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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Ein Lharakterkoxf aus der ältern Leipziger Schulgeschichte

Vorbereitung für die eigentlichen Fachstudien, die "obern Fakultäten", betrachtete,
studierte er dabei rastlos weiter, und zwar die Rechte, sodaß er am 2. August
1531 Baccalaureus, am 3. Februar 1533 Licentiat, am 11. August desselben
Jahres Doktor beider Rechte wurde. An den kirchlichen Kämpfen der Zeit
hat er sich nicht beteiligt, obwohl er einmal in Wittenberg gewesen ist und
Luther gehört hat; mit dem letzten Thomaspropst Ambrosius Rhau verband ihn
dauernde Freundschaft.

Um seine Studien in Padua, an einer der berühmtesten italienischen Nechts-
universitäten, vertiefen zu können, legte er kurz vor Ostern 1535, nach einem
für jene Zeit ungewöhnlich langen Rektorat von zehn bis elf Jahren, sein
Schulamt nieder. Der Rat aber schenkte "Licentiato Joanni Muschlero, der eine
lange zeit des raths Schulmeister zu S. Niclas gewest und die jugent wohl
instituiret -- als er itzo ins welschland zihen wollen, 15 Thaler zu Vorehrung
und abzug". So brach er nach Italien auf, dem Lande der Sehnsucht aller
Humanisten. In seiner Vaterstadt Öttingen empfing ihn der Rat zur Freude
seines alten Vaters mit den höchsten Ehren; dann zog er über Ingolstadt, wo
er den Dr. Johann Eck begrüßte, die Donau abwärts nach Wien und über
den Semmering nach dem Süden. In Padua, wo er seinen Bruder Georg
antraf, studierte er die Rechte eifrig weiter und las in den Hallen des neu¬
erbauten Universitütspalastes als außerordentlicher Professor erst über die
Institutionen, seit dem August 1540 auch über das Kirchenrecht der Dekretalen.
Aber seinem Wesen nach blieb er auch hier humanistischer Lehrer, indem er
studierende Söhne angesehener deutscher Familien, zwei junge Grafen von Orten¬
burg, einen Baumgartner, einen Fugger und andre unterrichtete und erzog. Doch
die Herausgabe seiner Schriften (Reden, pädagogische Aufsätze, Gutachten, Briefe
u. a. in.) in Venedig verwickelte ihn in ärgerliche Händel, da seine Gegner ihn
der Ketzerei bezichtigten und die Sache vor den päpstlichen Legaten Girolamo
Verallo brachten, der sich wohlmeinend herabließ, das Buch wirklich durchzu-
lesen. Aber zunächst wurde es konfisziert. Der Prozeß, der sich daraus entspann,
führte Muschler nach Venedig. Er sah die wunderbare Lagunenstadt im phan¬
tastisch-närrischen Treiben ihres glänzenden Karnevals, aber auch auf der
strahlenden Höhe ihrer Macht und ihres Reichtums, ihrer Kunst und des
feinsten Lebensgenusses, wie sie damals Tizian und andre malten in den
Bildern ihrer stolzen Nobili und ihrer schönen blonden Frauen. Schon erhob
sich vor der ragenden Dogenkirche San Giovanni e Paolo seit 1496 das
schönste Reiterstandbild der Renaissance, des Bartolomeo Colleoni; der um¬
gebaute Fondaco dei Tedeschi an der damals noch hölzernen Nialtobrücke
glänzte im frischen Schmucke der Fresken Giorgiones und Tizians, und neben
den alten gotischen Palästen mit ihren zierlichen offnen Loggien erhoben sich
unter den Händen Jacopo Sansovinos und Sammichelis die formenschönen,
reichgeschmückten Bauten der Renaissance: soeben stieg (seit 1536) die herrliche
Front der Bibliothek an der Piazzetta empor, und der Dogenpalast wurde in
seinen Höfen und Sälen neugestaltet. Freilich, der bescheidne deutsche Humanist


