Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Die Zukunft Ägyptens Während die "Gemischter Gerichtshöfe" bei allen Streitigkeiten zwischen Eine Abschaffung dieser Ausnahmeeinrichtungen, die eine schwere Ungerechtig¬ Für eine solche Entscheidung der Frage aber hält Dicey den jetzigen Zeit- Haben die letzten Sätze die augenblickliche Stellung Englands zu Ägypten Lange Zeit hat man in den Kabinetten des westlichen Europas mit Er¬ Die Zukunft Ägyptens Während die „Gemischter Gerichtshöfe" bei allen Streitigkeiten zwischen Eine Abschaffung dieser Ausnahmeeinrichtungen, die eine schwere Ungerechtig¬ Für eine solche Entscheidung der Frage aber hält Dicey den jetzigen Zeit- Haben die letzten Sätze die augenblickliche Stellung Englands zu Ägypten Lange Zeit hat man in den Kabinetten des westlichen Europas mit Er¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0659" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302647"/> <fw type="header" place="top"> Die Zukunft Ägyptens</fw><lb/> <p xml:id="ID_2876"> Während die „Gemischter Gerichtshöfe" bei allen Streitigkeiten zwischen<lb/> Fremden derselben oder verschieden Nationalitäten oder zwischen Fremden und<lb/> Eingebogen Recht sprechen, gewähren die „Kapitulationen" den Fremden eine<lb/> Reihe von Gerechtsamen, die den Eingebornen nicht zugestanden werden, wie Be¬<lb/> freiung von gewissen Abgaben, Unverletzlichkeit ihrer Häuser, in die der Eintritt<lb/> eines ägyptischen Polizeibeamten nur in Begleitung des eignen Konsuls erlaubt<lb/> ist, und andre.</p><lb/> <p xml:id="ID_2877"> Eine Abschaffung dieser Ausnahmeeinrichtungen, die eine schwere Ungerechtig¬<lb/> keit gegen die eingeborne ägyptische Bevölkerung bedeuten, will Dicey erst nach<lb/> der offen ausgesprochnen Erklärung des Protektorats über Ägypten und nach<lb/> Übernahme der öffentlichen Schuld dieses Landes vorgenommen sehen. Die<lb/> gegenwärtige Zeit aber erscheint zur Durchführung von Refornien nicht geeignet,<lb/> da diese die Zustimmung der andern europäischen Mächte notwendig macht.<lb/> Wie es aber Deutschland gelungen ist, seinen Standpunkt, wonach über die<lb/> marokkanische Frage nicht ein französisch-englisches Abkommen, sondern vielmehr<lb/> eme internationale Konferenz zu entscheiden habe, zu verfechten, so wird es auch<lb/> irgendeiner europäischen Macht möglich sein, die nur durch ein französisch¬<lb/> englisches Abkommen gewährleistete „freie Hand" in Ägypten anzufechten und<lb/> Zur Entscheidung der ägyptischen Frage ebenfalls den Spruch einer internatio¬<lb/> nalen Konferenz anzurufen. Eine solche Konferenz aber würde zu allererst von<lb/> England eine bestimmte Erklärung darüber verlangen, ob es seine militärische<lb/> ^esetzung Ägyptens für dauernd oder nur für vorübergehend erachte, und in<lb/> lesen Falle, wann es die Beendigung der Besatzung vorsehe, in jenem, in<lb/> welcher Weise es die Rechte der Angehörigen der übrigen fremden Mächte in<lb/> Ägypten sicherzustellen gedenke.</p><lb/> <p xml:id="ID_2878"> Für eine solche Entscheidung der Frage aber hält Dicey den jetzigen Zeit-<lb/> Punkt für den denkbar ungünstigsten. Er will zuerst die Grundlagen des ganzen<lb/> Systems geändert sehen, ehe man zum Neuaufbauen schreiten könne.</p><lb/> <p xml:id="ID_2879"> Haben die letzten Sätze die augenblickliche Stellung Englands zu Ägypten<lb/> kurz skizziert, so muß nun mit einigen Worten auf die orientalische Frage, so¬<lb/> fern sie mit den Geschicken Ägyptens in Zusammenhang steht, eingegangen<lb/> werden. Die orientalische Frage ist die alte Frage des Kampfes zwischen Kreuz<lb/> und Halbmond in ihren Vertretern, dem russischen und dem ottomanischen Reiche,<lb/> der seit den Tagen Peters des Großen die europäische Staatskunst beeinflußt<lb/> und in dem letzten halben Jahrhundert seit dem Ende des Krimkrieges einen<lb/> bestimmtem Charakter angenommen hat, trotz alledem aber von einer Lösung<lb/> "och weit entfernt ist. Alle Veränderungen im „Nahen Osten" im Laufe des<lb/> neunzehnten Jahrhunderts liefen auf eine Ausdehnung der russischen Macht auf<lb/> der Balkanhalbinsel und auf eine Verschlechterung der Stellung der Türkei in<lb/> Europa hinaus.</p><lb/> <p xml:id="ID_2880" next="#ID_2881"> Lange Zeit hat man in den Kabinetten des westlichen Europas mit Er¬<lb/> staunen gesehen, daß sich Rußland dauernd weigerte, seine Macht gegenüber der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0659]
Die Zukunft Ägyptens
Während die „Gemischter Gerichtshöfe" bei allen Streitigkeiten zwischen
Fremden derselben oder verschieden Nationalitäten oder zwischen Fremden und
Eingebogen Recht sprechen, gewähren die „Kapitulationen" den Fremden eine
Reihe von Gerechtsamen, die den Eingebornen nicht zugestanden werden, wie Be¬
freiung von gewissen Abgaben, Unverletzlichkeit ihrer Häuser, in die der Eintritt
eines ägyptischen Polizeibeamten nur in Begleitung des eignen Konsuls erlaubt
ist, und andre.
Eine Abschaffung dieser Ausnahmeeinrichtungen, die eine schwere Ungerechtig¬
keit gegen die eingeborne ägyptische Bevölkerung bedeuten, will Dicey erst nach
der offen ausgesprochnen Erklärung des Protektorats über Ägypten und nach
Übernahme der öffentlichen Schuld dieses Landes vorgenommen sehen. Die
gegenwärtige Zeit aber erscheint zur Durchführung von Refornien nicht geeignet,
da diese die Zustimmung der andern europäischen Mächte notwendig macht.
Wie es aber Deutschland gelungen ist, seinen Standpunkt, wonach über die
marokkanische Frage nicht ein französisch-englisches Abkommen, sondern vielmehr
eme internationale Konferenz zu entscheiden habe, zu verfechten, so wird es auch
irgendeiner europäischen Macht möglich sein, die nur durch ein französisch¬
englisches Abkommen gewährleistete „freie Hand" in Ägypten anzufechten und
Zur Entscheidung der ägyptischen Frage ebenfalls den Spruch einer internatio¬
nalen Konferenz anzurufen. Eine solche Konferenz aber würde zu allererst von
England eine bestimmte Erklärung darüber verlangen, ob es seine militärische
^esetzung Ägyptens für dauernd oder nur für vorübergehend erachte, und in
lesen Falle, wann es die Beendigung der Besatzung vorsehe, in jenem, in
welcher Weise es die Rechte der Angehörigen der übrigen fremden Mächte in
Ägypten sicherzustellen gedenke.
Für eine solche Entscheidung der Frage aber hält Dicey den jetzigen Zeit-
Punkt für den denkbar ungünstigsten. Er will zuerst die Grundlagen des ganzen
Systems geändert sehen, ehe man zum Neuaufbauen schreiten könne.
Haben die letzten Sätze die augenblickliche Stellung Englands zu Ägypten
kurz skizziert, so muß nun mit einigen Worten auf die orientalische Frage, so¬
fern sie mit den Geschicken Ägyptens in Zusammenhang steht, eingegangen
werden. Die orientalische Frage ist die alte Frage des Kampfes zwischen Kreuz
und Halbmond in ihren Vertretern, dem russischen und dem ottomanischen Reiche,
der seit den Tagen Peters des Großen die europäische Staatskunst beeinflußt
und in dem letzten halben Jahrhundert seit dem Ende des Krimkrieges einen
bestimmtem Charakter angenommen hat, trotz alledem aber von einer Lösung
"och weit entfernt ist. Alle Veränderungen im „Nahen Osten" im Laufe des
neunzehnten Jahrhunderts liefen auf eine Ausdehnung der russischen Macht auf
der Balkanhalbinsel und auf eine Verschlechterung der Stellung der Türkei in
Europa hinaus.
Lange Zeit hat man in den Kabinetten des westlichen Europas mit Er¬
staunen gesehen, daß sich Rußland dauernd weigerte, seine Macht gegenüber der
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |