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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Adolf Schmitthenner

er eine dritte Gattung von Gegenständen als ihm völlig fremdartig niemals
auch nur angerührt hat.

Schmitthenner hat sich nie einen Stoff aufreden oder anfdrüugcn lassen,
der ihm nicht lag; was er nicht schmitthennerisch machen konnte, machte er
gar nicht, und nie hat er dem Geschmack des Publikums oder dem Wunsche
eines Redakteurs irgendein Zugeständnis gemacht.

Von all diesen Sachen, von Amt und Haus, von Weib und Kind und
natürlich insbesondre auch vom Schriftstellern redeten wir bei jenem Besuche.
Adolf Schmitthenner hatte durch die in Velhagen und Klasings Monatsheften
erschienene außerordentlich feine und von zarter Seelenkunde erfüllte Erzählung
"Psyche", die übrigens schon die realistische Meisterschaft des Verfassers zeigte
(1891 in demselben Verlage als Buch erschienen, zweite Auflage 1892), rasch
als Erzähler einen Namen bekommen, und während er mit seiner ersten Er¬
zählung "Der Handwerksbursche" (jetzt in der Sammlung Novellen, Leipzig,
F. W. Grunow, 1896) die Erfahrung der meisten noch unbekannten Schrift¬
steller gemacht hatte, daß sein Manuskript wandern mußte, fand er nach "Psyche"
für seine novellistischen Skizzen und Novellen in den verschiedensten Blättern
dankbare und willige Abnehmer. Jetzt hatte er eine Novelle "Ein Michel
Angelo" vollendet, die ihm die bisherigen weit zu übertreffen schien; aber die
ihm seither offnen Zeitungen lehnten ab, sodaß er recht mißmutig war, und
obwohl er den Gedanken erwog, seine bisher gedruckten Erzählungen gesammelt
herauszugeben, doch nicht recht daran wollte. Er war überhaupt für die Dinge
des äußern Lebens nicht organisiert, keiner von den praktischen Menschen;
und alles das, was ein Dichter und Schriftsteller nun einmal kennen und
wissen muß. um durch die Welt zu kommen, um bekannt zu werden und zu
bleiben, war ihm vollständig fremd. Merkwürdig ist auch, wie er bei dem
scharfen Blick für die realistischen Bilder des Lebens, bei seinem ungemein
feinen Auge für die geheimsten Vorgänge im Naturleben und seiner aus-
gezeichneten Beobachtung der intimsten Regungen der Menschenseele doch in
gewissen Dingen sein Leben lang ein weltunerfahrnes Kind geblieben ist. So
gestand er mir einmal, als ich in meinem Blatte seine von allerlei Hnmoren
sprühende Erzählung "Die Vereinsgeige" abdruckte (jetzt als "Unser Cello" in
den Neuen Novellen, Leipzig, F. W. Grunow, 1901), in der ein Violoncello¬
kasten eine Rolle spielt, daß er überhaupt in seinem Leben noch keinen Violon-
ecllokasten gesehen habe und mit Wissen auch kein Cello selbst. Es galt von ihm
wieder bis zu einem gewissen Grade, was er von Schiller sagt: "Es ist die
Eigentümlichkeit des Genius, daß er, die Erfahrung weit überholend, seherisch
das Leben kennt, ohne es zu kennen."

So wollte ich ihm denn gern mit meiner großem Erfahrung zur Seite
stehen und erbat mir das Manuskript des "Michel Angelo" mit dem Versprechen,
falls die Erzählung nach meiner Meinung gut sei, sie irgendwo unterzubringen,
ohne daß er einen Finger zu regen brauche. Dankbar nahm er mein Anerbieten


Grenzboten It 1907 12
Adolf Schmitthenner

er eine dritte Gattung von Gegenständen als ihm völlig fremdartig niemals
auch nur angerührt hat.

Schmitthenner hat sich nie einen Stoff aufreden oder anfdrüugcn lassen,
der ihm nicht lag; was er nicht schmitthennerisch machen konnte, machte er
gar nicht, und nie hat er dem Geschmack des Publikums oder dem Wunsche
eines Redakteurs irgendein Zugeständnis gemacht.

