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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Hans von Aleist-Retzow

von Vincke, Ludwig Windthorst und Eugen Richter groteske Häßlichkeit eine
willkommne Waffe geworden, so spielte bei Kleist-Netzow das vornehm-ehr¬
würdige Äußere, verbunden mit einem liebenswürdigen Temperament, diese
Rolle. Sein Wesen hatte etwas von dem Schutzpatron des Regiments, in dein
er gedient hatte, von Blücher, mit dem er sich wohl, bei aller sonstigen Ver¬
schiedenheit, als königstreuer Streiter wahlverwandt gefühlt hat. War der
fromme Kleist doch ganz ebenso wie das Weltkind Blücher frei von jeder
Menschenfurcht und ein kühner Draufgänger. Und wie Blücher war er frei
von Selbstsucht und Neid. Kaum einen andern historischen Mann hat er auch
so oft in seinen Reden genannt als den alten Husarenhelden."

Gleich den Seligen in Dantes Paradies führte Kleist ein Doppelleben.
Das Leben auf seinem Gute und in seinem Kreise verlief ganz anders als das
in Berlin: kampflos in fruchtreicher schöpferischer Tätigkeit. Freude und Er¬
quickung bereiteten ihm namentlich die Zöglinge seines Rettungshauses und die
Feste, die er seinen Leuten gab: Feste mit Kaffee und Kuchen, mit schönen
Gesängen und patriotisch frommen Ansprachen und Kinderspielen, nicht mit
Schnaps, Bier und Tanz. In aller seiner Frömmigkeit verleugnete er jedoch
nicht seine Herrennatur. Mit den von ihm sehr hochgeschätzten Pastoren ver¬
kehrte er keineswegs auf dem Fuße der Gleichberechtigung, sondern wollte von
ihnen als der Vornehmere, der Junker respektiert werden. Er war der An¬
sicht, es müßten Adliche in größerer Zahl Theologie studieren, sodaß die
höhern geistlichen Stellen mit Adlichen besetzt werden könnten; die Geneml-
superintendenten wenigstens müßten vom Adel sein. Einen intimen bürgerlichen
Freund, den Wirklichen Geheimen Oberregierungsrat Schede, und berühmte
Professoren wie Sohm schmückte er auf seinen Briefumschlägen stets mit dem
schönen Titel Wohlgeboren, während er für sich Hochwohlgeboren beanspruchte.
Sein Eifer für die Innere Misston machte ihn zu einem warmen Freunde
Stöckers und führte ihn in jene Teeabende, deren einer unter dem Namen
Walderseeversammlung politische Bedeutung erlangt hat, was eine neue Mi߬
stimmung zwischen Bismarck und ihm zur Folge hatte. Bismarcks Abgang
beklagte er als ein tieftrauriges Ereignis, konstatierte jedoch, daß "die Minister¬
kreise Bismarck 83 Prozent schuld geben". Seine Gedanken waren, wie er
versichert, von da an unausgesetzt in Friedrichsruh. Eine Krankheit der Fürstin
und Bismarcks Klage, daß seine alten Freunde sich von ihm fern hielten, ver¬
anlaßte ihn 1891 zu einem Besuch. Bismarck, berichtet er, "war sehr lieb
und gut. Ich habe keine Spur von Erbitterung bei ihm gefunden. Daß er
das Tischgebet schon seit Jahren aufgegeben hat, tut mir weh." Es war das
letztemal, daß sie einander sahen; am 20. Mai 1892 ist Kleist auf seinem Gute
Kieckow gestorben.

Zwischen der ersten und der zweiten, längern parlamentarischen Kampagne
des frommen Junkers liegt eine Episode, die man tragikomisch nennen könnte,
obwohl kein Unglück passierte und von den einzelnen Ereignissen kein einziges


Hans von Aleist-Retzow

von Vincke, Ludwig Windthorst und Eugen Richter groteske Häßlichkeit eine
willkommne Waffe geworden, so spielte bei Kleist-Netzow das vornehm-ehr¬
würdige Äußere, verbunden mit einem liebenswürdigen Temperament, diese
Rolle. Sein Wesen hatte etwas von dem Schutzpatron des Regiments, in dein
er gedient hatte, von Blücher, mit dem er sich wohl, bei aller sonstigen Ver¬
schiedenheit, als königstreuer Streiter wahlverwandt gefühlt hat. War der
fromme Kleist doch ganz ebenso wie das Weltkind Blücher frei von jeder
Menschenfurcht und ein kühner Draufgänger. Und wie Blücher war er frei
von Selbstsucht und Neid. Kaum einen andern historischen Mann hat er auch
so oft in seinen Reden genannt als den alten Husarenhelden."

