Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Line Sommerfahrt in das Erzgebirge Jahrhundert nur ein langsam dahinsterbendes Dasein gefristet und ist trotz Ein tätiger Geist, eine sinnige Hand Auf dem Marktplatz steht das Denkmal der Barbara Ullmann, modelliert von Früh um ^6 Uhr verlassen wir Annaberg wieder und fahren mit der Line Sommerfahrt in das Erzgebirge Jahrhundert nur ein langsam dahinsterbendes Dasein gefristet und ist trotz Ein tätiger Geist, eine sinnige Hand Auf dem Marktplatz steht das Denkmal der Barbara Ullmann, modelliert von Früh um ^6 Uhr verlassen wir Annaberg wieder und fahren mit der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0688" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302676"/> <fw type="header" place="top"> Line Sommerfahrt in das Erzgebirge</fw><lb/> <p xml:id="ID_2977" prev="#ID_2976"> Jahrhundert nur ein langsam dahinsterbendes Dasein gefristet und ist trotz<lb/> aller Versuche, ihn wieder in Aufschwung zu bringen, so gut wie tot. Dazu<lb/> wurde die Stadt am 27. April 1604 durch eine große Feuersbrunst heim¬<lb/> gesucht — 700 Häuser und fast alle öffentlichen Gebäude (Kloster, Rathaus,<lb/> Schule, Dach und Turm der Hauptkirche) sanken in Asche — und so ihr Wohl¬<lb/> stand aufs tiefste erschüttert. Da gelang es in der zweiten Hälfte des sechzehnten<lb/> Jahrhunderts durch Einführung von mancherlei Hausindustrie für weitere Kreise<lb/> lohnende Beschäftigung zu schaffen; es kam die Bortenwirkerei auf, aus der sich<lb/> die noch heute bestehende Posamentenindustrie entwickelte. Einen ähnlichen<lb/> Verlauf scheint das Aufkommen des Spitzenklöppelns gehabt zu haben, wenn<lb/> auch die Frage, ob die Klöppelkunst im Erzgebirge selbständig erdacht oder von<lb/> auswärts dorthin verpflanzt wurde, unentschieden ist. Unter den Frauen<lb/> Annabergs, die damals einen gewinnbringenden Handel mit Borten und Spitzen<lb/> betrieben und dadurch zahlreichen Händen Beschäftigung und Verdienst boten,<lb/> ist die denkwürdigste Barbara Ullmann, geborne von Elterlein, Witwe des 1553<lb/> gestorbnen Fundgrübners und Bergherrn Christoph Ullmann. Durch Klugheit,<lb/> Umsicht und Tatkraft hat sie sich bleibende Verdienste um die Verbreitung<lb/> beider Industriezweige und die Einführung in immer weitere Kreise des Ge¬<lb/> birges erworben. Infolgedessen hinterließ sie bei ihrem Tode (14. Januar 1575)<lb/> ein gesegnetes Andenken, und es darf nicht wundernehmen, daß etwa hundert<lb/> Jahre nach ihrem Abscheiden die dankbare Erinnerung der Gebirgsbevölkerung<lb/> sie als Erfinderin und Einführerin des Spitzenklöppelns feierte. Das Grab der<lb/> Barbara Ullmann liegt auf dem Kirchhofe der Bergkirche nicht weit von der<lb/> berühmten großen Linde, die einst ein Priester als kleines Bäumchen mit den<lb/> Zweigen in die Erde pflanzte, um einen Zweifler zu überzeugen, daß bei Gott<lb/> kein Ding unmöglich sei. Das Denkmal trägt auf der Vorderseite unter einem Hoch¬<lb/> relief die Worte: „Hier ruht Barbara Ullmann, gestorben den 14. Januar 1575.<lb/> Sie ward durch das im Jahre 1561 von ihr erfundne Spitzenklöppeln die<lb/> Wohltäterin des Erzgebirges"; auf der Rückseite steht:</p><lb/> <quote> Ein tätiger Geist, eine sinnige Hand<lb/> Sie ziehen den Segen ins Vaterland.</quote><lb/> <p xml:id="ID_2978"> Auf dem Marktplatz steht das Denkmal der Barbara Ullmann, modelliert von<lb/> dem nunmehr auch heimgegangnen Bildhauer R. Herze und in Bronze gegossen<lb/> von A. Bierling in Dresden.</p><lb/> <p xml:id="ID_2979" next="#ID_2980"> Früh um ^6 Uhr verlassen wir Annaberg wieder und fahren mit der<lb/> Annaberg- Weiperter Bahn im Sehmatale aufwärts nach Crcmzahl. Im Sehma-<lb/> tale beginnt die Posamentenbranche als Hausindustrie und zieht sich in stark<lb/> bevölkerten Dörfern über Buchholz bis zum Fichtelberg hinauf. Die Mannig¬<lb/> faltigkeit der Fabrikate der Posamentenbranche läßt sich nur andeuten: alles,<lb/> was Klciderbesatz und Garnitur heißt, Ornament, Knopf, Borte, Franse, Quaste,<lb/> Schnur, wird hier gewirkt- und geschlungen, gedreht und genäht. Geht das</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0688]
Line Sommerfahrt in das Erzgebirge
Jahrhundert nur ein langsam dahinsterbendes Dasein gefristet und ist trotz
aller Versuche, ihn wieder in Aufschwung zu bringen, so gut wie tot. Dazu
wurde die Stadt am 27. April 1604 durch eine große Feuersbrunst heim¬
gesucht — 700 Häuser und fast alle öffentlichen Gebäude (Kloster, Rathaus,
Schule, Dach und Turm der Hauptkirche) sanken in Asche — und so ihr Wohl¬
stand aufs tiefste erschüttert. Da gelang es in der zweiten Hälfte des sechzehnten
Jahrhunderts durch Einführung von mancherlei Hausindustrie für weitere Kreise
lohnende Beschäftigung zu schaffen; es kam die Bortenwirkerei auf, aus der sich
die noch heute bestehende Posamentenindustrie entwickelte. Einen ähnlichen
Verlauf scheint das Aufkommen des Spitzenklöppelns gehabt zu haben, wenn
auch die Frage, ob die Klöppelkunst im Erzgebirge selbständig erdacht oder von
auswärts dorthin verpflanzt wurde, unentschieden ist. Unter den Frauen
Annabergs, die damals einen gewinnbringenden Handel mit Borten und Spitzen
betrieben und dadurch zahlreichen Händen Beschäftigung und Verdienst boten,
ist die denkwürdigste Barbara Ullmann, geborne von Elterlein, Witwe des 1553
gestorbnen Fundgrübners und Bergherrn Christoph Ullmann. Durch Klugheit,
Umsicht und Tatkraft hat sie sich bleibende Verdienste um die Verbreitung
beider Industriezweige und die Einführung in immer weitere Kreise des Ge¬
birges erworben. Infolgedessen hinterließ sie bei ihrem Tode (14. Januar 1575)
ein gesegnetes Andenken, und es darf nicht wundernehmen, daß etwa hundert
Jahre nach ihrem Abscheiden die dankbare Erinnerung der Gebirgsbevölkerung
sie als Erfinderin und Einführerin des Spitzenklöppelns feierte. Das Grab der
Barbara Ullmann liegt auf dem Kirchhofe der Bergkirche nicht weit von der
berühmten großen Linde, die einst ein Priester als kleines Bäumchen mit den
Zweigen in die Erde pflanzte, um einen Zweifler zu überzeugen, daß bei Gott
kein Ding unmöglich sei. Das Denkmal trägt auf der Vorderseite unter einem Hoch¬
relief die Worte: „Hier ruht Barbara Ullmann, gestorben den 14. Januar 1575.
Sie ward durch das im Jahre 1561 von ihr erfundne Spitzenklöppeln die
Wohltäterin des Erzgebirges"; auf der Rückseite steht:
Ein tätiger Geist, eine sinnige Hand
Sie ziehen den Segen ins Vaterland.
Auf dem Marktplatz steht das Denkmal der Barbara Ullmann, modelliert von
dem nunmehr auch heimgegangnen Bildhauer R. Herze und in Bronze gegossen
von A. Bierling in Dresden.
Früh um ^6 Uhr verlassen wir Annaberg wieder und fahren mit der
Annaberg- Weiperter Bahn im Sehmatale aufwärts nach Crcmzahl. Im Sehma-
tale beginnt die Posamentenbranche als Hausindustrie und zieht sich in stark
bevölkerten Dörfern über Buchholz bis zum Fichtelberg hinauf. Die Mannig¬
faltigkeit der Fabrikate der Posamentenbranche läßt sich nur andeuten: alles,
was Klciderbesatz und Garnitur heißt, Ornament, Knopf, Borte, Franse, Quaste,
Schnur, wird hier gewirkt- und geschlungen, gedreht und genäht. Geht das
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