Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Die Zukunft Ägyptens der Mächte zu stoßen, und dreimal hat England diese Gelegenheit unbenutzt Das erstemal war es, als die Ereignisse im Jahre 1882 nach dem eng¬ Der Aufstand der Derwische unter dem Mahdi wurde niedergeschlagen, Die Herrschaft der Derwische war nicht völlig vernichtet, sie hatte nur einen Nur der Umstand, daß Kaiser Menelik den ihm zufallenden Teil des Die Zukunft Ägyptens der Mächte zu stoßen, und dreimal hat England diese Gelegenheit unbenutzt Das erstemal war es, als die Ereignisse im Jahre 1882 nach dem eng¬ Der Aufstand der Derwische unter dem Mahdi wurde niedergeschlagen, Die Herrschaft der Derwische war nicht völlig vernichtet, sie hatte nur einen Nur der Umstand, daß Kaiser Menelik den ihm zufallenden Teil des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0656" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302644"/> <fw type="header" place="top"> Die Zukunft Ägyptens</fw><lb/> <p xml:id="ID_2863" prev="#ID_2862"> der Mächte zu stoßen, und dreimal hat England diese Gelegenheit unbenutzt<lb/> vorübergehen lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2864"> Das erstemal war es, als die Ereignisse im Jahre 1882 nach dem eng¬<lb/> lischen Siege bei Tel-el-Kebir einen für England günstigen Verlauf nahmen.<lb/> Unter Gladstones Leitung im Ministerium versandte damals das Auswärtige<lb/> Amt an jede auch nur einigermaßen in Ägypten interessierte Macht die Mit¬<lb/> teilung, die britischen Truppen würden, sobald die Ordnung wiederhergestellt<lb/> sei, zurückgezogen werden; an eine Annektierung ägyptischen Gebiets werde nicht<lb/> gedacht; einseitige Vorteile für England, an denen die andern europäischen<lb/> Mächte nicht teilnehmen sollten, würden nicht angestrebt. Nach dem Einzug der<lb/> britischen Truppen in Kairo wurde wiederum der Welt verkündet, man beab¬<lb/> sichtige Ägypten zu reorganisieren und wünsche es in einen unabhängigen Staat<lb/> mit eigner Regierung zu verwandeln, um dann bald die Besetzung des Landes<lb/> wieder aufzugeben.</p><lb/> <p xml:id="ID_2865"> Der Aufstand der Derwische unter dem Mahdi wurde niedergeschlagen,<lb/> Ägypten wurde von den eingebrochnen Derwischen gesäubert durch britische<lb/> Truppen unter britischen Offizieren. Nachdem so England Ägypten zum zweitenmal<lb/> vor dem Schicksal der Anarchie gerettet hatte, würde Europa wohl keinen Einspruch<lb/> erhoben haben, wenn England den Feldzug mit der Erklärung eines offen aus-<lb/> gesprochnen Protektorats über das Nilland abgeschlossen hätte. Die britische<lb/> Negierung ließ, ein zweitesmal, eine günstige Gelegenheit unbenutzt vor¬<lb/> übergehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_2866"> Die Herrschaft der Derwische war nicht völlig vernichtet, sie hatte nur einen<lb/> tüchtigen Schlag erhalten. Durch das Zurückziehn der ägyptischen Verwaltung<lb/> aus dem Sudan, unter der Herrschaft des Khalifen, war dieser ein herrenloses<lb/> Land geworden, dessen Besetzung der Berliner Vertrag — an seinem Zustande¬<lb/> kommen hatte England mitgewirkt — der ersten europäischen Macht zugestand,<lb/> die nachzuweisen vermochte, daß jenes Gebiet in ihrer Interessensphäre liege.<lb/> Auf irgendwelche, niemals völlig aufgeklärte Weise erhielt die britische Re¬<lb/> gierung Kunde, daß Frankreich sich anschicke, vom französischen Sudan aus eine<lb/> Streitmacht nach den Ufern des Weißen Nils zu entsenden, und daß es in<lb/> Abif Abeba Verhandlungen führe, um Kaiser Menclik zu veranlassen, eine<lb/> abessinische Armee zu entsenden, die mit der französischen Truppe unter Kapitän<lb/> Marchand in Fcischoda zusammentreffen und den westlichen Sudan besetzen solle.<lb/> Die damalige britische Regierung unter Lord Salisburys Leitung entfaltete eine<lb/> eifrige Tätigkeit. Es wurden Befehle nach Kairo entsandt mit der Anweisung<lb/> an die britischen Militärbefehlshaber, ins Feld zu ziehen mit dem ausgesprochnen<lb/> Ziel, die Herrschaft der Derwische im Sudan zu vernichten. Es folgte die Ein¬<lb/> nahme von Khartum und die Flucht des Khalifen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2867" next="#ID_2868"> Nur der Umstand, daß Kaiser Menelik den ihm zufallenden Teil des<lb/> französisch-abessinischen Abkommens auszuführen unterließ, und das energische<lb/> Vorgehen Lord Kitcheners retteten damals England vor einer Katastrophe, die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0656]
Die Zukunft Ägyptens
der Mächte zu stoßen, und dreimal hat England diese Gelegenheit unbenutzt
vorübergehen lassen.
