Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Ein Lharakterkoxf aus der ältern Leipziger Schulgeschichte den Leistungen, was sich damals und noch viel später keineswegs von selbst Um den Wetteifer unter seinen Schülern anzuspornen, führte Muschler, Mit der Universität blieb Muschler selbst fortwährend in Verbindung. Im Grenzboten II 1907 87
Ein Lharakterkoxf aus der ältern Leipziger Schulgeschichte den Leistungen, was sich damals und noch viel später keineswegs von selbst Um den Wetteifer unter seinen Schülern anzuspornen, führte Muschler, Mit der Universität blieb Muschler selbst fortwährend in Verbindung. Im Grenzboten II 1907 87
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0677" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302665"/> <fw type="header" place="top"> Ein Lharakterkoxf aus der ältern Leipziger Schulgeschichte</fw><lb/> <p xml:id="ID_2948" prev="#ID_2947"> den Leistungen, was sich damals und noch viel später keineswegs von selbst<lb/> verstand. Die Hauptaufgabe des Unterrichts war natürlich, die Schüler zur<lb/> möglichsten Beherrschung des Lateinischen, der Kirchen- und Weltsprache jener<lb/> Zeit, durch Lektüre und Imitation der klassischen Schriftsteller zu bringen. Daher<lb/> wurden, von den Elementarbüchern abgesehen, Terenz, Cäsar, Cicero und Virgil<lb/> gelesen, und in aufsteigenden Kursus Fabeln, Erzählungen, Begründungen und<lb/> Widerlegungen, Lob- und Tadelreden angefertigt. Zur Übung im Lateinischen<lb/> gehörte auch die Einübung und die öffentliche Aufführung von Tragödien<lb/> und Komödien, wie des „Plutos" von Aristophanes (jedenfalls in lateinischer<lb/> Übersetzung), denn daran lernten die Schüler Aussprache, Vortrag und Memorieren,<lb/> sodaß sie nach solchen Übungen, „die zuerst von uns versucht worden sind",<lb/> wie Muschler rühmt, später auf der Universität gern öffentlich auftraten. Nach<lb/> den verwandten Büchern (Homer, Neues Testament, Sprüche Salomonis) zu<lb/> urteilen, wurde auch Griechisch in einem gewissen Umfange getrieben.</p><lb/> <p xml:id="ID_2949"> Um den Wetteifer unter seinen Schülern anzuspornen, führte Muschler,<lb/> fast nach der Weise der spätern Jesuitenschulen, ein ganzes System von Prämien<lb/> ein. Am Anfange jedes Monats kündigte er sie mit einer gewissen Feierlich¬<lb/> keit an, am Ende, nach der „Genercilrepetition", wurden sie in einem Aktus,<lb/> der in einem mit Blumen und Laubwerk geschmückten Raume der Schule im<lb/> Beisein angesehener Männer aus der Stadt abgehalten wurde, proklamiert und<lb/> verteilt, für die obern Klassen schön gelmndne Bücher, für die untern Sachen<lb/> aus Marmor und Elfenbein, Bilder, Spiegel, Federkasten, für die kleinsten auch<lb/> Bnckwerk. In dauernden Besitz des Empfängers ging jedoch eine Prämie erst<lb/> dann über, wenn er sie dreimal hintereinander errungen hatte. Der Einfluß<lb/> dieses Verfahrens war so günstig, daß Muschler das alte Prügelsystem auf<lb/> sittliche Vergehen, Schimpfworte, Händel, unangemessene Spiele, Übermaß im<lb/> Trunk und schlimmere Dinge beschränken konnte. Wenn unter seinem Nach¬<lb/> folger W. Meurer die Disziplin der Nikolaischnle „an akademische Freiheit<lb/> grenzte", so war das sicherlich nur die Fortsetzung des eignen Brauchs. Daß<lb/> die holde Jngend diese größere Freiheit auch mißbrauchte, ergibt sich unter<lb/> anderen aus der Aufforderung des Universitätsrektors Mag. Paul Vetzer im Mai<lb/> 1526 an Muschler, „daß er seine Schüler ins collegium (d. h. in die Schule)<lb/> treiben solle", vermutlich, weil die Nikolaitcmer zuweilen mit den Studenten der<lb/> benachbarten Kollegien und Bursen Händel gehabt hatten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2950" next="#ID_2951"> Mit der Universität blieb Muschler selbst fortwährend in Verbindung. Im<lb/> Sommer 1530 wurde er sogar zu ihrem Rektor gewählt. Schlagfertig, wie er<lb/> war. hielt