die Träger zu treffen. Ich weiß
nicht, ob sie schon gekommen sind. Wie ich Ihnen sagte, gehn wir heut Nacht
nach der Lulsteadbai, und die ist zwei Meilen weiter als Ringsworth.

Es erwies sich, daß die Männer schon da waren; während sie sprach, tauchten
zwei bis drei Dutzend Köpfe über der Linie des Abhangs auf, und ein Trupp kam
sogleich hinter den Büschen vor, wo sie versteckt gelegen hatten. Diese Träger
waren Leute, die von Lizzy und den übrigen Teilhabern regelmäßig damit betraut
wurden, die Fässer vom Schiff nach einem Jnlandversteck zu bringen. Es waren
lauter junge Bursche aus Nieder-Moynton, Chaldon und Umgegend, ruhige, gut¬
artige Leute, die den Transport der Ladung für Lizzy und ihren Vetter Owlett
ohne Umstände übernahmen, ganz so, wie sie jede andre Arbeit gegen entsprechende
Bezahlung verrichtet hätten.

Auf ein Wort von ihr traten sie zusammen. Besser, ihr nehmt es jetzt,
sagte sie zu ihnen und reichte jedem ein Päckchen. Es enthielt sechs Schillinge,
ihre Bezahlung für das nächtliche Unternehmen, die ohne Rücksicht auf Gelingen


Der Prediger in Nöten

Er war ganz bereit, öffnete rasch die Tür und erreichte die Hintertür fast gleich¬
zeitig mit ihr.

Sie wollen also gehn, Lizzy? sagte er, sobald er auf der Schwelle neben ihr
stand, die nun wieder als kleiner Mann erschien mit einem Gesicht, das durchaus
nicht zum Anzug paßte.

Ich muß, sagte sie, von seinem strengen Ton eingeschüchtert.

Dann werde ich auch gehn, sagte er.

Und ich bin überzeugt, Sie haben Ihre Freude dran! rief sie lebhafter. Das
hat jeder, der es einmal versucht.

Verhüte Gott, daß ich mich darüber freuen sollte! sagte er. Aber ich muß
auf Sie acht geben.

Sie öffneten das Pförtchen und gingen mit einem kleinen Abstand eins neben
dem andern die Straße hinauf, fast ohne ein Wort zu wechseln. Der Abend war
zum schmuggeln weniger geeignet als der vorige, da der Wind schwächer und der
Himmel gegen Norden ziemlich klar war.

Es ist etwas Heller, sagte Stockdale.

Ja, leider, sagte sie. Aber das machen nur die paar Sterne da drüben.
Heut um vier Uhr war Neumond, und ich glaubte, es würde wolkig werden. Ich
hoffe, Wir werden es während dieser Dunkelheit tuu können, denn wenn wir sie
für längere Zeit versenken müssen, dann nimmt das Zeug einen brackigen Geschmack
an, und das mögen die Leute nicht so gern.

Ihr Weg war ein andrer als in der vergangnen Nacht; sobald sie die Straße
verlassen und die Chaussee gekreuzt hatten, bogen sie linker Hand über die Herren¬
halde ab. Als sie die Chcildonniederung erreicht hatten, war Stockdale, bisher
voll Unsicherheit, was er zu ihr sagen sollte, zu dem Entschluß gekommen, jetzt
keine Ermahnungen zu versuchen. Sie war erregt über das Abenteuer; so wollte
er warten, bis es vorüber war, und sich bemühen, sie in Zukunft von solchem
Treiben zurückzuhalten. Ein oder zweimal fiel es ihm während ihres Marsches
ein, daß, sofern die Zollbeamten sie abfaßten, seine Lage schwieriger sein möchte
als die ihre, da es schwer halten würde, das wahre Motiv seiner Anwesenheit zu
beweisen; diese Gefahr siel jedoch neben seinem Wunsch, ihr nahe zu sein, nicht
schwer ins Gewicht.

Sie kamen nun an eine Schlucht an der Grenze von Chelidon, ein Dorf, das
zwei Meilen ans ihrem Wege nach dem gesuchten Küstenpunkt lag. Diesmal brach
Lizzy das Schweigen: Ich muß hier warten, um die Träger zu treffen. Ich weiß
nicht, ob sie schon gekommen sind. Wie ich Ihnen sagte, gehn wir heut Nacht
nach der Lulsteadbai, und die ist zwei Meilen weiter als Ringsworth.

Es erwies sich, daß die Männer schon da waren; während sie sprach, tauchten
zwei bis drei Dutzend Köpfe über der Linie des Abhangs auf, und ein Trupp kam
sogleich hinter den Büschen vor, wo sie versteckt gelegen hatten. Diese Träger
waren Leute, die von Lizzy und den übrigen Teilhabern regelmäßig damit betraut
wurden, die Fässer vom Schiff nach einem Jnlandversteck zu bringen. Es waren
lauter junge Bursche aus Nieder-Moynton, Chaldon und Umgegend, ruhige, gut¬
artige Leute, die den Transport der Ladung für Lizzy und ihren Vetter Owlett
ohne Umstände übernahmen, ganz so, wie sie jede andre Arbeit gegen entsprechende
Bezahlung verrichtet hätten.

Auf ein Wort von ihr traten sie zusammen. Besser, ihr nehmt es jetzt,
sagte sie zu ihnen und reichte jedem ein Päckchen. Es enthielt sechs Schillinge,
ihre Bezahlung für das nächtliche Unternehmen, die ohne Rücksicht auf Gelingen


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[0158] Der Prediger in Nöten Er war ganz bereit, öffnete rasch die Tür und erreichte die Hintertür fast gleich¬ zeitig mit ihr. Sie wollen also gehn, Lizzy? sagte er, sobald er auf der Schwelle neben ihr stand, die nun wieder als kleiner Mann erschien mit einem Gesicht, das durchaus nicht zum Anzug paßte. Ich muß, sagte sie, von seinem strengen Ton eingeschüchtert. Dann werde ich auch gehn, sagte er. Und ich bin überzeugt, Sie haben Ihre Freude dran! rief sie lebhafter. Das hat jeder, der es einmal versucht. Verhüte Gott, daß ich mich darüber freuen sollte! sagte er. Aber ich muß auf Sie acht geben. Sie öffneten das Pförtchen und gingen mit einem kleinen Abstand eins neben dem andern die Straße hinauf, fast ohne ein Wort zu wechseln. Der Abend war zum schmuggeln weniger geeignet als der vorige, da der Wind schwächer und der Himmel gegen Norden ziemlich klar war. Es ist etwas Heller, sagte Stockdale. Ja, leider, sagte sie. Aber das machen nur die paar Sterne da drüben. Heut um vier Uhr war Neumond, und ich glaubte, es würde wolkig werden. Ich hoffe, Wir werden es während dieser Dunkelheit tuu können, denn wenn wir sie für längere Zeit versenken müssen, dann nimmt das Zeug einen brackigen Geschmack an, und das mögen die Leute nicht so gern. Ihr Weg war ein andrer als in der vergangnen Nacht; sobald sie die Straße verlassen und die Chaussee gekreuzt hatten, bogen sie linker Hand über die Herren¬ halde ab. Als sie die Chcildonniederung erreicht hatten, war Stockdale, bisher voll Unsicherheit, was er zu ihr sagen sollte, zu dem Entschluß gekommen, jetzt keine Ermahnungen zu versuchen. Sie war erregt über das Abenteuer; so wollte er warten, bis es vorüber war, und sich bemühen, sie in Zukunft von solchem Treiben zurückzuhalten. Ein oder zweimal fiel es ihm während ihres Marsches ein, daß, sofern die Zollbeamten sie abfaßten, seine Lage schwieriger sein möchte als die ihre, da es schwer halten würde, das wahre Motiv seiner Anwesenheit zu beweisen; diese Gefahr siel jedoch neben seinem Wunsch, ihr nahe zu sein, nicht schwer ins Gewicht. Sie kamen nun an eine Schlucht an der Grenze von Chelidon, ein Dorf, das zwei Meilen ans ihrem Wege nach dem gesuchten Küstenpunkt lag. Diesmal brach Lizzy das Schweigen: Ich muß hier warten, um die Träger zu treffen. Ich weiß nicht, ob sie schon gekommen sind. Wie ich Ihnen sagte, gehn wir heut Nacht nach der Lulsteadbai, und die ist zwei Meilen weiter als Ringsworth. Es erwies sich, daß die Männer schon da waren; während sie sprach, tauchten zwei bis drei Dutzend Köpfe über der Linie des Abhangs auf, und ein Trupp kam sogleich hinter den Büschen vor, wo sie versteckt gelegen hatten. Diese Träger waren Leute, die von Lizzy und den übrigen Teilhabern regelmäßig damit betraut wurden, die Fässer vom Schiff nach einem Jnlandversteck zu bringen. Es waren lauter junge Bursche aus Nieder-Moynton, Chaldon und Umgegend, ruhige, gut¬ artige Leute, die den Transport der Ladung für Lizzy und ihren Vetter Owlett ohne Umstände übernahmen, ganz so, wie sie jede andre Arbeit gegen entsprechende Bezahlung verrichtet hätten. Auf ein Wort von ihr traten sie zusammen. Besser, ihr nehmt es jetzt, sagte sie zu ihnen und reichte jedem ein Päckchen. Es enthielt sechs Schillinge, ihre Bezahlung für das nächtliche Unternehmen, die ohne Rücksicht auf Gelingen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/158>, abgerufen am 05.12.2024.