Gleich den Seligen in Dantes Paradies führte Kleist ein Doppelleben.
Das Leben auf seinem Gute und in seinem Kreise verlief ganz anders als das
in Berlin: kampflos in fruchtreicher schöpferischer Tätigkeit. Freude und Er¬
quickung bereiteten ihm namentlich die Zöglinge seines Rettungshauses und die
Feste, die er seinen Leuten gab: Feste mit Kaffee und Kuchen, mit schönen
Gesängen und patriotisch frommen Ansprachen und Kinderspielen, nicht mit
Schnaps, Bier und Tanz. In aller seiner Frömmigkeit verleugnete er jedoch
nicht seine Herrennatur. Mit den von ihm sehr hochgeschätzten Pastoren ver¬
kehrte er keineswegs auf dem Fuße der Gleichberechtigung, sondern wollte von
ihnen als der Vornehmere, der Junker respektiert werden. Er war der An¬
sicht, es müßten Adliche in größerer Zahl Theologie studieren, sodaß die
höhern geistlichen Stellen mit Adlichen besetzt werden könnten; die Geneml-
superintendenten wenigstens müßten vom Adel sein. Einen intimen bürgerlichen
Freund, den Wirklichen Geheimen Oberregierungsrat Schede, und berühmte
Professoren wie Sohm schmückte er auf seinen Briefumschlägen stets mit dem
schönen Titel Wohlgeboren, während er für sich Hochwohlgeboren beanspruchte.
Sein Eifer für die Innere Misston machte ihn zu einem warmen Freunde
Stöckers und führte ihn in jene Teeabende, deren einer unter dem Namen
Walderseeversammlung politische Bedeutung erlangt hat, was eine neue Mi߬
stimmung zwischen Bismarck und ihm zur Folge hatte. Bismarcks Abgang
beklagte er als ein tieftrauriges Ereignis, konstatierte jedoch, daß „die Minister¬
kreise Bismarck 83 Prozent schuld geben". Seine Gedanken waren, wie er
versichert, von da an unausgesetzt in Friedrichsruh. Eine Krankheit der Fürstin
und Bismarcks Klage, daß seine alten Freunde sich von ihm fern hielten, ver¬
anlaßte ihn 1891 zu einem Besuch. Bismarck, berichtet er, „war sehr lieb
und gut. Ich habe keine Spur von Erbitterung bei ihm gefunden. Daß er
das Tischgebet schon seit Jahren aufgegeben hat, tut mir weh." Es war das
letztemal, daß sie einander sahen; am 20. Mai 1892 ist Kleist auf seinem Gute
Kieckow gestorben.

Zwischen der ersten und der zweiten, längern parlamentarischen Kampagne
des frommen Junkers liegt eine Episode, die man tragikomisch nennen könnte,
obwohl kein Unglück passierte und von den einzelnen Ereignissen kein einziges


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[0628] Hans von Aleist-Retzow von Vincke, Ludwig Windthorst und Eugen Richter groteske Häßlichkeit eine willkommne Waffe geworden, so spielte bei Kleist-Netzow das vornehm-ehr¬ würdige Äußere, verbunden mit einem liebenswürdigen Temperament, diese Rolle. Sein Wesen hatte etwas von dem Schutzpatron des Regiments, in dein er gedient hatte, von Blücher, mit dem er sich wohl, bei aller sonstigen Ver¬ schiedenheit, als königstreuer Streiter wahlverwandt gefühlt hat. War der fromme Kleist doch ganz ebenso wie das Weltkind Blücher frei von jeder Menschenfurcht und ein kühner Draufgänger. Und wie Blücher war er frei von Selbstsucht und Neid. Kaum einen andern historischen Mann hat er auch so oft in seinen Reden genannt als den alten Husarenhelden." Gleich den Seligen in Dantes Paradies führte Kleist ein Doppelleben. Das Leben auf seinem Gute und in seinem Kreise verlief ganz anders als das in Berlin: kampflos in fruchtreicher schöpferischer Tätigkeit. Freude und Er¬ quickung bereiteten ihm namentlich die Zöglinge seines Rettungshauses und die Feste, die er seinen Leuten gab: Feste mit Kaffee und Kuchen, mit schönen Gesängen und patriotisch frommen Ansprachen und Kinderspielen, nicht mit Schnaps, Bier und Tanz. In aller seiner Frömmigkeit verleugnete er jedoch nicht seine Herrennatur. Mit den von ihm sehr hochgeschätzten Pastoren ver¬ kehrte er keineswegs auf dem Fuße der Gleichberechtigung, sondern wollte von ihnen als der Vornehmere, der Junker respektiert werden. Er war der An¬ sicht, es müßten Adliche in größerer Zahl Theologie studieren, sodaß die höhern geistlichen Stellen mit Adlichen besetzt werden könnten; die Geneml- superintendenten wenigstens müßten vom Adel sein. Einen intimen bürgerlichen Freund, den Wirklichen Geheimen Oberregierungsrat Schede, und berühmte Professoren wie Sohm schmückte er auf seinen Briefumschlägen stets mit dem schönen Titel Wohlgeboren, während er für sich Hochwohlgeboren beanspruchte. Sein Eifer für die Innere Misston machte ihn zu einem warmen Freunde Stöckers und führte ihn in jene Teeabende, deren einer unter dem Namen Walderseeversammlung politische Bedeutung erlangt hat, was eine neue Mi߬ stimmung zwischen Bismarck und ihm zur Folge hatte. Bismarcks Abgang beklagte er als ein tieftrauriges Ereignis, konstatierte jedoch, daß „die Minister¬ kreise Bismarck 83 Prozent schuld geben". Seine Gedanken waren, wie er versichert, von da an unausgesetzt in Friedrichsruh. Eine Krankheit der Fürstin und Bismarcks Klage, daß seine alten Freunde sich von ihm fern hielten, ver¬ anlaßte ihn 1891 zu einem Besuch. Bismarck, berichtet er, „war sehr lieb und gut. Ich habe keine Spur von Erbitterung bei ihm gefunden. Daß er das Tischgebet schon seit Jahren aufgegeben hat, tut mir weh." Es war das letztemal, daß sie einander sahen; am 20. Mai 1892 ist Kleist auf seinem Gute Kieckow gestorben. Zwischen der ersten und der zweiten, längern parlamentarischen Kampagne des frommen Junkers liegt eine Episode, die man tragikomisch nennen könnte, obwohl kein Unglück passierte und von den einzelnen Ereignissen kein einziges

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/628>, abgerufen am 06.02.2025.