Ein Lharakterkoxf aus der ältern Leipziger Schulgeschichte

Vorbereitung für die eigentlichen Fachstudien, die „obern Fakultäten", betrachtete,
studierte er dabei rastlos weiter, und zwar die Rechte, sodaß er am 2. August
1531 Baccalaureus, am 3. Februar 1533 Licentiat, am 11. August desselben
Jahres Doktor beider Rechte wurde. An den kirchlichen Kämpfen der Zeit
hat er sich nicht beteiligt, obwohl er einmal in Wittenberg gewesen ist und
Luther gehört hat; mit dem letzten Thomaspropst Ambrosius Rhau verband ihn
dauernde Freundschaft.

Um seine Studien in Padua, an einer der berühmtesten italienischen Nechts-
universitäten, vertiefen zu können, legte er kurz vor Ostern 1535, nach einem
für jene Zeit ungewöhnlich langen Rektorat von zehn bis elf Jahren, sein
Schulamt nieder. Der Rat aber schenkte „Licentiato Joanni Muschlero, der eine
lange zeit des raths Schulmeister zu S. Niclas gewest und die jugent wohl
instituiret — als er itzo ins welschland zihen wollen, 15 Thaler zu Vorehrung
und abzug". So brach er nach Italien auf, dem Lande der Sehnsucht aller
Humanisten. In seiner Vaterstadt Öttingen empfing ihn der Rat zur Freude
seines alten Vaters mit den höchsten Ehren; dann zog er über Ingolstadt, wo
er den Dr. Johann Eck begrüßte, die Donau abwärts nach Wien und über
den Semmering nach dem Süden. In Padua, wo er seinen Bruder Georg
antraf, studierte er die Rechte eifrig weiter und las in den Hallen des neu¬
erbauten Universitütspalastes als außerordentlicher Professor erst über die
Institutionen, seit dem August 1540 auch über das Kirchenrecht der Dekretalen.
Aber seinem Wesen nach blieb er auch hier humanistischer Lehrer, indem er
studierende Söhne angesehener deutscher Familien, zwei junge Grafen von Orten¬
burg, einen Baumgartner, einen Fugger und andre unterrichtete und erzog. Doch
die Herausgabe seiner Schriften (Reden, pädagogische Aufsätze, Gutachten, Briefe
u. a. in.) in Venedig verwickelte ihn in ärgerliche Händel, da seine Gegner ihn
der Ketzerei bezichtigten und die Sache vor den päpstlichen Legaten Girolamo
Verallo brachten, der sich wohlmeinend herabließ, das Buch wirklich durchzu-
lesen. Aber zunächst wurde es konfisziert. Der Prozeß, der sich daraus entspann,
führte Muschler nach Venedig. Er sah die wunderbare Lagunenstadt im phan¬
tastisch-närrischen Treiben ihres glänzenden Karnevals, aber auch auf der
strahlenden Höhe ihrer Macht und ihres Reichtums, ihrer Kunst und des
feinsten Lebensgenusses, wie sie damals Tizian und andre malten in den
Bildern ihrer stolzen Nobili und ihrer schönen blonden Frauen. Schon erhob
sich vor der ragenden Dogenkirche San Giovanni e Paolo seit 1496 das
schönste Reiterstandbild der Renaissance, des Bartolomeo Colleoni; der um¬
gebaute Fondaco dei Tedeschi an der damals noch hölzernen Nialtobrücke
glänzte im frischen Schmucke der Fresken Giorgiones und Tizians, und neben
den alten gotischen Palästen mit ihren zierlichen offnen Loggien erhoben sich
unter den Händen Jacopo Sansovinos und Sammichelis die formenschönen,
reichgeschmückten Bauten der Renaissance: soeben stieg (seit 1536) die herrliche
Front der Bibliothek an der Piazzetta empor, und der Dogenpalast wurde in
seinen Höfen und Sälen neugestaltet. Freilich, der bescheidne deutsche Humanist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/678>, abgerufen am 06.02.2025.