Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Russische Skizzen länger, als es uns nötig zu sein schien. Der Herr aus Bremen, der überall be¬ Die Aufforderung, die Fenster zu öffnen, beantwortete der Schaffner übrigens Als der Herr aus Bremen sich in einer Skatpause aus seinem Koffer Zigarren Die Unglücksstiefel ärgern mich schon die ganze Reise über, sagte er, erstens Aber, bitte, nicht durchs Glas, erlaubte ich mir einzuwenden, und er mußte In diesem Augenblick lächelte wieder das freundliche Gesicht des Schaffners Schenken Sie die Stiefel doch Iwan Petrowitsch, riet ich. Wir hatten nämlich Der Bremer reichte die Stiefel dem Schaffner hin, dessen Lächeln wurde noch Ich habe immer etwas für einen gut gewichsten Stiefel übrig gehabt, er legt Sagen Sie ihm doch nur auf russisch, daß er die Stiefel behalten kann, er¬ Russische Skizzen länger, als es uns nötig zu sein schien. Der Herr aus Bremen, der überall be¬ Die Aufforderung, die Fenster zu öffnen, beantwortete der Schaffner übrigens Als der Herr aus Bremen sich in einer Skatpause aus seinem Koffer Zigarren Die Unglücksstiefel ärgern mich schon die ganze Reise über, sagte er, erstens Aber, bitte, nicht durchs Glas, erlaubte ich mir einzuwenden, und er mußte In diesem Augenblick lächelte wieder das freundliche Gesicht des Schaffners Schenken Sie die Stiefel doch Iwan Petrowitsch, riet ich. Wir hatten nämlich Der Bremer reichte die Stiefel dem Schaffner hin, dessen Lächeln wurde noch Ich habe immer etwas für einen gut gewichsten Stiefel übrig gehabt, er legt Sagen Sie ihm doch nur auf russisch, daß er die Stiefel behalten kann, er¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0698" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302686"/> <fw type="header" place="top"> Russische Skizzen</fw><lb/> <p xml:id="ID_3025" prev="#ID_3024"> länger, als es uns nötig zu sein schien. Der Herr aus Bremen, der überall be¬<lb/> fürchtete, mit der russischen Regierung in Konflikt zu geraten, meinte, es geschähe<lb/> dies wohl deshalb, weil es eigentlich in Rußland nicht erlaubt sei, mit andern als<lb/> russischen Karten zu spielen, der Ingenieur aber benutzte die Gelegenheit öfters, um<lb/> dem Schaffner und uns mit seinem Russisch zu imponieren, sei es, daß er ihn nach<lb/> der nächsten Station fragte, sei es, daß er ihn aufforderte, die Fenster zu öffnen.<lb/> Unsre anfängliche Hochachtung vor diesen eminenten Sprachkenntnissen wurde aber<lb/> bald wesentlich herabgemindert, als sich herausstellte, daß seine Wissenschaft aus<lb/> Baedekers kleinem Leitfaden der russischen Sprache, Abschnitt: „Auf der Reise, Eisen¬<lb/> bahnfahrt", stammte, und daß sie so ziemlich den ganzen russischen Sprachschatz<lb/> des Herrn ausmachte.</p><lb/> <p xml:id="ID_3026"> Die Aufforderung, die Fenster zu öffnen, beantwortete der Schaffner übrigens<lb/> mit einem freundlichen Grinsen und zeigte dabei auf die eingesetzten Doppelfenster.<lb/> Wir mußten uns danach überzeugen, daß diese bis auf einen kleinen, oben befind¬<lb/> lichen Flügel überhaupt nicht zum Öffnen eingerichtet waren, und daß dieser eine<lb/> Flügel nicht aufging, weil er verquollen war.</p><lb/> <p xml:id="ID_3027"> Als der Herr aus Bremen sich in einer Skatpause aus seinem Koffer Zigarren<lb/> herausgenommen hatte, bekam er den Koffer nicht wieder zu, weil er zu vollgepfropft<lb/> war. Mißmutig entnahm er ihm ein Paar eleganter Zugstiefel und warf sie auf den Sitz.</p><lb/> <p xml:id="ID_3028"> Die Unglücksstiefel ärgern mich schon die ganze Reise über, sagte er, erstens<lb/> hat der Schuster sie zu eng gemacht, und zweitens sperren sie mir jedesmal den<lb/> Koffer auseinander. Ich hätte heute ihretwegen beinahe den Zug versäumt. Ich<lb/> habe genug davon, sie sind zwar ganz neu und haben zweiundzwanzig Mark ge¬<lb/> kostet, aber ich bringe sie Rußland zum Opfer und werfe sie aus dem Fenster!</p><lb/> <p xml:id="ID_3029"> Aber, bitte, nicht durchs Glas, erlaubte ich mir einzuwenden, und er mußte<lb/> einsehen, daß seine Absicht wegen des geschilderten Zustandes der Fenster unaus¬<lb/> führbar war.</p><lb/> <p xml:id="ID_3030"> In diesem Augenblick lächelte wieder das freundliche Gesicht des Schaffners<lb/> zur Tür hinein.</p><lb/> <p xml:id="ID_3031"> Schenken Sie die Stiefel doch Iwan Petrowitsch, riet ich. Wir hatten nämlich<lb/> gehört, daß ihn auf der letzten Station ein Kollege mit diesem traulichen Namen<lb/> angerufen hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_3032"> Der Bremer reichte die Stiefel dem Schaffner hin, dessen Lächeln wurde noch<lb/> um einige Grad freundlicher, er verneigte sich ehrfürchtig und zog mit den Stiefeln<lb/> ab. Seitdem blieb er einige Zeit verschwunden, und schon hegten wir den schnöden<lb/> Verdacht, er habe uns nur so oft in den Skat geguckt, um uns zu veranlassen,<lb/> seine Entfernung durch ein Trinkgeld zu erkaufen — aber wir hatten ihm bitter<lb/> Unrecht getan. Eben erschien er wieder, und mit seinem strahlendsten Lächeln reichte<lb/> er durch die Tür hinein — die Stiefel. Aber wie sahen sie jetzt aus! Sie waren<lb/> blank gewichst, und zwar tadellos.</p><lb/> <p xml:id="ID_3033"> Ich habe immer etwas für einen gut gewichsten Stiefel übrig gehabt, er legt<lb/> Zeugnis ab für Ordnungssinn bei Herrn und Diener. Danach muß ich nun sagen,<lb/> daß Iwan Petrowitsch seine Sache wirklich ausnehmend gut gemacht hatte. Ob das<lb/> Stiefelwichser zu seinen dienstlichen Berufspflichten gehörte, weiß ich nicht, aber ich<lb/> kann mich kaum entsinnen, jemals schöner glänzende Stiefel gesehen zu haben. Man<lb/> wird es daher begreiflich finden, daß Iwan Petrowitsch ein recht verdutztes Gesicht<lb/> machte, als man ihn statt mit Lohn und Anerkennung für seine Leistungen mit<lb/> einem schallenden Gelächter empfing.</p><lb/> <p xml:id="ID_3034" next="#ID_3035"> Sagen Sie ihm doch nur auf russisch, daß er die Stiefel behalten kann, er¬<lb/> munterte ich den Ingenieur, der aber zeigte sich dieser Aufgabe nicht gewachsen,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0698]
Russische Skizzen
länger, als es uns nötig zu sein schien. Der Herr aus Bremen, der überall be¬
fürchtete, mit der russischen Regierung in Konflikt zu geraten, meinte, es geschähe
dies wohl deshalb, weil es eigentlich in Rußland nicht erlaubt sei, mit andern als
russischen Karten zu spielen, der Ingenieur aber benutzte die Gelegenheit öfters, um
dem Schaffner und uns mit seinem Russisch zu imponieren, sei es, daß er ihn nach
der nächsten Station fragte, sei es, daß er ihn aufforderte, die Fenster zu öffnen.
Unsre anfängliche Hochachtung vor diesen eminenten Sprachkenntnissen wurde aber
bald wesentlich herabgemindert, als sich herausstellte, daß seine Wissenschaft aus
Baedekers kleinem Leitfaden der russischen Sprache, Abschnitt: „Auf der Reise, Eisen¬
bahnfahrt", stammte, und daß sie so ziemlich den ganzen russischen Sprachschatz
des Herrn ausmachte.
Die Aufforderung, die Fenster zu öffnen, beantwortete der Schaffner übrigens
mit einem freundlichen Grinsen und zeigte dabei auf die eingesetzten Doppelfenster.
Wir mußten uns danach überzeugen, daß diese bis auf einen kleinen, oben befind¬
lichen Flügel überhaupt nicht zum Öffnen eingerichtet waren, und daß dieser eine
Flügel nicht aufging, weil er verquollen war.
Als der Herr aus Bremen sich in einer Skatpause aus seinem Koffer Zigarren
herausgenommen hatte, bekam er den Koffer nicht wieder zu, weil er zu vollgepfropft
war. Mißmutig entnahm er ihm ein Paar eleganter Zugstiefel und warf sie auf den Sitz.
Die Unglücksstiefel ärgern mich schon die ganze Reise über, sagte er, erstens
hat der Schuster sie zu eng gemacht, und zweitens sperren sie mir jedesmal den
Koffer auseinander. Ich hätte heute ihretwegen beinahe den Zug versäumt. Ich
habe genug davon, sie sind zwar ganz neu und haben zweiundzwanzig Mark ge¬
kostet, aber ich bringe sie Rußland zum Opfer und werfe sie aus dem Fenster!
Aber, bitte, nicht durchs Glas, erlaubte ich mir einzuwenden, und er mußte
einsehen, daß seine Absicht wegen des geschilderten Zustandes der Fenster unaus¬
führbar war.
In diesem Augenblick lächelte wieder das freundliche Gesicht des Schaffners
zur Tür hinein.
Schenken Sie die Stiefel doch Iwan Petrowitsch, riet ich. Wir hatten nämlich
gehört, daß ihn auf der letzten Station ein Kollege mit diesem traulichen Namen
angerufen hatte.
Der Bremer reichte die Stiefel dem Schaffner hin, dessen Lächeln wurde noch
um einige Grad freundlicher, er verneigte sich ehrfürchtig und zog mit den Stiefeln
ab. Seitdem blieb er einige Zeit verschwunden, und schon hegten wir den schnöden
Verdacht, er habe uns nur so oft in den Skat geguckt, um uns zu veranlassen,
seine Entfernung durch ein Trinkgeld zu erkaufen — aber wir hatten ihm bitter
Unrecht getan. Eben erschien er wieder, und mit seinem strahlendsten Lächeln reichte
er durch die Tür hinein — die Stiefel. Aber wie sahen sie jetzt aus! Sie waren
blank gewichst, und zwar tadellos.
Ich habe immer etwas für einen gut gewichsten Stiefel übrig gehabt, er legt
Zeugnis ab für Ordnungssinn bei Herrn und Diener. Danach muß ich nun sagen,
daß Iwan Petrowitsch seine Sache wirklich ausnehmend gut gemacht hatte. Ob das
Stiefelwichser zu seinen dienstlichen Berufspflichten gehörte, weiß ich nicht, aber ich
kann mich kaum entsinnen, jemals schöner glänzende Stiefel gesehen zu haben. Man
wird es daher begreiflich finden, daß Iwan Petrowitsch ein recht verdutztes Gesicht
machte, als man ihn statt mit Lohn und Anerkennung für seine Leistungen mit
einem schallenden Gelächter empfing.
Sagen Sie ihm doch nur auf russisch, daß er die Stiefel behalten kann, er¬
munterte ich den Ingenieur, der aber zeigte sich dieser Aufgabe nicht gewachsen,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |