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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Die Zukunft Ägyptens

seine Stellung in Ägypten stark erschüttert Hütte. Der Sudan wurde dann in
aller Form als dem "Kondominium" -- was immer dieser Ausdruck bedeuten
mag -- Seiner Majestät des Königs von England und Seiner Hoheit des
Khediven unterstellt erklärt. Ägypten und Europa nahmen diesen Staatsstreich
mit Beifall auf. Und in allen Ländern des Kontinents nahm man es als
sicher an, daß dieser Erklärung die Ankündigung der Übernahme des ausge-
sprochnen britischen Protektorats über Ägypten folgen werde. Der Irrtum kam
bald zutage. Ein drittesmal hatte England eine sich ihm bietende günstige Ge¬
legenheit, seine Stellung in Ägypten zu klären, vorübergehn lassen und war
ein weiteres mal zurückgeschreckt vor der Verantwortung, sich offen als der
wahre Herr über Ägypten zu bekennen und so für einen durchgreifenden Erfolg
seiner derzeitigen Verwaltungspolitik die unerläßlich nötige Freiheit des Handelns
zu bekommen.

Scheint auch so die Gelegenheit, in Ägypten festern Fuß zu fassen und
ein Protektorat über das Nilland offen auszusprechen, für absehbare Zeit ver¬
paßt, so haben die Ereignisse der letzten Jahre, die in mancher Beziehung be¬
deutende Veränderungen in der politischen Gesamtlage zur Folge hatten, die
Stellung Englands in Ägypten eher in günstigem Sinne beeinflußt. Der Zu¬
sammenbruch der russischen Wehrmacht auf den Schlachtfeldern des fernen
Ostens hatte Frankreich belehrt, daß die Allianz mit Rußland von militärischem
Standpunkt bedeutend an Wert verloren hatte; eine Wiederholung der Mar-
chandischen Expedition oder irgendein andres Unternehmen, geeignet, die öffent¬
liche Meinung in England zu reizen, erschien deshalb als Akt reinen Wahn¬
sinns. Von dieser Seite her war also England sicher. Im Gegenteil, nach
dem Zusammenbruch Rußlands mußte es im Interesse Frankreichs liegen, wieder
freundschaftlichere Beziehungen zu England aufzunehmen, die seit dem Beginn
der militärischen Besetzung Ägyptens durch diese Macht eine Trübung erfahren
hatten. Eine solche Annäherung war aber auch durchaus im britischen Interesse;
machte sie doch der Nadelstichpolitik ein Ende, die Frankreich nicht nur in
Ägypten, sondern ebenso in Neufundland, auf den Neuen Hebriden, in West¬
afrika, in Siam, und wo sich sonst auf dem Erdball britische und französische
Besitzungen und Interessengebiete berührten, ununterbrochen ausgeübt hatte.
Auch die Marchandische Expedition war nur der letzte Akt einer langen Reihe
von Bestrebungen, die Macht und das Ansehen des Khediven und seiner ein-
gebornen Minister oder aber tatsächlich des hinter jenen stehenden britischen
Vertreters zu untergraben. Das sodann auf Grund der marokkanischen Frage
zustandegekommne engere Einvernehmen zwischen beiden Mächten brachte die
größern Vorteile für England, dessen Interessen in Ägypten die in Marokko
bei weitem überwogen. Zudem konnte wohl Frankreich England "freie Hand" in
Ägypten lassen, nicht aber konnte in derselben Weise England Frankreich "freie
Hand" in Marokko gewährleisten. Es konnte sich überhaupt nur um eine diplo¬
matische Unterstützung der französischen Forderungen von feiten Großbritanniens


Die Zukunft Ägyptens

seine Stellung in Ägypten stark erschüttert Hütte. Der Sudan wurde dann in
aller Form als dem „Kondominium" — was immer dieser Ausdruck bedeuten
mag — Seiner Majestät des Königs von England und Seiner Hoheit des
Khediven unterstellt erklärt. Ägypten und Europa nahmen diesen Staatsstreich
mit Beifall auf. Und in allen Ländern des Kontinents nahm man es als
sicher an, daß dieser Erklärung die Ankündigung der Übernahme des ausge-
sprochnen britischen Protektorats über Ägypten folgen werde. Der Irrtum kam
bald zutage. Ein drittesmal hatte England eine sich ihm bietende günstige Ge¬
legenheit, seine Stellung in Ägypten zu klären, vorübergehn lassen und war
ein weiteres mal zurückgeschreckt vor der Verantwortung, sich offen als der
wahre Herr über Ägypten zu bekennen und so für einen durchgreifenden Erfolg
seiner derzeitigen Verwaltungspolitik die unerläßlich nötige Freiheit des Handelns
zu bekommen.

