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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Die Beziehungen des Deutschen Reiches zu den vereinigten Staaten von Amerika

ländereien dort zum Verkaufe gestanden hätten, trotz dein regen Zuströmen
von Siedlern zu Beginn des neuen Jahrhunderts.

In dem Kapitel über die amerikanische Urproduktion schildert Dove
zunächst die Folgen der Waldverwüstuugen, die einen solchen Umfang ange¬
nommen hätten, daß ans mehr als zwei Dritteln der Waldfläche in den
atlantischen Küstenstaaten kein Baum mehr vorhanden sei, der Nutzholz zu
liefern vermöge. Nach der Ansicht von amerikanischen Sachverständige"
würden die Nadelholzbestünde der Union noch vor der Mitte des laufenden
Jahrhunderts erschöpft sein, und Kanada würde in diesem Produktionszweige
dereinst die Vereinigten Staaten dauernd überflügeln. Darin wird aller¬
dings für die Union wieder ein Motiv liegen, die Angliederung Kanadas zu
wünschen.

Der natürliche Reichtum des Landes an Mineralien, insbesondre an Gold,
Petroleum und Kohle sei dagegen für absehbare Zeit als unerschöpflich zu be¬
trachten. Besonders günstig für Amerika sei der Umstand, daß die Kohle
hauptsächlich in einem Gebiete vorkomme, das klimatisch Mitteleuropa am
nächsten stehe und daher die Heranbildung einer zahlreichen weißen Arbeiter¬
schaft nordwestenropäischer Herkunft gestatte. Zu diesem zweifellos wichtigsten
Vorzüge dieses ausgedehnten Industrielandes gesellten sich als weitere Vorteile:
ein Netz vortrefflicher Wasserstraßen bis ans Gebirge, die Erreichbarkeit des
nahen Meeres und endlich die große Leichtigkeit der Beschciffnng reichlicher und
verhältnismäßig billiger Nährstoffe, auch für die nrmern Klassen der Bevölkerung.
Auf diesen Grundpfeilern habe sich die staunenswerte Entwicklung der ameri¬
kanischen Industrie vollzogen. Wie stark die Industrialisierung im Neuengland¬
gebiet und in den mittelatlantischen Staaten schon fortgeschritten sei, gehe aus
der Tatsache hervor, daß dort im Jahre 1900 in den Fabriken 15 Prozent,
in landwirtschaftlichen Betrieben der nordwestlichen Staaten dagegen nur 5 Pro¬
zent der gesamten Bevölkerung beschäftigt waren. Die beruflichen Gegensätze
würden später noch eine große Rolle spielen.

Zum Schluß behandelt Dove in großzügiger Darstellung die landwirtschaft¬
liche Produktion. Er weist nach, daß die Quantität der landwirtschaftlichen
Erzeugnisse keineswegs "amerikanisch" ist, und daß sich bei einem Vergleich
der mittelatlantischcn Staaten und Neuenglands mit dem Deutschen Reiche sogar
ein Übergewicht unsrer eignen Produktion ergibt, denn in diesen amerikanischen
Gebieten kamen an Weizen und Mais auf den Kopf der Bevölkerung im
Jahre 1900 nur rund hundert Kilogramm, in Deutschland aber von unsern
Hauptbrotkoruarten Weizen und Roggen mehr als das Doppelte an Gewicht,
und dabei war unsre Volksdichtigkeit etwa zweimal so groß als die in den
genannten Teilen der Union.

Trotzdem ist natürlich die Gesamtzunahme der landwirtschaftlichen Pro¬
duktion sehr bedeutend gewesen. Ihr Wert ist von rund 2330 im Jahre 1890
ans rund 3600 Millionen Mark im Jahre 1905 gestiegen, wie sich ans der neuesten


Die Beziehungen des Deutschen Reiches zu den vereinigten Staaten von Amerika

ländereien dort zum Verkaufe gestanden hätten, trotz dein regen Zuströmen
von Siedlern zu Beginn des neuen Jahrhunderts.

In dem Kapitel über die amerikanische Urproduktion schildert Dove
zunächst die Folgen der Waldverwüstuugen, die einen solchen Umfang ange¬
nommen hätten, daß ans mehr als zwei Dritteln der Waldfläche in den
atlantischen Küstenstaaten kein Baum mehr vorhanden sei, der Nutzholz zu
liefern vermöge. Nach der Ansicht von amerikanischen Sachverständige»
würden die Nadelholzbestünde der Union noch vor der Mitte des laufenden
Jahrhunderts erschöpft sein, und Kanada würde in diesem Produktionszweige
dereinst die Vereinigten Staaten dauernd überflügeln. Darin wird aller¬
dings für die Union wieder ein Motiv liegen, die Angliederung Kanadas zu
wünschen.

Der natürliche Reichtum des Landes an Mineralien, insbesondre an Gold,
Petroleum und Kohle sei dagegen für absehbare Zeit als unerschöpflich zu be¬
trachten. Besonders günstig für Amerika sei der Umstand, daß die Kohle
hauptsächlich in einem Gebiete vorkomme, das klimatisch Mitteleuropa am
nächsten stehe und daher die Heranbildung einer zahlreichen weißen Arbeiter¬
schaft nordwestenropäischer Herkunft gestatte. Zu diesem zweifellos wichtigsten
Vorzüge dieses ausgedehnten Industrielandes gesellten sich als weitere Vorteile:
ein Netz vortrefflicher Wasserstraßen bis ans Gebirge, die Erreichbarkeit des
nahen Meeres und endlich die große Leichtigkeit der Beschciffnng reichlicher und
verhältnismäßig billiger Nährstoffe, auch für die nrmern Klassen der Bevölkerung.
Auf diesen Grundpfeilern habe sich die staunenswerte Entwicklung der ameri¬
kanischen Industrie vollzogen. Wie stark die Industrialisierung im Neuengland¬
gebiet und in den mittelatlantischen Staaten schon fortgeschritten sei, gehe aus
der Tatsache hervor, daß dort im Jahre 1900 in den Fabriken 15 Prozent,
in landwirtschaftlichen Betrieben der nordwestlichen Staaten dagegen nur 5 Pro¬
zent der gesamten Bevölkerung beschäftigt waren. Die beruflichen Gegensätze
würden später noch eine große Rolle spielen.

Zum Schluß behandelt Dove in großzügiger Darstellung die landwirtschaft¬
liche Produktion. Er weist nach, daß die Quantität der landwirtschaftlichen
Erzeugnisse keineswegs „amerikanisch" ist, und daß sich bei einem Vergleich
der mittelatlantischcn Staaten und Neuenglands mit dem Deutschen Reiche sogar
ein Übergewicht unsrer eignen Produktion ergibt, denn in diesen amerikanischen
Gebieten kamen an Weizen und Mais auf den Kopf der Bevölkerung im
Jahre 1900 nur rund hundert Kilogramm, in Deutschland aber von unsern
Hauptbrotkoruarten Weizen und Roggen mehr als das Doppelte an Gewicht,
und dabei war unsre Volksdichtigkeit etwa zweimal so groß als die in den
genannten Teilen der Union.

Trotzdem ist natürlich die Gesamtzunahme der landwirtschaftlichen Pro¬
duktion sehr bedeutend gewesen. Ihr Wert ist von rund 2330 im Jahre 1890
ans rund 3600 Millionen Mark im Jahre 1905 gestiegen, wie sich ans der neuesten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/610>, abgerufen am 06.02.2025.