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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Frankreichs Allicmzversuche ^363 bis ^370

Kriegs erst den Beginn der französischen Operationen abwarten wollte, zum
Teil auch wegen der Scheu des Kaisers Napoleon, auf folgenschwere Ent¬
scheidungen das letzte Siegel zu drücken- Aber man hatte sich doch über eine
gemeinsame Politik verständigt, die Preußen um Main festhalten wollte, man
war sich bewußt, daß diese Politik zum Kriege führen konnte, ja führen mußte,
und man hatte deshalb militärische Verhandlungen gepflogen, einen gemeinsamen
Kriegsplan zwar nicht festgestellt, aber erwogen und bis ins einzelne durch¬
gesprochen. Und zwar hatte man dabei, aller Wahrscheinlichkeit nach, den Aus-
bruch des Krieges im Frühjahr 1871 ins Auge gefaßt.

An diesem Punkt erhebt sich eine neue, nicht leicht zu entscheidende Streit¬
frage, deshalb schwer zu entscheiden, weil es doch im wesentlichen mündliche Be¬
sprechungen waren, in denen diese Dinge behandelt wurden. Auch hier stehn
sich Delbrück und Oncken auf der einen Seite, auf der andern Sybel, dem auch
Busch folgt, gegenüber. Nach Lebrun bestand nämlich der Erzherzog Albrecht
auf einem Frtthjahrsfeldzug: Frankreich, Österreich und Italien sollten sich bereit¬
halten, um gemeinschaftlich in einem Feldzug im Frühjahr, naus une oaraxg-Zris
als prircksinvs in Aktion treten zu können. Vielleicht ist der Ausdruck mit
Absicht zweideutig gewählt. Man kann ihn so verstehn: es sei, wenn es irgend
einmal zum Kriege komme, dafür die Frühjahrszeit als die für die Verbündeten
günstigste zu wählen; oder aber die Meinung war die, daß der Krieg im nächsten
Frühjahr zum Ausbruch kommen solle. Für die erste Annahme wird der Um¬
stand ins Feld geführt, daß der Erzherzog Albrecht in Paris einmal zu fran¬
zösischen Offizieren sagte, Osterreich brauche noch ein bis zwei Jahre bis zur
Vollendung seiner neuen Heeresorganisation. schlagend ist jedoch dieses Ar¬
gument schon deshalb nicht, weil die österreichische Bedingung, wie sie der Erz¬
herzog den Franzosen gegenüber formulierte, dahin lautete, daß der Befehl zur
Mobilisierung zugleich von allen drei Mächten erfolgen solle, daß Österreich
aber, das sechs Wochen zu seiner Rüstung brauche, dementsprechend später als
Frankreich in die Aktion treten würde. Von einer längern und unbestimmten
Fristerstreckung ist hier nicht die Rede, wie ja auch später bei den Verhand¬
lungen im Juli Österreich seinen Eintritt in die Aktion für September in Aus¬
sicht stellte. Das Entscheidende scheint doch dies zu sein, daß überhaupt schon
über eine Militärkonvention verhandelt wurde. Politische Vereinbarungen können
mit langer Frist getroffen werden; anders, wenn es sich einmal um eine Militär¬
konvention handelt, bei der doch vorauszusetzen ist, daß eine bestimmte, nicht
allzu kurze bemessene Frist in Aussicht genommen ist. Es ist deshalb mit Wahr¬
scheinlichkeit anzunehmen, daß bei den militärischen Verabredungen mit einem
Feldzug im nächsten Frühjahr, im Frühjahr 1871, gerechnet worden ist.




Frankreichs Allicmzversuche ^363 bis ^370

Kriegs erst den Beginn der französischen Operationen abwarten wollte, zum
Teil auch wegen der Scheu des Kaisers Napoleon, auf folgenschwere Ent¬
scheidungen das letzte Siegel zu drücken- Aber man hatte sich doch über eine
gemeinsame Politik verständigt, die Preußen um Main festhalten wollte, man
war sich bewußt, daß diese Politik zum Kriege führen konnte, ja führen mußte,
und man hatte deshalb militärische Verhandlungen gepflogen, einen gemeinsamen
Kriegsplan zwar nicht festgestellt, aber erwogen und bis ins einzelne durch¬
gesprochen. Und zwar hatte man dabei, aller Wahrscheinlichkeit nach, den Aus-
bruch des Krieges im Frühjahr 1871 ins Auge gefaßt.

An diesem Punkt erhebt sich eine neue, nicht leicht zu entscheidende Streit¬
frage, deshalb schwer zu entscheiden, weil es doch im wesentlichen mündliche Be¬
sprechungen waren, in denen diese Dinge behandelt wurden. Auch hier stehn
sich Delbrück und Oncken auf der einen Seite, auf der andern Sybel, dem auch
Busch folgt, gegenüber. Nach Lebrun bestand nämlich der Erzherzog Albrecht
auf einem Frtthjahrsfeldzug: Frankreich, Österreich und Italien sollten sich bereit¬
halten, um gemeinschaftlich in einem Feldzug im Frühjahr, naus une oaraxg-Zris
als prircksinvs in Aktion treten zu können. Vielleicht ist der Ausdruck mit
Absicht zweideutig gewählt. Man kann ihn so verstehn: es sei, wenn es irgend
einmal zum Kriege komme, dafür die Frühjahrszeit als die für die Verbündeten
günstigste zu wählen; oder aber die Meinung war die, daß der Krieg im nächsten
Frühjahr zum Ausbruch kommen solle. Für die erste Annahme wird der Um¬
stand ins Feld geführt, daß der Erzherzog Albrecht in Paris einmal zu fran¬
zösischen Offizieren sagte, Osterreich brauche noch ein bis zwei Jahre bis zur
Vollendung seiner neuen Heeresorganisation. schlagend ist jedoch dieses Ar¬
gument schon deshalb nicht, weil die österreichische Bedingung, wie sie der Erz¬
herzog den Franzosen gegenüber formulierte, dahin lautete, daß der Befehl zur
Mobilisierung zugleich von allen drei Mächten erfolgen solle, daß Österreich
aber, das sechs Wochen zu seiner Rüstung brauche, dementsprechend später als
Frankreich in die Aktion treten würde. Von einer längern und unbestimmten
Fristerstreckung ist hier nicht die Rede, wie ja auch später bei den Verhand¬
lungen im Juli Österreich seinen Eintritt in die Aktion für September in Aus¬
sicht stellte. Das Entscheidende scheint doch dies zu sein, daß überhaupt schon
über eine Militärkonvention verhandelt wurde. Politische Vereinbarungen können
mit langer Frist getroffen werden; anders, wenn es sich einmal um eine Militär¬
konvention handelt, bei der doch vorauszusetzen ist, daß eine bestimmte, nicht
allzu kurze bemessene Frist in Aussicht genommen ist. Es ist deshalb mit Wahr¬
scheinlichkeit anzunehmen, daß bei den militärischen Verabredungen mit einem
Feldzug im nächsten Frühjahr, im Frühjahr 1871, gerechnet worden ist.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/127>, abgerufen am 05.12.2024.