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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Frankreichs Allianzversuche >M3 bis 1.370

er konnte dem Kaiser Napoleon ausgearbeitete Entwürfe des Erzherzogs Albrecht
überbringen. Diese Vorschläge fanden allerdings nicht den Beifall des Kaisers
Napoleon, der nach den vorausgegangnen Verhandlungen auf ein größeres Ent¬
gegenkommen gerechnet hatte. Eine Einigung ist nicht zustande gekommen, die
militärischen Besprechungen sind nicht durch einen Pakt besiegelt worden. War
doch der Kaiser selbst vermöge seiner natürlichen Scheu und Unentschlossenheit
noch weit davon entfernt, mit geradem Blick auf eine kriegerische Entscheidung
loszusteuern. Aber die Frage ist die, ob die Ergebnislosigkeit der Sendung
Lebruns von der Art war, daß sie dem Kaiser die Hoffnung auf Österreichs
Mitwirkung überhaupt benehmen mußte. Darüber war kein Zweifel, daß die
Zusage gleichzeitige" Losschlagens von Österreich nicht zu erlangen war. Aber
die paar Wochen bis zur Vollendung der österreichischen Rüstungen dachte man
sich doch mit französischen Siegen ausgefüllt. Sogar in Deutschland war man
überwiegend der Meinung, daß im Fall eines Krieges im Anfang den fran¬
zösischen Waffen das Glück lächeln würde. Kamen dann die Österreicher sechs
Wochen später, so war es immer noch Zeit, mit ihrer Hilfe die entscheidenden
Schläge zu führen. Und so konnte auch die andre Bedingung, hinter der sich
der Kaiser Franz Joseph verschanzt hatte, kaum als ein unübersteigliches Hinder¬
nis erscheinen. War es denn damals so gar undenkbar, daß die französischen
Heere in Süddeutschland als Befreier aufgenommen wurden? War nicht die
Haltung der süddeutschen Regierungen so, daß sie in Frankreich die Meinung
erwecken konnte, die Allianzverträge, die sie an Preußen banden, seien ihnen
wider Willen aufgezwungen, und sie harrten nur auf den Erlöser, der sie von
diesem Joch befreie? Und die Gesinnung der Bevölkerung, war sie eine andre?
Am lautesten vernehmlich machten sich doch die Demokraten in Württemberg
und die Patrioten in Bayern, die auch in den Kammern das große Wort
führten. Und hörte man damals nicht die schimpfliche Losung: Lieber französisch
als preußisch? So viel ist gewiß: gelang den Franzosen der beabsichtigte rasche
Einbruch in Süddeutschland, so wurde die politische Haltung der vom Norden
abgetrennten Staaten ans eine schwere Probe gestellt. Wenn -also der Kaiser
von Österreich den Abfall Süddeutschlands zur Bedingung des Eintritts in den
Krieg machte, so mußte dies damals, im Jahre 1869, nicht als eine unerfüll¬
bare Forderung erscheinen. Jedenfalls sah der General Lebrun, wenn er auch
kein unterschriebnes Abkommen mitbrachte, seine Sendung keineswegs als ge¬
scheitert an. Er war des Glaubens, nach den militärischen Verabredungen hänge
es nur noch an der Diplomatie, das Schutz- und Trutzbündnis der drei Mächte
vollends zum Abschluß zu bringen. "Niemals kam mir der Gedanke, daß der
Kaiser nicht auf diplomatischem Wege das Werk vollendet hätte, das ich mit
dem Erzherzog Albrecht eingeleitet hatte."

Bis dahin war also das Ergebnis der Verhandlungen dieses: die Tripel¬
allianz war vorbereitet, aber sie war nicht zum Abschluß gekommen, teils wegen
der Forderungen Italiens in der römischen Frage, teils wegen der Zögerungs-
politik Österreichs, das bindende Verpflichtungen ablehnte und im Falle des


Frankreichs Allianzversuche >M3 bis 1.370

er konnte dem Kaiser Napoleon ausgearbeitete Entwürfe des Erzherzogs Albrecht
überbringen. Diese Vorschläge fanden allerdings nicht den Beifall des Kaisers
Napoleon, der nach den vorausgegangnen Verhandlungen auf ein größeres Ent¬
gegenkommen gerechnet hatte. Eine Einigung ist nicht zustande gekommen, die
militärischen Besprechungen sind nicht durch einen Pakt besiegelt worden. War
doch der Kaiser selbst vermöge seiner natürlichen Scheu und Unentschlossenheit
noch weit davon entfernt, mit geradem Blick auf eine kriegerische Entscheidung
loszusteuern. Aber die Frage ist die, ob die Ergebnislosigkeit der Sendung
Lebruns von der Art war, daß sie dem Kaiser die Hoffnung auf Österreichs
Mitwirkung überhaupt benehmen mußte. Darüber war kein Zweifel, daß die
Zusage gleichzeitige» Losschlagens von Österreich nicht zu erlangen war. Aber
die paar Wochen bis zur Vollendung der österreichischen Rüstungen dachte man
sich doch mit französischen Siegen ausgefüllt. Sogar in Deutschland war man
überwiegend der Meinung, daß im Fall eines Krieges im Anfang den fran¬
zösischen Waffen das Glück lächeln würde. Kamen dann die Österreicher sechs
Wochen später, so war es immer noch Zeit, mit ihrer Hilfe die entscheidenden
Schläge zu führen. Und so konnte auch die andre Bedingung, hinter der sich
der Kaiser Franz Joseph verschanzt hatte, kaum als ein unübersteigliches Hinder¬
nis erscheinen. War es denn damals so gar undenkbar, daß die französischen
Heere in Süddeutschland als Befreier aufgenommen wurden? War nicht die
Haltung der süddeutschen Regierungen so, daß sie in Frankreich die Meinung
erwecken konnte, die Allianzverträge, die sie an Preußen banden, seien ihnen
wider Willen aufgezwungen, und sie harrten nur auf den Erlöser, der sie von
diesem Joch befreie? Und die Gesinnung der Bevölkerung, war sie eine andre?
Am lautesten vernehmlich machten sich doch die Demokraten in Württemberg
und die Patrioten in Bayern, die auch in den Kammern das große Wort
führten. Und hörte man damals nicht die schimpfliche Losung: Lieber französisch
als preußisch? So viel ist gewiß: gelang den Franzosen der beabsichtigte rasche
Einbruch in Süddeutschland, so wurde die politische Haltung der vom Norden
abgetrennten Staaten ans eine schwere Probe gestellt. Wenn -also der Kaiser
von Österreich den Abfall Süddeutschlands zur Bedingung des Eintritts in den
Krieg machte, so mußte dies damals, im Jahre 1869, nicht als eine unerfüll¬
bare Forderung erscheinen. Jedenfalls sah der General Lebrun, wenn er auch
kein unterschriebnes Abkommen mitbrachte, seine Sendung keineswegs als ge¬
scheitert an. Er war des Glaubens, nach den militärischen Verabredungen hänge
es nur noch an der Diplomatie, das Schutz- und Trutzbündnis der drei Mächte
vollends zum Abschluß zu bringen. „Niemals kam mir der Gedanke, daß der
Kaiser nicht auf diplomatischem Wege das Werk vollendet hätte, das ich mit
dem Erzherzog Albrecht eingeleitet hatte."

Bis dahin war also das Ergebnis der Verhandlungen dieses: die Tripel¬
allianz war vorbereitet, aber sie war nicht zum Abschluß gekommen, teils wegen
der Forderungen Italiens in der römischen Frage, teils wegen der Zögerungs-
politik Österreichs, das bindende Verpflichtungen ablehnte und im Falle des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/126>, abgerufen am 01.09.2024.