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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Hans von Kleist-Retzow

komisch aussah. Aber das ganze war ein Gebräu von gräßlichem Pech und
geeignet, den Wcisheitssprnch von Liselvttens pfälzischer Kammerfrau zu recht¬
fertigen: es geht doch nirgends verrückter zu als auf der Welt. Die Unent-
schlossenheit Friedrich Wilhelms des Vierten war uuter andern, auch daran
schuld, daß Kleist von allen den Minister- und Prüsidentenpostcn. für die er
in Aussicht genommen wurde, und für die er gepaßt hätte, keinen bekam, und
daß man ihn endlich zu einem Amte beförderte, für das niemand ungeeigneter
war als gerade er. Der König ernannte ihn zum Oberpräsidenten der Rhein-
Provinz und wies ihm den Oberstock des Schlosses zu Koblenz, in dessen
unterm Geschoß der Prinz von Preußen residierte, als Wohnung an. Daß
Kleist Protestant war, hatte ja an sich nichts zu bedeuten, da die Regierungs¬
präsidenten der katholischen Provinzen meistens Protestanten sind, aber er war
ein eifriger Lutheraner, der nicht bloß seinen christlichen Glauben, sondern auch
seine lutherische Konfession auf das schärfste zu betonen gewohnt war und gleich
die erste Sitzung des Provinziallandtags mit dem Gebet eines evangelischen
Geistliche" eröffnen ließ. Der Prinz von Preußen war außer sich, und Kleist
hatte diesen fortan zum entschiednen Gegner, nicht weniger die Prinzessin, deren
Stimmung durch die mancherlei Kollisionen, die das Zusammenwohnen in einem
Hause mit sich zu bringen pflegt, nicht verbessert wurde. Und nun Kleists
Sittenstrenge gegenüber der rheinischen Lebenslust! So hatte er denn nahezu
alles gegen sich: außer dein Prinzen, der Prinzessin und der Bevölkerung auch
die meist liberalen Beamten, die gegen ihn intrigierten. Als seine Ernennung
bekannt wurde, beklagte der Professor Perthes die Entsendung des "Fanatikers"
als ein Unglück. Die Kölnische Zeitung hielt die erste Meldung für einen
schlechten Witz und schrieb nach deren Bestätigung: "Die Rheinprovinz wird
sich nicht provozieren lassen; sie wird auch diesen Prokonsul zu ertrage"
wissen"; dann stellte sie Betrachtungen über den "Wahnsinn des Junkertums"
an. Daß Kleist seinen Einzug während einer Sonnenfinsternis hielt, wurde
natürlich von der Presse gehörig ausgebeutet, und im "Verfinstern" übertraf
er sogar noch die Befürchtungen der Liberalen; hatte er doch dem Könige in
der Abschiedsaudienz erklärt: er werde den christlichen Charakter seines Regiments
in der schärfsten Form hervorkehren; sollte das nicht genehm sein, so werde er
gern zurücktreten. Was dann die Katholiken betrifft, mit deren Presse er es
natürlich bald zu tun bekam (doch beschränkte sich diese damals auf em Blatt:
die Deutsche Volkshalle, die Vorgängerin der Kölnischen Volkszeitung), so
waren zwar der neue Oberpräsident, der Prinz und sämtliche Berater beider
einig in dem Grundsatze, der Autorität und den Rechten des Staates dürfe
nicht das mindeste vergeben, doch jede unberechtigte und unnötige Euumschung
in die innern Angelegenheiten der katholischen Kirche müsse vermieden werden,
aber in jedem einzelnen konkreten Falle gingen die Ansichten wett auseinander:
was A für eine Staatsnotwendigkeit hielt, das erklärte B für eine unberechtigte
Einmischung, und das nächstemal nannte A unnötige Schikane, was dem B um


Hans von Kleist-Retzow

komisch aussah. Aber das ganze war ein Gebräu von gräßlichem Pech und
geeignet, den Wcisheitssprnch von Liselvttens pfälzischer Kammerfrau zu recht¬
fertigen: es geht doch nirgends verrückter zu als auf der Welt. Die Unent-
schlossenheit Friedrich Wilhelms des Vierten war uuter andern, auch daran
schuld, daß Kleist von allen den Minister- und Prüsidentenpostcn. für die er
in Aussicht genommen wurde, und für die er gepaßt hätte, keinen bekam, und
daß man ihn endlich zu einem Amte beförderte, für das niemand ungeeigneter
war als gerade er. Der König ernannte ihn zum Oberpräsidenten der Rhein-
Provinz und wies ihm den Oberstock des Schlosses zu Koblenz, in dessen
unterm Geschoß der Prinz von Preußen residierte, als Wohnung an. Daß
Kleist Protestant war, hatte ja an sich nichts zu bedeuten, da die Regierungs¬
präsidenten der katholischen Provinzen meistens Protestanten sind, aber er war
ein eifriger Lutheraner, der nicht bloß seinen christlichen Glauben, sondern auch
seine lutherische Konfession auf das schärfste zu betonen gewohnt war und gleich
die erste Sitzung des Provinziallandtags mit dem Gebet eines evangelischen
Geistliche» eröffnen ließ. Der Prinz von Preußen war außer sich, und Kleist
hatte diesen fortan zum entschiednen Gegner, nicht weniger die Prinzessin, deren
Stimmung durch die mancherlei Kollisionen, die das Zusammenwohnen in einem
Hause mit sich zu bringen pflegt, nicht verbessert wurde. Und nun Kleists
Sittenstrenge gegenüber der rheinischen Lebenslust! So hatte er denn nahezu
alles gegen sich: außer dein Prinzen, der Prinzessin und der Bevölkerung auch
die meist liberalen Beamten, die gegen ihn intrigierten. Als seine Ernennung
bekannt wurde, beklagte der Professor Perthes die Entsendung des „Fanatikers"
als ein Unglück. Die Kölnische Zeitung hielt die erste Meldung für einen
schlechten Witz und schrieb nach deren Bestätigung: „Die Rheinprovinz wird
sich nicht provozieren lassen; sie wird auch diesen Prokonsul zu ertrage»
wissen"; dann stellte sie Betrachtungen über den „Wahnsinn des Junkertums"
an. Daß Kleist seinen Einzug während einer Sonnenfinsternis hielt, wurde
natürlich von der Presse gehörig ausgebeutet, und im „Verfinstern" übertraf
er sogar noch die Befürchtungen der Liberalen; hatte er doch dem Könige in
der Abschiedsaudienz erklärt: er werde den christlichen Charakter seines Regiments
in der schärfsten Form hervorkehren; sollte das nicht genehm sein, so werde er
gern zurücktreten. Was dann die Katholiken betrifft, mit deren Presse er es
natürlich bald zu tun bekam (doch beschränkte sich diese damals auf em Blatt:
die Deutsche Volkshalle, die Vorgängerin der Kölnischen Volkszeitung), so
waren zwar der neue Oberpräsident, der Prinz und sämtliche Berater beider
einig in dem Grundsatze, der Autorität und den Rechten des Staates dürfe
nicht das mindeste vergeben, doch jede unberechtigte und unnötige Euumschung
in die innern Angelegenheiten der katholischen Kirche müsse vermieden werden,
aber in jedem einzelnen konkreten Falle gingen die Ansichten wett auseinander:
was A für eine Staatsnotwendigkeit hielt, das erklärte B für eine unberechtigte
Einmischung, und das nächstemal nannte A unnötige Schikane, was dem B um


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/629>, abgerufen am 06.02.2025.