Scheint auch so die Gelegenheit, in Ägypten festern Fuß zu fassen und
ein Protektorat über das Nilland offen auszusprechen, für absehbare Zeit ver¬
paßt, so haben die Ereignisse der letzten Jahre, die in mancher Beziehung be¬
deutende Veränderungen in der politischen Gesamtlage zur Folge hatten, die
Stellung Englands in Ägypten eher in günstigem Sinne beeinflußt. Der Zu¬
sammenbruch der russischen Wehrmacht auf den Schlachtfeldern des fernen
Ostens hatte Frankreich belehrt, daß die Allianz mit Rußland von militärischem
Standpunkt bedeutend an Wert verloren hatte; eine Wiederholung der Mar-
chandischen Expedition oder irgendein andres Unternehmen, geeignet, die öffent¬
liche Meinung in England zu reizen, erschien deshalb als Akt reinen Wahn¬
sinns. Von dieser Seite her war also England sicher. Im Gegenteil, nach
dem Zusammenbruch Rußlands mußte es im Interesse Frankreichs liegen, wieder
freundschaftlichere Beziehungen zu England aufzunehmen, die seit dem Beginn
der militärischen Besetzung Ägyptens durch diese Macht eine Trübung erfahren
hatten. Eine solche Annäherung war aber auch durchaus im britischen Interesse;
machte sie doch der Nadelstichpolitik ein Ende, die Frankreich nicht nur in
Ägypten, sondern ebenso in Neufundland, auf den Neuen Hebriden, in West¬
afrika, in Siam, und wo sich sonst auf dem Erdball britische und französische
Besitzungen und Interessengebiete berührten, ununterbrochen ausgeübt hatte.
Auch die Marchandische Expedition war nur der letzte Akt einer langen Reihe
von Bestrebungen, die Macht und das Ansehen des Khediven und seiner ein-
gebornen Minister oder aber tatsächlich des hinter jenen stehenden britischen
Vertreters zu untergraben. Das sodann auf Grund der marokkanischen Frage
zustandegekommne engere Einvernehmen zwischen beiden Mächten brachte die
größern Vorteile für England, dessen Interessen in Ägypten die in Marokko
bei weitem überwogen. Zudem konnte wohl Frankreich England „freie Hand" in
Ägypten lassen, nicht aber konnte in derselben Weise England Frankreich „freie
Hand" in Marokko gewährleisten. Es konnte sich überhaupt nur um eine diplo¬
matische Unterstützung der französischen Forderungen von feiten Großbritanniens


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[0657] Die Zukunft Ägyptens seine Stellung in Ägypten stark erschüttert Hütte. Der Sudan wurde dann in aller Form als dem „Kondominium" — was immer dieser Ausdruck bedeuten mag — Seiner Majestät des Königs von England und Seiner Hoheit des Khediven unterstellt erklärt. Ägypten und Europa nahmen diesen Staatsstreich mit Beifall auf. Und in allen Ländern des Kontinents nahm man es als sicher an, daß dieser Erklärung die Ankündigung der Übernahme des ausge- sprochnen britischen Protektorats über Ägypten folgen werde. Der Irrtum kam bald zutage. Ein drittesmal hatte England eine sich ihm bietende günstige Ge¬ legenheit, seine Stellung in Ägypten zu klären, vorübergehn lassen und war ein weiteres mal zurückgeschreckt vor der Verantwortung, sich offen als der wahre Herr über Ägypten zu bekennen und so für einen durchgreifenden Erfolg seiner derzeitigen Verwaltungspolitik die unerläßlich nötige Freiheit des Handelns zu bekommen. Scheint auch so die Gelegenheit, in Ägypten festern Fuß zu fassen und ein Protektorat über das Nilland offen auszusprechen, für absehbare Zeit ver¬ paßt, so haben die Ereignisse der letzten Jahre, die in mancher Beziehung be¬ deutende Veränderungen in der politischen Gesamtlage zur Folge hatten, die Stellung Englands in Ägypten eher in günstigem Sinne beeinflußt. Der Zu¬ sammenbruch der russischen Wehrmacht auf den Schlachtfeldern des fernen Ostens hatte Frankreich belehrt, daß die Allianz mit Rußland von militärischem Standpunkt bedeutend an Wert verloren hatte; eine Wiederholung der Mar- chandischen Expedition oder irgendein andres Unternehmen, geeignet, die öffent¬ liche Meinung in England zu reizen, erschien deshalb als Akt reinen Wahn¬ sinns. Von dieser Seite her war also England sicher. Im Gegenteil, nach dem Zusammenbruch Rußlands mußte es im Interesse Frankreichs liegen, wieder freundschaftlichere Beziehungen zu England aufzunehmen, die seit dem Beginn der militärischen Besetzung Ägyptens durch diese Macht eine Trübung erfahren hatten. Eine solche Annäherung war aber auch durchaus im britischen Interesse; machte sie doch der Nadelstichpolitik ein Ende, die Frankreich nicht nur in Ägypten, sondern ebenso in Neufundland, auf den Neuen Hebriden, in West¬ afrika, in Siam, und wo sich sonst auf dem Erdball britische und französische Besitzungen und Interessengebiete berührten, ununterbrochen ausgeübt hatte. Auch die Marchandische Expedition war nur der letzte Akt einer langen Reihe von Bestrebungen, die Macht und das Ansehen des Khediven und seiner ein- gebornen Minister oder aber tatsächlich des hinter jenen stehenden britischen Vertreters zu untergraben. Das sodann auf Grund der marokkanischen Frage zustandegekommne engere Einvernehmen zwischen beiden Mächten brachte die größern Vorteile für England, dessen Interessen in Ägypten die in Marokko bei weitem überwogen. Zudem konnte wohl Frankreich England „freie Hand" in Ägypten lassen, nicht aber konnte in derselben Weise England Frankreich „freie Hand" in Marokko gewährleisten. Es konnte sich überhaupt nur um eine diplo¬ matische Unterstützung der französischen Forderungen von feiten Großbritanniens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/657>, abgerufen am 06.02.2025.