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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Russische Skizzen

heute Abschied von den Bergen und wünschen sehnsuchtsvoll die Zeit herbei,
die es uns möglich macht, frei von unsern Berufsgeschäften wiederzukommen in
das schöne Erzgebirge mit seinem dem Harzer gleichenden Wahrspruch:


Es grüne die Tanne, es wachse das Erz,
Gott schenke uns allen ein fröhliches Herz.,
..........Glück auf!



Russische Skizzen
in. Horsten von
3. Der Tod der Bojarin Taratanow

Tagesgespräch im Monat März 1902 waren die Studenten-
die in allen Universitätsstädten des Reiches um ein und
"demselben Tage, offenbar ans vorherige Verabredung, losgebrochen
waren, gewissermaßen als Vorläufer der Revolution, die drei Jnhre
danach ganz Rußland durchtobte. Die Zeitungen schwiegen zwar
darüber auf höhere Weisung, dennoch wußte jedermann, daß in
Moskau und Petersburg, in Kiew und Odessa und an den verschiedensten andern
Orten Hunderte von Studenten in provokatorischer Weise "demonstriert" hatten.
Meist hatten diese unreifen Burschen ihrer Unzufriedenheit dadurch Ausdruck ge¬
geben, daß sie in einem hervorragenden Gebäude -- in Petersburg war es, wenn
ich nicht irre, das von der Mäßigkeitsgesellschaft geleitete Volkshaus Nikolaus des
Zweiten, ein beliebtes Vergnügungslokal, in Moskau ein vornehmes Hotel -- Fenster
und Türen eingeschlagen hatten. Kampf mit der Polizei und starken Militär¬
abteilungen und Massenverhaftungen waren die Folge gewesen. Ich hatte bei einem
Besuch Moskaus, der in jene Zeit fiel, einen kurländischen Edelmann getroffen, der
in Bonn einige Semester studiert hatte, und die gemeinschaftlichen Beziehungen, die
sich daraus ergaben, hatten dazu geführt, daß wir einen Frühschoppen in dem vor¬
nehmen Börsenrestaurant mit nachfolgendem "Bummel" durch die Stadt verab¬
redet hatten.

Was macht denn nun die russische Regierung mit den Hunderten von Ge¬
fangnen? fragte ich bei dieser Gelegenheit meinen Bekannten, als wir -- wie
alle Welt -- uns über jene Putsche unterhielten. Es ist doch ganz unmöglich,
sie alle nach Sibirien zu schicken, und die Gerichte müssen ja in ganz unglaub¬
licher Weise überlastet werden, wenn man allen diesen jungen Burschen den Prozeß
machen will.

Das tut man auch nicht, erwiderte er, man schickt wohl meist nnr die über¬
führten Anstifter und Rädelsführer ins Gefängnis, sie freilich oft auf lange Zeit,
die übrigen läßt man laufen, höchstens untersagt man ihnen für ein bis zwei
Semester das Weiterstudieren. Schlimm aber sind die daran, die man in Verdacht
hat, besonders gefährlich zu sein, und denen man doch nichts bestimmtes nachweisen
kann. Die sollen dann öfters im Gefängnis verunglücken.

Im Gefängnis verunglücken? Was meinen Sie damit?

Der Gefragte sah sich vorsichtig um. Mau weiß ja in Rußland nie, ob
nicht der Kellner in seinem weißen Anzug, der ebenso bescheiden wie gewandt am


Russische Skizzen

heute Abschied von den Bergen und wünschen sehnsuchtsvoll die Zeit herbei,
die es uns möglich macht, frei von unsern Berufsgeschäften wiederzukommen in
das schöne Erzgebirge mit seinem dem Harzer gleichenden Wahrspruch:


Es grüne die Tanne, es wachse das Erz,
Gott schenke uns allen ein fröhliches Herz.,
..........Glück auf!



Russische Skizzen
in. Horsten von
3. Der Tod der Bojarin Taratanow

Tagesgespräch im Monat März 1902 waren die Studenten-
die in allen Universitätsstädten des Reiches um ein und
»demselben Tage, offenbar ans vorherige Verabredung, losgebrochen
waren, gewissermaßen als Vorläufer der Revolution, die drei Jnhre
danach ganz Rußland durchtobte. Die Zeitungen schwiegen zwar
darüber auf höhere Weisung, dennoch wußte jedermann, daß in
Moskau und Petersburg, in Kiew und Odessa und an den verschiedensten andern
Orten Hunderte von Studenten in provokatorischer Weise „demonstriert" hatten.
Meist hatten diese unreifen Burschen ihrer Unzufriedenheit dadurch Ausdruck ge¬
geben, daß sie in einem hervorragenden Gebäude — in Petersburg war es, wenn
ich nicht irre, das von der Mäßigkeitsgesellschaft geleitete Volkshaus Nikolaus des
Zweiten, ein beliebtes Vergnügungslokal, in Moskau ein vornehmes Hotel — Fenster
und Türen eingeschlagen hatten. Kampf mit der Polizei und starken Militär¬
abteilungen und Massenverhaftungen waren die Folge gewesen. Ich hatte bei einem
Besuch Moskaus, der in jene Zeit fiel, einen kurländischen Edelmann getroffen, der
in Bonn einige Semester studiert hatte, und die gemeinschaftlichen Beziehungen, die
sich daraus ergaben, hatten dazu geführt, daß wir einen Frühschoppen in dem vor¬
nehmen Börsenrestaurant mit nachfolgendem „Bummel" durch die Stadt verab¬
redet hatten.

Was macht denn nun die russische Regierung mit den Hunderten von Ge¬
fangnen? fragte ich bei dieser Gelegenheit meinen Bekannten, als wir — wie
alle Welt — uns über jene Putsche unterhielten. Es ist doch ganz unmöglich,
sie alle nach Sibirien zu schicken, und die Gerichte müssen ja in ganz unglaub¬
licher Weise überlastet werden, wenn man allen diesen jungen Burschen den Prozeß
machen will.

Das tut man auch nicht, erwiderte er, man schickt wohl meist nnr die über¬
führten Anstifter und Rädelsführer ins Gefängnis, sie freilich oft auf lange Zeit,
die übrigen läßt man laufen, höchstens untersagt man ihnen für ein bis zwei
Semester das Weiterstudieren. Schlimm aber sind die daran, die man in Verdacht
hat, besonders gefährlich zu sein, und denen man doch nichts bestimmtes nachweisen
kann. Die sollen dann öfters im Gefängnis verunglücken.

Im Gefängnis verunglücken? Was meinen Sie damit?

Der Gefragte sah sich vorsichtig um. Mau weiß ja in Rußland nie, ob
nicht der Kellner in seinem weißen Anzug, der ebenso bescheiden wie gewandt am


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[0695] Russische Skizzen heute Abschied von den Bergen und wünschen sehnsuchtsvoll die Zeit herbei, die es uns möglich macht, frei von unsern Berufsgeschäften wiederzukommen in das schöne Erzgebirge mit seinem dem Harzer gleichenden Wahrspruch: Es grüne die Tanne, es wachse das Erz, Gott schenke uns allen ein fröhliches Herz., ..........Glück auf! Russische Skizzen in. Horsten von 3. Der Tod der Bojarin Taratanow Tagesgespräch im Monat März 1902 waren die Studenten- die in allen Universitätsstädten des Reiches um ein und »demselben Tage, offenbar ans vorherige Verabredung, losgebrochen waren, gewissermaßen als Vorläufer der Revolution, die drei Jnhre danach ganz Rußland durchtobte. Die Zeitungen schwiegen zwar darüber auf höhere Weisung, dennoch wußte jedermann, daß in Moskau und Petersburg, in Kiew und Odessa und an den verschiedensten andern Orten Hunderte von Studenten in provokatorischer Weise „demonstriert" hatten. Meist hatten diese unreifen Burschen ihrer Unzufriedenheit dadurch Ausdruck ge¬ geben, daß sie in einem hervorragenden Gebäude — in Petersburg war es, wenn ich nicht irre, das von der Mäßigkeitsgesellschaft geleitete Volkshaus Nikolaus des Zweiten, ein beliebtes Vergnügungslokal, in Moskau ein vornehmes Hotel — Fenster und Türen eingeschlagen hatten. Kampf mit der Polizei und starken Militär¬ abteilungen und Massenverhaftungen waren die Folge gewesen. Ich hatte bei einem Besuch Moskaus, der in jene Zeit fiel, einen kurländischen Edelmann getroffen, der in Bonn einige Semester studiert hatte, und die gemeinschaftlichen Beziehungen, die sich daraus ergaben, hatten dazu geführt, daß wir einen Frühschoppen in dem vor¬ nehmen Börsenrestaurant mit nachfolgendem „Bummel" durch die Stadt verab¬ redet hatten. Was macht denn nun die russische Regierung mit den Hunderten von Ge¬ fangnen? fragte ich bei dieser Gelegenheit meinen Bekannten, als wir — wie alle Welt — uns über jene Putsche unterhielten. Es ist doch ganz unmöglich, sie alle nach Sibirien zu schicken, und die Gerichte müssen ja in ganz unglaub¬ licher Weise überlastet werden, wenn man allen diesen jungen Burschen den Prozeß machen will. Das tut man auch nicht, erwiderte er, man schickt wohl meist nnr die über¬ führten Anstifter und Rädelsführer ins Gefängnis, sie freilich oft auf lange Zeit, die übrigen läßt man laufen, höchstens untersagt man ihnen für ein bis zwei Semester das Weiterstudieren. Schlimm aber sind die daran, die man in Verdacht hat, besonders gefährlich zu sein, und denen man doch nichts bestimmtes nachweisen kann. Die sollen dann öfters im Gefängnis verunglücken. Im Gefängnis verunglücken? Was meinen Sie damit? Der Gefragte sah sich vorsichtig um. Mau weiß ja in Rußland nie, ob nicht der Kellner in seinem weißen Anzug, der ebenso bescheiden wie gewandt am

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/695>, abgerufen am 05.02.2025.