Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Adolf Schmitthenner Adolfs Page"; nur daß über Schmitthenners sehr ernsthafter Geschichte ein Ich rechne ihn zu den besten Prosaisten unsrer Zeit und zu den ganz wenigen Adolf Schmitthenner Adolfs Page"; nur daß über Schmitthenners sehr ernsthafter Geschichte ein Ich rechne ihn zu den besten Prosaisten unsrer Zeit und zu den ganz wenigen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0099" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302087"/> <fw type="header" place="top"> Adolf Schmitthenner</fw><lb/> <p xml:id="ID_368" prev="#ID_367"> Adolfs Page"; nur daß über Schmitthenners sehr ernsthafter Geschichte ein<lb/> köstlicher Hauch guter Laune liegt, eben der, in der sich Tilly selbst nach der<lb/> Einnahme Heidelbergs befindet. Es war gewiß nicht leicht, Tilly gerade von<lb/> dieser Seite zu zeigen, der ja als ein Schreckgespenst des Dreißigjährigen Krieges<lb/> noch heute durch die Erzählungsliteratur läuft; und dabei ist es doch kein<lb/> falsches Bild, und der ganze Tilly kommt in kleinen Zügen zum Vorschein.<lb/> Von den Studien, die solchen geschichtlichen Erzählungen vorausgegangen sein<lb/> müssen, ist in den Erzählungen selbst nicht das geringste zu spüren; der Stoff<lb/> ist dem Dichter vollkommen zu eigen geworden, und er erzählt, wie wenn er<lb/> selbst dabei gewesen wäre. Und er erzählt so, daß in der ganzen Erzählung<lb/> kein Satz ist, der überflüssig wäre, den man mit Fug streichen könnte. Man<lb/> sehe sich die Schmitthennerschen Erzählungen überhaupt einmal darauf an<lb/> und vergleiche ihn mit hundert andern zeitgenössischen Schriftstellern, anch<lb/> mit einem Dutzend berühmten!</p><lb/> <p xml:id="ID_369" next="#ID_370"> Ich rechne ihn zu den besten Prosaisten unsrer Zeit und zu den ganz wenigen<lb/> zeitgenössischen Schriftstellern, die die Kunst des Erzählens im engern Sinne ver¬<lb/> steh». Schildern, beschreiben, Seelenzustünde zerfasern, tiefsinnige Reflexionen<lb/> machen und geistreiche Dialoge führen, ist etwas ganz andres als erzählen, das<lb/> heißt die Seelenzustünde nur aus Handlungen, Situationen und Rede und Gegen¬<lb/> rede der Helden erkennen zu lassen. So findet sich denn auch bei Schmitthenner<lb/> kaum eine Reflexion; überhaupt ist seine Erzählungsart bei allem Tiefsinn naiv.<lb/> Aber es ist nicht die manierierte Naivität Gustav Frenssens, wie denn auch Schmitt¬<lb/> henners Stil bei aller Originalität viel klarer und kraftvoller ist als der Frenssens.<lb/> Und eine ganze Reihe von Schmitthenners Szenen sind den besten Frenssens,<lb/> auf denen sein Ruhm beruht, vollkommen ebenbürtig und haften zudem ganz<lb/> anders in Herz und Kopf als diese — aber das launische Schicksal warf dem<lb/> holsteinischen Pfarrer Geld und Ruhm in Fülle in den Schoß, den badischen<lb/> Pfarrer ließ es an beiden darben. Holstein und Umgegend ist ja in der Roman¬<lb/> schreibung Mode geworden; dagegen kommen wir armen Süddeutschen mit unserm<lb/> Neckar, seinen Bergen und Rebenhügeln und seinen äußerst charakteristischen<lb/> Menschen nicht auf. Nur der holsteinische Bauer gilt, und wenn er noch so<lb/> unglaublich ist; der schwäbisch-badische mag sehen, wo er bleibt. So hats denn<lb/> auch Schmitthenners Ruhm in der Welt nicht gefördert, daß seine Geschichten<lb/> alle un, den Neckar herum spielen, aber ihrer Echtheit und Bodenstündigkeit<lb/> ist es zugute gekommen. Schmitthenner entfernt sich auch nie allzuweit von<lb/> seinem geliebten Heidelberg, nur zweimal in die badische Residenz, sonst etwa<lb/> noch bis zu den Ausläufern des Schwarzwaldes und am liebsten in die Gegend<lb/> seiner Heimat, in das badische Städtchen Neckarbischofsheim im Kmichgau, wo<lb/> er seine Jugend zugebracht hat und später acht Jahre als Stadtpfarrer tütig<lb/> war. Vielleicht stammt daher seine Vorliebe für die Verhältnisse der Klein¬<lb/> stadt, aber auch sein Blick dafür, wie sich das Leben in ihr gestaltet. Er kennt<lb/> die Schwächen dieses Kleinstadtlebens bis ins einzelne, ohne es nun etwa</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0099]
Adolf Schmitthenner
Adolfs Page"; nur daß über Schmitthenners sehr ernsthafter Geschichte ein
köstlicher Hauch guter Laune liegt, eben der, in der sich Tilly selbst nach der
Einnahme Heidelbergs befindet. Es war gewiß nicht leicht, Tilly gerade von
dieser Seite zu zeigen, der ja als ein Schreckgespenst des Dreißigjährigen Krieges
noch heute durch die Erzählungsliteratur läuft; und dabei ist es doch kein
falsches Bild, und der ganze Tilly kommt in kleinen Zügen zum Vorschein.