Von all diesen Sachen, von Amt und Haus, von Weib und Kind und
natürlich insbesondre auch vom Schriftstellern redeten wir bei jenem Besuche.
Adolf Schmitthenner hatte durch die in Velhagen und Klasings Monatsheften
erschienene außerordentlich feine und von zarter Seelenkunde erfüllte Erzählung
„Psyche", die übrigens schon die realistische Meisterschaft des Verfassers zeigte
(1891 in demselben Verlage als Buch erschienen, zweite Auflage 1892), rasch
als Erzähler einen Namen bekommen, und während er mit seiner ersten Er¬
zählung „Der Handwerksbursche" (jetzt in der Sammlung Novellen, Leipzig,
F. W. Grunow, 1896) die Erfahrung der meisten noch unbekannten Schrift¬
steller gemacht hatte, daß sein Manuskript wandern mußte, fand er nach „Psyche"
für seine novellistischen Skizzen und Novellen in den verschiedensten Blättern
dankbare und willige Abnehmer. Jetzt hatte er eine Novelle „Ein Michel
Angelo" vollendet, die ihm die bisherigen weit zu übertreffen schien; aber die
ihm seither offnen Zeitungen lehnten ab, sodaß er recht mißmutig war, und
obwohl er den Gedanken erwog, seine bisher gedruckten Erzählungen gesammelt
herauszugeben, doch nicht recht daran wollte. Er war überhaupt für die Dinge
des äußern Lebens nicht organisiert, keiner von den praktischen Menschen;
und alles das, was ein Dichter und Schriftsteller nun einmal kennen und
wissen muß. um durch die Welt zu kommen, um bekannt zu werden und zu
bleiben, war ihm vollständig fremd. Merkwürdig ist auch, wie er bei dem
scharfen Blick für die realistischen Bilder des Lebens, bei seinem ungemein
feinen Auge für die geheimsten Vorgänge im Naturleben und seiner aus-
gezeichneten Beobachtung der intimsten Regungen der Menschenseele doch in
gewissen Dingen sein Leben lang ein weltunerfahrnes Kind geblieben ist. So
gestand er mir einmal, als ich in meinem Blatte seine von allerlei Hnmoren
sprühende Erzählung „Die Vereinsgeige" abdruckte (jetzt als „Unser Cello" in
den Neuen Novellen, Leipzig, F. W. Grunow, 1901), in der ein Violoncello¬
kasten eine Rolle spielt, daß er überhaupt in seinem Leben noch keinen Violon-
ecllokasten gesehen habe und mit Wissen auch kein Cello selbst. Es galt von ihm
wieder bis zu einem gewissen Grade, was er von Schiller sagt: „Es ist die
Eigentümlichkeit des Genius, daß er, die Erfahrung weit überholend, seherisch
das Leben kennt, ohne es zu kennen."

So wollte ich ihm denn gern mit meiner großem Erfahrung zur Seite
stehen und erbat mir das Manuskript des „Michel Angelo" mit dem Versprechen,
falls die Erzählung nach meiner Meinung gut sei, sie irgendwo unterzubringen,
ohne daß er einen Finger zu regen brauche. Dankbar nahm er mein Anerbieten


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[0097] Adolf Schmitthenner er eine dritte Gattung von Gegenständen als ihm völlig fremdartig niemals auch nur angerührt hat. Schmitthenner hat sich nie einen Stoff aufreden oder anfdrüugcn lassen, der ihm nicht lag; was er nicht schmitthennerisch machen konnte, machte er gar nicht, und nie hat er dem Geschmack des Publikums oder dem Wunsche eines Redakteurs irgendein Zugeständnis gemacht. Von all diesen Sachen, von Amt und Haus, von Weib und Kind und natürlich insbesondre auch vom Schriftstellern redeten wir bei jenem Besuche. Adolf Schmitthenner hatte durch die in Velhagen und Klasings Monatsheften erschienene außerordentlich feine und von zarter Seelenkunde erfüllte Erzählung „Psyche", die übrigens schon die realistische Meisterschaft des Verfassers zeigte (1891 in demselben Verlage als Buch erschienen, zweite Auflage 1892), rasch als Erzähler einen Namen bekommen, und während er mit seiner ersten Er¬ zählung „Der Handwerksbursche" (jetzt in der Sammlung Novellen, Leipzig, F. W. Grunow, 1896) die Erfahrung der meisten noch unbekannten Schrift¬ steller gemacht hatte, daß sein Manuskript wandern mußte, fand er nach „Psyche" für seine novellistischen Skizzen und Novellen in den verschiedensten Blättern dankbare und willige Abnehmer. Jetzt hatte er eine Novelle „Ein Michel Angelo" vollendet, die ihm die bisherigen weit zu übertreffen schien; aber die ihm seither offnen Zeitungen lehnten ab, sodaß er recht mißmutig war, und obwohl er den Gedanken erwog, seine bisher gedruckten Erzählungen gesammelt herauszugeben, doch nicht recht daran wollte. Er war überhaupt für die Dinge des äußern Lebens nicht organisiert, keiner von den praktischen Menschen; und alles das, was ein Dichter und Schriftsteller nun einmal kennen und wissen muß. um durch die Welt zu kommen, um bekannt zu werden und zu bleiben, war ihm vollständig fremd. Merkwürdig ist auch, wie er bei dem scharfen Blick für die realistischen Bilder des Lebens, bei seinem ungemein feinen Auge für die geheimsten Vorgänge im Naturleben und seiner aus- gezeichneten Beobachtung der intimsten Regungen der Menschenseele doch in gewissen Dingen sein Leben lang ein weltunerfahrnes Kind geblieben ist. So gestand er mir einmal, als ich in meinem Blatte seine von allerlei Hnmoren sprühende Erzählung „Die Vereinsgeige" abdruckte (jetzt als „Unser Cello" in den Neuen Novellen, Leipzig, F. W. Grunow, 1901), in der ein Violoncello¬ kasten eine Rolle spielt, daß er überhaupt in seinem Leben noch keinen Violon- ecllokasten gesehen habe und mit Wissen auch kein Cello selbst. Es galt von ihm wieder bis zu einem gewissen Grade, was er von Schiller sagt: „Es ist die Eigentümlichkeit des Genius, daß er, die Erfahrung weit überholend, seherisch das Leben kennt, ohne es zu kennen." So wollte ich ihm denn gern mit meiner großem Erfahrung zur Seite stehen und erbat mir das Manuskript des „Michel Angelo" mit dem Versprechen, falls die Erzählung nach meiner Meinung gut sei, sie irgendwo unterzubringen, ohne daß er einen Finger zu regen brauche. Dankbar nahm er mein Anerbieten Grenzboten It 1907 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/97>, abgerufen am 06.02.2025.