Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.Naturwissenschaft und Theismus enthielt. Dort mußten sie ein Gehirn ausbilden, das sie befähigte, zu unter¬ Naturwissenschaft und Theismus enthielt. Dort mußten sie ein Gehirn ausbilden, das sie befähigte, zu unter¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0131" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302833"/> <fw type="header" place="top"> Naturwissenschaft und Theismus</fw><lb/> <p xml:id="ID_535" prev="#ID_534" next="#ID_536"> enthielt. Dort mußten sie ein Gehirn ausbilden, das sie befähigte, zu unter¬<lb/> scheiden und zu wählen. Die beiden primären Instinkte sind der Selbster¬<lb/> haltungstrieb und der Trieb zur Fortentwicklung; zu ihm gehört der Zeugungs¬<lb/> trieb. Der erste ist egoistischer, der zweite altruistischer Natur. sekundäre<lb/> Instinkte entstehn aus überlegten Handlungen durch deren oftmalige Wieder¬<lb/> holung und Einübung (das bekannteste Beispiel dafür ist das Klavierspiel des<lb/> Virtuosen, der blitzschnell die richtigen Tasten instinktiv trifft). Der diskursive<lb/> Intellekt erzieht den intuitiver durch Suggestion bis zum vollendeten Altruismus.<lb/> Der Beweis, den Hudson zu liefern verspricht, lautet nun in Kürze folgender¬<lb/> maßen. Wie die Biologie lehrt, können wir keine andern leiblichen und<lb/> seelischen Eigenschaften und Kräfte haben als ererbte. In unserm Urahn muß<lb/> der Anlage nach alles enthalten gewesen sein, was wir besitzen. Unser Urahn<lb/> ist die Monere (das von Haeckel beschriebne strukturlose Protoplasmaklümpchen,<lb/> das noch tiefer steht als die Urzelle, denn diese ist organisiert. Andre Natur¬<lb/> forscher bestreiten die Existenz der Monere, Hudson glaubt daran). In der<lb/> Tat besitzt das niedrigste Lebewesen die Kenntnis von allem, was zu seiner<lb/> Erhaltung notwendig ist, und die Fähigkeit, es sich anzueignen, eine Kenntnis<lb/> und Fähigkeit, die, potenziert gedacht, göttliche Allwissenheit und Allmacht ist.<lb/> (Wer sich der wunderbaren Leistungen der Zelle erinnert, wie sie Hartmann<lb/> beschrieben hat, der wird gestehn, daß sie mit menschlichem Wissen und Können<lb/> verglichen schon an sich, ohne Potenzierung, als Beendigungen eines göttlichen<lb/> Wissens und Könnens erscheinen.) Warum macht nun Haeckel, der die Ver¬<lb/> erbung durch eine lange Ahnenreihe bis zur Monere zurückgeführt Hut, bei<lb/> dieser Halt? Warum fordert er an dieser Stelle einen Bruch mit dein Natur¬<lb/> gesetz, nach dem auch die Monere ihre Eigenschaften und Fähigkeiten geerbt<lb/> haben muß? Weil es nur ein Wesen gibt, von dem sie die Monere geerbt,<lb/> empfangen haben kann, nämlich Gott, und weil Haeckel dessen Existenz um<lb/> keinen Preis zugeben will. Darum schließt er an dieser Stelle das Natur¬<lb/> gesetz aus und dekretiert: die Monere ist durch Urzeugung entstanden. Dieser<lb/> Beweis ist, wie man sieht, nur eine neue Form für den alten Gedanken, daß<lb/> aus nichts — nichts entstehn kann, und daß darum die psychischen und die<lb/> Lebenserscheinungen einem lebendigen, einem geistigen Quell entsprungen sein<lb/> müssen. Hudsons Psychologie aber fällt im wesentlichen mit Hartmanns<lb/> Lehre vom Unbewußten zusammen. Dieses vollziehe nicht allein ohne unser<lb/> Wissen alle Verrichtungen, die zur Erhaltung unsers leiblichen Lebens gehören,<lb/> und die uns die Wahrnehmung der Außenwelt durch die Sinnesorgane ver¬<lb/> mitteln, sondern vou ihm empfingen wir auch unsre Inspirationen und die<lb/> Antriebe zum bewußten Handeln. Diese Wirkungen des „Unbewußten" be¬<lb/> kunden nun die denkbar höchste Intelligenz, und ich bin mit Hudson der An¬<lb/> sicht, daß unbewußte Intelligenz eine (zontiMictio w Ach'sow und völlig un¬<lb/> denkbar sei. Daß das, was auf diesem Gebiete geschieht, uns unbewußt bleibt,<lb/> kaun ja nicht bestritten werden. Hartmann gesteht ein, es ließe sich denken,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0131]
Naturwissenschaft und Theismus
enthielt. Dort mußten sie ein Gehirn ausbilden, das sie befähigte, zu unter¬
scheiden und zu wählen. Die beiden primären Instinkte sind der Selbster¬
haltungstrieb und der Trieb zur Fortentwicklung; zu ihm gehört der Zeugungs¬
trieb. Der erste ist egoistischer, der zweite altruistischer Natur. sekundäre
Instinkte entstehn aus überlegten Handlungen durch deren oftmalige Wieder¬
holung und Einübung (das bekannteste Beispiel dafür ist das Klavierspiel des
Virtuosen, der blitzschnell die richtigen Tasten instinktiv trifft). Der diskursive
Intellekt erzieht den intuitiver durch Suggestion bis zum vollendeten Altruismus.
Der Beweis, den Hudson zu liefern verspricht, lautet nun in Kürze folgender¬
maßen. Wie die Biologie lehrt, können wir keine andern leiblichen und
seelischen Eigenschaften und Kräfte haben als ererbte. In unserm Urahn muß
der Anlage nach alles enthalten gewesen sein, was wir besitzen. Unser Urahn
ist die Monere (das von Haeckel beschriebne strukturlose Protoplasmaklümpchen,
das noch tiefer steht als die Urzelle, denn diese ist organisiert. Andre Natur¬
forscher bestreiten die Existenz der Monere, Hudson glaubt daran). In der
Tat besitzt das niedrigste Lebewesen die Kenntnis von allem, was zu seiner
Erhaltung notwendig ist, und die Fähigkeit, es sich anzueignen, eine Kenntnis
und Fähigkeit, die, potenziert gedacht, göttliche Allwissenheit und Allmacht ist.
(Wer sich der wunderbaren Leistungen der Zelle erinnert, wie sie Hartmann
beschrieben hat, der wird gestehn, daß sie mit menschlichem Wissen und Können
verglichen schon an sich, ohne Potenzierung, als Beendigungen eines göttlichen
Wissens und Könnens erscheinen.) Warum macht nun Haeckel, der die Ver¬
erbung durch eine lange Ahnenreihe bis zur Monere zurückgeführt Hut, bei
dieser Halt? Warum fordert er an dieser Stelle einen Bruch mit dein Natur¬
gesetz, nach dem auch die Monere ihre Eigenschaften und Fähigkeiten geerbt
haben muß? Weil es nur ein Wesen gibt, von dem sie die Monere geerbt,
empfangen haben kann, nämlich Gott, und weil Haeckel dessen Existenz um
keinen Preis zugeben will. Darum schließt er an dieser Stelle das Natur¬
gesetz aus und dekretiert: die Monere ist durch Urzeugung entstanden. Dieser
Beweis ist, wie man sieht, nur eine neue Form für den alten Gedanken, daß
aus nichts — nichts entstehn kann, und daß darum die psychischen und die
Lebenserscheinungen einem lebendigen, einem geistigen Quell entsprungen sein
müssen. Hudsons Psychologie aber fällt im wesentlichen mit Hartmanns
Lehre vom Unbewußten zusammen. Dieses vollziehe nicht allein ohne unser
Wissen alle Verrichtungen, die zur Erhaltung unsers leiblichen Lebens gehören,
und die uns die Wahrnehmung der Außenwelt durch die Sinnesorgane ver¬
mitteln, sondern vou ihm empfingen wir auch unsre Inspirationen und die
Antriebe zum bewußten Handeln. Diese Wirkungen des „Unbewußten" be¬
kunden nun die denkbar höchste Intelligenz, und ich bin mit Hudson der An¬
sicht, daß unbewußte Intelligenz eine (zontiMictio w Ach'sow und völlig un¬
denkbar sei. Daß das, was auf diesem Gebiete geschieht, uns unbewußt bleibt,
kaun ja nicht bestritten werden. Hartmann gesteht ein, es ließe sich denken,
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