Das erstemal war es, als die Ereignisse im Jahre 1882 nach dem eng¬
lischen Siege bei Tel-el-Kebir einen für England günstigen Verlauf nahmen.
Unter Gladstones Leitung im Ministerium versandte damals das Auswärtige
Amt an jede auch nur einigermaßen in Ägypten interessierte Macht die Mit¬
teilung, die britischen Truppen würden, sobald die Ordnung wiederhergestellt
sei, zurückgezogen werden; an eine Annektierung ägyptischen Gebiets werde nicht
gedacht; einseitige Vorteile für England, an denen die andern europäischen
Mächte nicht teilnehmen sollten, würden nicht angestrebt. Nach dem Einzug der
britischen Truppen in Kairo wurde wiederum der Welt verkündet, man beab¬
sichtige Ägypten zu reorganisieren und wünsche es in einen unabhängigen Staat
mit eigner Regierung zu verwandeln, um dann bald die Besetzung des Landes
wieder aufzugeben.
Der Aufstand der Derwische unter dem Mahdi wurde niedergeschlagen,
Ägypten wurde von den eingebrochnen Derwischen gesäubert durch britische
Truppen unter britischen Offizieren. Nachdem so England Ägypten zum zweitenmal
vor dem Schicksal der Anarchie gerettet hatte, würde Europa wohl keinen Einspruch
erhoben haben, wenn England den Feldzug mit der Erklärung eines offen aus-
gesprochnen Protektorats über das Nilland abgeschlossen hätte. Die britische
Negierung ließ, ein zweitesmal, eine günstige Gelegenheit unbenutzt vor¬
übergehn.
Die Herrschaft der Derwische war nicht völlig vernichtet, sie hatte nur einen
tüchtigen Schlag erhalten. Durch das Zurückziehn der ägyptischen Verwaltung
aus dem Sudan, unter der Herrschaft des Khalifen, war dieser ein herrenloses
Land geworden, dessen Besetzung der Berliner Vertrag — an seinem Zustande¬
kommen hatte England mitgewirkt — der ersten europäischen Macht zugestand,
die nachzuweisen vermochte, daß jenes Gebiet in ihrer Interessensphäre liege.
Auf irgendwelche, niemals völlig aufgeklärte Weise erhielt die britische Re¬
gierung Kunde, daß Frankreich sich anschicke, vom französischen Sudan aus eine
Streitmacht nach den Ufern des Weißen Nils zu entsenden, und daß es in
Abif Abeba Verhandlungen führe, um Kaiser Menclik zu veranlassen, eine
abessinische Armee zu entsenden, die mit der französischen Truppe unter Kapitän
Marchand in Fcischoda zusammentreffen und den westlichen Sudan besetzen solle.
Die damalige britische Regierung unter Lord Salisburys Leitung entfaltete eine
eifrige Tätigkeit. Es wurden Befehle nach Kairo entsandt mit der Anweisung
an die britischen Militärbefehlshaber, ins Feld zu ziehen mit dem ausgesprochnen
Ziel, die Herrschaft der Derwische im Sudan zu vernichten. Es folgte die Ein¬
nahme von Khartum und die Flucht des Khalifen.
Nur der Umstand, daß Kaiser Menelik den ihm zufallenden Teil des
französisch-abessinischen Abkommens auszuführen unterließ, und das energische
Vorgehen Lord Kitcheners retteten damals England vor einer Katastrophe, die
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |