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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Die Beschießung von Paris

Vermutung, daß Blumenthal irrtümlicherweise Moltkes Zustimmung zu seiner
Ansicht berichtet hat, um so mehr, als Moltke selber zu dem Schreiben, mit
dessen Inhalt Blumenthal seine Worte auf der Konferenz identifiziert, die Rand¬
bemerkung geschrieben hat: "Mündlich Einverständnis erklärt."*)


Im Ergänzungsheft S. 16 schreibt von Müller: Wenn General von Blumen¬
thal sich mehrfach gegen die Beschießung der Stadt aus der damaligen ersten
Batteriestellung aussprach, so hatte er recht, weil die Schußweite der Geschütze
zu klein war. Seltsam ist es aber, wenn er am 23. schreibt, er sei froh, daß
es noch nicht früher zum sogenannten Bombardement gekommen sei, und daß
er sich freue, daß die Munition noch nicht heran sei. Und noch seltsamer ist
die Begründung, mit der er immer noch (am 26.) für die Aushungerung ein¬
tritt: "Das Argument, daß dies zu lange dauert, kann ich nicht gelten lassen,
da eine Beschießung oder gar eine Belagerung mit förmlichem Angriff uns
gewiß nicht früher zum Ziele führen würde; auch kann ich darin kein Unglück
sehen, daß es hier zu lange dauert." General von Moltke betonte deutlich die
Beschleunigung des Angriffs.

In die letzten Worte des Zitats hat sich offenbar aus dem Anfange ein
Irrtum eingeschlichen; "auch kann ich darin kein Unglück sehen, daß es hier
lange dauert" ist der Wortlaut in der Buchausgabe der Tagebücher von 1902.
Mithin tritt Blumenthal gerade dem EinWurf, die von ihm befürwortete Aus-
hungerung würde die Zernierungsarmee "zu" lange vor Paris festhalten, ent¬
gegen, wenn er behauptet, daß das Bombardement die Kapitulation von Paris
auch nicht früher erzwingen würde als die Aushungerung,**) und bestreitet
andrerseits nur. daß ein langes Liegen der Truppen vor Paris an sich als
el" Unglück zu betrachten sei.' Denn - so wäre in Blumenthals Sinne zu
argumentieren -- diesem Warten winkt als unfehlbarer Lohn die Kapitulation
wegen Hungers, während das mit unzureichenden Mitteln unternommene, drum
den Erfolg nicht garantierende Bombardement ein Unglück bedeuten würde,
"wenn wir uus blamierten"; denn "so ein bloßes Klopfen auf den Busch kann
unen sehr unangenehmen Rückschlag geben" (7. Dezember).

Auch der Zusatz zu dem Zitate: "General von Moltke betonte deutlich die
Beschleunigung des Angriffs" fordert Widerspruch heraus. Nicht als ob in
Abrede gestellt werden sollte, daß Moltke nach Möglichkeit die Vorbereitungen




Moltke, Militärische Korrespondenz Ur. 486.
v. Blume. Die Beschießung von Paris S. 37- "Tatsächlich hat °is° weder der förm¬
liche Angriff noch das Bombardement der Stadt die Kapitulation beschleunigt.' Damels Roon
und Moltke vor Paris, Preußische Jahrbücher 190S, S. 236: "Dieser blutige Tropfen (27S Z.in -
personen waren in Paris vor Leerung des linken Seineufers durch die deutschen Geschosse getötet)
i'" Meer der Millionenbevölkerung führte die Kapitulation wohl nicht früher herbei. Paris
kapitulierte 2g, Januar wegen absoluten Mangels an Lebensmitteln."
Die Beschießung von Paris

Vermutung, daß Blumenthal irrtümlicherweise Moltkes Zustimmung zu seiner
Ansicht berichtet hat, um so mehr, als Moltke selber zu dem Schreiben, mit
dessen Inhalt Blumenthal seine Worte auf der Konferenz identifiziert, die Rand¬
bemerkung geschrieben hat: „Mündlich Einverständnis erklärt."*)


Im Ergänzungsheft S. 16 schreibt von Müller: Wenn General von Blumen¬
thal sich mehrfach gegen die Beschießung der Stadt aus der damaligen ersten
Batteriestellung aussprach, so hatte er recht, weil die Schußweite der Geschütze
zu klein war. Seltsam ist es aber, wenn er am 23. schreibt, er sei froh, daß
es noch nicht früher zum sogenannten Bombardement gekommen sei, und daß
er sich freue, daß die Munition noch nicht heran sei. Und noch seltsamer ist
die Begründung, mit der er immer noch (am 26.) für die Aushungerung ein¬
tritt: „Das Argument, daß dies zu lange dauert, kann ich nicht gelten lassen,
da eine Beschießung oder gar eine Belagerung mit förmlichem Angriff uns
gewiß nicht früher zum Ziele führen würde; auch kann ich darin kein Unglück
sehen, daß es hier zu lange dauert." General von Moltke betonte deutlich die
Beschleunigung des Angriffs.

In die letzten Worte des Zitats hat sich offenbar aus dem Anfange ein
Irrtum eingeschlichen; „auch kann ich darin kein Unglück sehen, daß es hier
lange dauert" ist der Wortlaut in der Buchausgabe der Tagebücher von 1902.
Mithin tritt Blumenthal gerade dem EinWurf, die von ihm befürwortete Aus-
hungerung würde die Zernierungsarmee „zu" lange vor Paris festhalten, ent¬
gegen, wenn er behauptet, daß das Bombardement die Kapitulation von Paris
auch nicht früher erzwingen würde als die Aushungerung,**) und bestreitet
andrerseits nur. daß ein langes Liegen der Truppen vor Paris an sich als
el" Unglück zu betrachten sei.' Denn - so wäre in Blumenthals Sinne zu
argumentieren — diesem Warten winkt als unfehlbarer Lohn die Kapitulation
wegen Hungers, während das mit unzureichenden Mitteln unternommene, drum
den Erfolg nicht garantierende Bombardement ein Unglück bedeuten würde,
»wenn wir uus blamierten"; denn „so ein bloßes Klopfen auf den Busch kann
unen sehr unangenehmen Rückschlag geben" (7. Dezember).

Auch der Zusatz zu dem Zitate: „General von Moltke betonte deutlich die
Beschleunigung des Angriffs" fordert Widerspruch heraus. Nicht als ob in
Abrede gestellt werden sollte, daß Moltke nach Möglichkeit die Vorbereitungen




Moltke, Militärische Korrespondenz Ur. 486.
v. Blume. Die Beschießung von Paris S. 37- „Tatsächlich hat °is° weder der förm¬
liche Angriff noch das Bombardement der Stadt die Kapitulation beschleunigt.' Damels Roon
und Moltke vor Paris, Preußische Jahrbücher 190S, S. 236: „Dieser blutige Tropfen (27S Z.in -
personen waren in Paris vor Leerung des linken Seineufers durch die deutschen Geschosse getötet)
i'" Meer der Millionenbevölkerung führte die Kapitulation wohl nicht früher herbei. Paris
kapitulierte 2g, Januar wegen absoluten Mangels an Lebensmitteln."
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[0621] Die Beschießung von Paris Vermutung, daß Blumenthal irrtümlicherweise Moltkes Zustimmung zu seiner Ansicht berichtet hat, um so mehr, als Moltke selber zu dem Schreiben, mit dessen Inhalt Blumenthal seine Worte auf der Konferenz identifiziert, die Rand¬ bemerkung geschrieben hat: „Mündlich Einverständnis erklärt."*) Im Ergänzungsheft S. 16 schreibt von Müller: Wenn General von Blumen¬ thal sich mehrfach gegen die Beschießung der Stadt aus der damaligen ersten Batteriestellung aussprach, so hatte er recht, weil die Schußweite der Geschütze zu klein war. Seltsam ist es aber, wenn er am 23. schreibt, er sei froh, daß es noch nicht früher zum sogenannten Bombardement gekommen sei, und daß er sich freue, daß die Munition noch nicht heran sei. Und noch seltsamer ist die Begründung, mit der er immer noch (am 26.) für die Aushungerung ein¬ tritt: „Das Argument, daß dies zu lange dauert, kann ich nicht gelten lassen, da eine Beschießung oder gar eine Belagerung mit förmlichem Angriff uns gewiß nicht früher zum Ziele führen würde; auch kann ich darin kein Unglück sehen, daß es hier zu lange dauert." General von Moltke betonte deutlich die Beschleunigung des Angriffs. In die letzten Worte des Zitats hat sich offenbar aus dem Anfange ein Irrtum eingeschlichen; „auch kann ich darin kein Unglück sehen, daß es hier lange dauert" ist der Wortlaut in der Buchausgabe der Tagebücher von 1902. Mithin tritt Blumenthal gerade dem EinWurf, die von ihm befürwortete Aus- hungerung würde die Zernierungsarmee „zu" lange vor Paris festhalten, ent¬ gegen, wenn er behauptet, daß das Bombardement die Kapitulation von Paris auch nicht früher erzwingen würde als die Aushungerung,**) und bestreitet andrerseits nur. daß ein langes Liegen der Truppen vor Paris an sich als el" Unglück zu betrachten sei.' Denn - so wäre in Blumenthals Sinne zu argumentieren — diesem Warten winkt als unfehlbarer Lohn die Kapitulation wegen Hungers, während das mit unzureichenden Mitteln unternommene, drum den Erfolg nicht garantierende Bombardement ein Unglück bedeuten würde, »wenn wir uus blamierten"; denn „so ein bloßes Klopfen auf den Busch kann unen sehr unangenehmen Rückschlag geben" (7. Dezember). Auch der Zusatz zu dem Zitate: „General von Moltke betonte deutlich die Beschleunigung des Angriffs" fordert Widerspruch heraus. Nicht als ob in Abrede gestellt werden sollte, daß Moltke nach Möglichkeit die Vorbereitungen Moltke, Militärische Korrespondenz Ur. 486. v. Blume. Die Beschießung von Paris S. 37- „Tatsächlich hat °is° weder der förm¬ liche Angriff noch das Bombardement der Stadt die Kapitulation beschleunigt.' Damels Roon und Moltke vor Paris, Preußische Jahrbücher 190S, S. 236: „Dieser blutige Tropfen (27S Z.in - personen waren in Paris vor Leerung des linken Seineufers durch die deutschen Geschosse getötet) i'" Meer der Millionenbevölkerung führte die Kapitulation wohl nicht früher herbei. Paris kapitulierte 2g, Januar wegen absoluten Mangels an Lebensmitteln."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/621>, abgerufen am 05.02.2025.