Von den Studien, die solchen geschichtlichen Erzählungen vorausgegangen sein
müssen, ist in den Erzählungen selbst nicht das geringste zu spüren; der Stoff
ist dem Dichter vollkommen zu eigen geworden, und er erzählt, wie wenn er
selbst dabei gewesen wäre. Und er erzählt so, daß in der ganzen Erzählung
kein Satz ist, der überflüssig wäre, den man mit Fug streichen könnte. Man
sehe sich die Schmitthennerschen Erzählungen überhaupt einmal darauf an
und vergleiche ihn mit hundert andern zeitgenössischen Schriftstellern, anch
mit einem Dutzend berühmten!
Ich rechne ihn zu den besten Prosaisten unsrer Zeit und zu den ganz wenigen
zeitgenössischen Schriftstellern, die die Kunst des Erzählens im engern Sinne ver¬
steh». Schildern, beschreiben, Seelenzustünde zerfasern, tiefsinnige Reflexionen
machen und geistreiche Dialoge führen, ist etwas ganz andres als erzählen, das
heißt die Seelenzustünde nur aus Handlungen, Situationen und Rede und Gegen¬
rede der Helden erkennen zu lassen. So findet sich denn auch bei Schmitthenner
kaum eine Reflexion; überhaupt ist seine Erzählungsart bei allem Tiefsinn naiv.
Aber es ist nicht die manierierte Naivität Gustav Frenssens, wie denn auch Schmitt¬
henners Stil bei aller Originalität viel klarer und kraftvoller ist als der Frenssens.
Und eine ganze Reihe von Schmitthenners Szenen sind den besten Frenssens,
auf denen sein Ruhm beruht, vollkommen ebenbürtig und haften zudem ganz
anders in Herz und Kopf als diese — aber das launische Schicksal warf dem
holsteinischen Pfarrer Geld und Ruhm in Fülle in den Schoß, den badischen
Pfarrer ließ es an beiden darben. Holstein und Umgegend ist ja in der Roman¬
schreibung Mode geworden; dagegen kommen wir armen Süddeutschen mit unserm
Neckar, seinen Bergen und Rebenhügeln und seinen äußerst charakteristischen
Menschen nicht auf. Nur der holsteinische Bauer gilt, und wenn er noch so
unglaublich ist; der schwäbisch-badische mag sehen, wo er bleibt. So hats denn
auch Schmitthenners Ruhm in der Welt nicht gefördert, daß seine Geschichten
alle un, den Neckar herum spielen, aber ihrer Echtheit und Bodenstündigkeit
ist es zugute gekommen. Schmitthenner entfernt sich auch nie allzuweit von
seinem geliebten Heidelberg, nur zweimal in die badische Residenz, sonst etwa
noch bis zu den Ausläufern des Schwarzwaldes und am liebsten in die Gegend
seiner Heimat, in das badische Städtchen Neckarbischofsheim im Kmichgau, wo
er seine Jugend zugebracht hat und später acht Jahre als Stadtpfarrer tütig
war. Vielleicht stammt daher seine Vorliebe für die Verhältnisse der Klein¬
stadt, aber auch sein Blick dafür, wie sich das Leben in ihr gestaltet. Er kennt
die Schwächen dieses Kleinstadtlebens bis ins einzelne, ohne es nun etwa
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |