Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Die Hilfswissenschaften der Volkswirtschaftslehre Wirtschaftsleben? Gehören also nicht auch die schönen Künste dazu? Und wie Die Volkswirtschaftslehre vermittelt die Kenntnis von unserm gesamten Wählen wir irgendeine Industrie, so wird uns bei deren Studium immer Musik und Poesie stehen dnrch das Arbeits- und Volkslied in enger Be¬ Zweite Auflage (Jena, G. Fischer), Band 4, Seite S47.
Die Hilfswissenschaften der Volkswirtschaftslehre Wirtschaftsleben? Gehören also nicht auch die schönen Künste dazu? Und wie Die Volkswirtschaftslehre vermittelt die Kenntnis von unserm gesamten Wählen wir irgendeine Industrie, so wird uns bei deren Studium immer Musik und Poesie stehen dnrch das Arbeits- und Volkslied in enger Be¬ Zweite Auflage (Jena, G. Fischer), Band 4, Seite S47.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0074" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302062"/> <fw type="header" place="top"> Die Hilfswissenschaften der Volkswirtschaftslehre</fw><lb/> <p xml:id="ID_285" prev="#ID_284"> Wirtschaftsleben? Gehören also nicht auch die schönen Künste dazu? Und wie<lb/> könnte man heute von den Gewerben und der Landwirtschaft handeln, ohne<lb/> auf die Maschinentechnik und die Chemie einzugehen! So gerät man also in<lb/> die Naturwissenschaften hinein." Schmoller führt im Handwörterbuch der<lb/> Staatswissenschaften*) aus: „Die Volkswirtschaftslehre steht mitten inne zwischen<lb/> den angewandten Naturwissenschaften, der Technologie, Maschinen-, Landwirt¬<lb/> schafts-, Forstwirtschaftslehre sowie der Anthropologie, Ethnographie, Klima¬<lb/> tologie, der allgemeinen und der speziellen Pflanzen- und Tiergeographie auf<lb/> der einen Seite und zwischen den wichtigsten Geisteswissenschaften, der<lb/> Psychologie, Ethik, Staats-, Rechts-, Gesellschaftslehre auf der andern."</p><lb/> <p xml:id="ID_286"> Die Volkswirtschaftslehre vermittelt die Kenntnis von unserm gesamten<lb/> Wirtschaftsleben. Wie aber wäre dieses besser zu verstehen, als durch Ein¬<lb/> dringen in die Technik der einzelnen Wirtschaftsarten? Aller Arten, das wäre<lb/> zu viel verlangt, aber die genaue Kenntnis auch nur eines der Hauptwirtschafts¬<lb/> zweige erleichtert das Verständnis für viele andre. Doch das Interesse fehlt<lb/> eben, sagen so viele. Wie ist es nun möglich, das Interesse der vorurteilsvoll<lb/> zu ihrem Schaden beiseite Stehenden zu erwecken?</p><lb/> <p xml:id="ID_287"> Wählen wir irgendeine Industrie, so wird uns bei deren Studium immer<lb/> dreierlei, ihre Geschichte, ihr Verhältnis zu den Naturwissenschaften und zu<lb/> den Künsten besonders interessieren. Greifen wir als ein Beispiel die Textil¬<lb/> industrie heraus. Nächst der Montanindustrie nimmt sie in Deutschland die<lb/> erste Stelle ein. Sie ist uralt. Ihre geschichtliche Entwicklung in allen Kultur¬<lb/> staaten zu schildern, wäre fürwahr .eine interessante Aufgabe. Haben wir doch<lb/> erst vor anderthalb Jahren kunstvolle Gewebe gefunden, die vor mehr als<lb/> dreitausend Jahren hergestellt sind, deren Webart und vornehme ruhige Farben¬<lb/> mischung Techniker und Künstler in gleicher Weise interessieren müssen; erzählt<lb/> doch Herodot schon von den baumwollner Kleidern der Jndier, Ovid von der<lb/> Wollweberei, Tacitus von germanischem Leinen.</p><lb/> <p xml:id="ID_288" next="#ID_289"> Musik und Poesie stehen dnrch das Arbeits- und Volkslied in enger Be¬<lb/> ziehung zur Weberei und Spinnerei, worauf Professor Bücher in seinem Werke<lb/> „Arbeit und Rhythmus" aufmerksam macht. Die Malerei ist verwandt mit der<lb/> Gobelin- und Damastweberei. Und muß nicht beim Anblick dieser kunstvoll<lb/> gewebten Gemälde der Wunsch rege werden, die Maschine technisch einmal näher<lb/> kennen zu lernen, die solche Wunderwerke hervorbringt? Gewiß ist es lohnend,<lb/> zu betrachten, wie des Menschen Geist den Handwebstuhl im modernen Jacauard-<lb/> webstuhl zu einer Maschine vervollkommnet hat, die dem Weber fast alle Hand¬<lb/> arbeit abnimmt und ihm nur noch übrig läßt, ganz außergewöhnliche Un¬<lb/> regelmäßigkeiten zu beobachten. Das technische Studium der Textilmaschinen<lb/> bringt uns aber auch in Berührung mit den Arbeitern und dadurch praktisch<lb/> auf eins der wichtigsten Gebiete der Staatswissenschaften, auf die Sozialpolitik.<lb/> Mit der Erfindung der Textilmaschinen beginnt überhaupt das Maschinen-</p><lb/> <note xml:id="FID_6" place="foot"> Zweite Auflage (Jena, G. Fischer), Band 4, Seite S47.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0074]
Die Hilfswissenschaften der Volkswirtschaftslehre
Wirtschaftsleben? Gehören also nicht auch die schönen Künste dazu? Und wie
könnte man heute von den Gewerben und der Landwirtschaft handeln, ohne
auf die Maschinentechnik und die Chemie einzugehen! So gerät man also in
die Naturwissenschaften hinein." Schmoller führt im Handwörterbuch der
Staatswissenschaften*) aus: „Die Volkswirtschaftslehre steht mitten inne zwischen
den angewandten Naturwissenschaften, der Technologie, Maschinen-, Landwirt¬
schafts-, Forstwirtschaftslehre sowie der Anthropologie, Ethnographie, Klima¬
tologie, der allgemeinen und der speziellen Pflanzen- und Tiergeographie auf
der einen Seite und zwischen den wichtigsten Geisteswissenschaften, der
Psychologie, Ethik, Staats-, Rechts-, Gesellschaftslehre auf der andern."
Die Volkswirtschaftslehre vermittelt die Kenntnis von unserm gesamten
Wirtschaftsleben. Wie aber wäre dieses besser zu verstehen, als durch Ein¬
dringen in die Technik der einzelnen Wirtschaftsarten? Aller Arten, das wäre
zu viel verlangt, aber die genaue Kenntnis auch nur eines der Hauptwirtschafts¬
zweige erleichtert das Verständnis für viele andre. Doch das Interesse fehlt
eben, sagen so viele. Wie ist es nun möglich, das Interesse der vorurteilsvoll
zu ihrem Schaden beiseite Stehenden zu erwecken?
Wählen wir irgendeine Industrie, so wird uns bei deren Studium immer
dreierlei, ihre Geschichte, ihr Verhältnis zu den Naturwissenschaften und zu
den Künsten besonders interessieren. Greifen wir als ein Beispiel die Textil¬
industrie heraus. Nächst der Montanindustrie nimmt sie in Deutschland die
erste Stelle ein. Sie ist uralt. Ihre geschichtliche Entwicklung in allen Kultur¬
staaten zu schildern, wäre fürwahr .eine interessante Aufgabe. Haben wir doch
erst vor anderthalb Jahren kunstvolle Gewebe gefunden, die vor mehr als
dreitausend Jahren hergestellt sind, deren Webart und vornehme ruhige Farben¬
mischung Techniker und Künstler in gleicher Weise interessieren müssen; erzählt
doch Herodot schon von den baumwollner Kleidern der Jndier, Ovid von der
Wollweberei, Tacitus von germanischem Leinen.
Musik und Poesie stehen dnrch das Arbeits- und Volkslied in enger Be¬
ziehung zur Weberei und Spinnerei, worauf Professor Bücher in seinem Werke
„Arbeit und Rhythmus" aufmerksam macht. Die Malerei ist verwandt mit der
Gobelin- und Damastweberei. Und muß nicht beim Anblick dieser kunstvoll
gewebten Gemälde der Wunsch rege werden, die Maschine technisch einmal näher
kennen zu lernen, die solche Wunderwerke hervorbringt? Gewiß ist es lohnend,
zu betrachten, wie des Menschen Geist den Handwebstuhl im modernen Jacauard-
webstuhl zu einer Maschine vervollkommnet hat, die dem Weber fast alle Hand¬
arbeit abnimmt und ihm nur noch übrig läßt, ganz außergewöhnliche Un¬
regelmäßigkeiten zu beobachten. Das technische Studium der Textilmaschinen
bringt uns aber auch in Berührung mit den Arbeitern und dadurch praktisch
auf eins der wichtigsten Gebiete der Staatswissenschaften, auf die Sozialpolitik.
Mit der Erfindung der Textilmaschinen beginnt überhaupt das Maschinen-
Zweite Auflage (Jena, G. Fischer), Band 4, Seite S47.
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