er denen ins Geficht, die darüber die Nase rümpften, daß ein Schul¬<lb/> meister dieser höchsten akademischen Ehre gewürdigt worden sei, in Anknüpfung<lb/> daran seine Antrittsrede, um zu beweisen, daß Schule und Universität einander<lb/> ebenbürtig seien. Im Winter 1531/32 war er Vizekanzler (für die Promotionen),<lb/> im Winter 1532 Dekan der philosophischen Fakultät. Als echter Humanist<lb/> und ganz im Stile des Mittelalters, das die philosophische Fakultät nur als</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1907 87</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0677]
Ein Lharakterkoxf aus der ältern Leipziger Schulgeschichte
den Leistungen, was sich damals und noch viel später keineswegs von selbst
verstand. Die Hauptaufgabe des Unterrichts war natürlich, die Schüler zur
möglichsten Beherrschung des Lateinischen, der Kirchen- und Weltsprache jener
Zeit, durch Lektüre und Imitation der klassischen Schriftsteller zu bringen. Daher
wurden, von den Elementarbüchern abgesehen, Terenz, Cäsar, Cicero und Virgil
gelesen, und in aufsteigenden Kursus Fabeln, Erzählungen, Begründungen und
Widerlegungen, Lob- und Tadelreden angefertigt. Zur Übung im Lateinischen
gehörte auch die Einübung und die öffentliche Aufführung von Tragödien
und Komödien, wie des „Plutos" von Aristophanes (jedenfalls in lateinischer
Übersetzung), denn daran lernten die Schüler Aussprache, Vortrag und Memorieren,
sodaß sie nach solchen Übungen, „die zuerst von uns versucht worden sind",
wie Muschler rühmt, später auf der Universität gern öffentlich auftraten. Nach
den verwandten Büchern (Homer, Neues Testament, Sprüche Salomonis) zu
urteilen, wurde auch Griechisch in einem gewissen Umfange getrieben.
Um den Wetteifer unter seinen Schülern anzuspornen, führte Muschler,
fast nach der Weise der spätern Jesuitenschulen, ein ganzes System von Prämien
ein. Am Anfange jedes Monats kündigte er sie mit einer gewissen Feierlich¬
keit an, am Ende, nach der „Genercilrepetition", wurden sie in einem Aktus,
der in einem mit Blumen und Laubwerk geschmückten Raume der Schule im
Beisein angesehener Männer aus der Stadt abgehalten wurde, proklamiert und
verteilt, für die obern Klassen schön gelmndne Bücher, für die untern Sachen
aus Marmor und Elfenbein, Bilder, Spiegel, Federkasten, für die kleinsten auch
Bnckwerk. In dauernden Besitz des Empfängers ging jedoch eine Prämie erst
dann über, wenn er sie dreimal hintereinander errungen hatte. Der Einfluß
dieses Verfahrens war so günstig, daß Muschler das alte Prügelsystem auf
sittliche Vergehen, Schimpfworte, Händel, unangemessene Spiele, Übermaß im
Trunk und schlimmere Dinge beschränken konnte. Wenn unter seinem Nach¬
folger W. Meurer die Disziplin der Nikolaischnle „an akademische Freiheit
grenzte", so war das sicherlich nur die Fortsetzung des eignen Brauchs. Daß
die holde Jngend diese größere Freiheit auch mißbrauchte, ergibt sich unter
anderen aus der Aufforderung des Universitätsrektors Mag. Paul Vetzer im Mai
1526 an Muschler, „daß er seine Schüler ins collegium (d. h. in die Schule)
treiben solle", vermutlich, weil die Nikolaitcmer zuweilen mit den Studenten der
benachbarten Kollegien und Bursen Händel gehabt hatten.
Mit der Universität blieb Muschler selbst fortwährend in Verbindung. Im
Sommer 1530 wurde er sogar zu ihrem Rektor gewählt. Schlagfertig, wie er
war. hielt er denen ins Geficht, die darüber die Nase rümpften, daß ein Schul¬
meister dieser höchsten akademischen Ehre gewürdigt worden sei, in Anknüpfung
daran seine Antrittsrede, um zu beweisen, daß Schule und Universität einander
ebenbürtig seien. Im Winter 1531/32 war er Vizekanzler (für die Promotionen),
im Winter 1532 Dekan der philosophischen Fakultät. Als echter Humanist
und ganz im Stile des Mittelalters, das die philosophische Fakultät nur als
Grenzboten II 1907 87
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |