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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Reichsgerichtsdeutsch

seitens des Berichterstatters und unter Zustimmung des Vorsitzenden abgegebenen Er¬
klärung, der zwischen H. und L. abgeschlossene Vertrag wäre ein verschleierter Kauf¬
vertrag und die Zurücknahme der Klage werde angeraten, nicht abzuwehren vermag.

Derartige Veröffentlichungen sind nichts neues; die Presse bringt zur
Belustigung 'ihrer Leser oft solche Satzungeheucr. hat dafür lediglich Spott
und Hohn und behandelt sie wie die übrigen Witze in der beliebten Witzecke.
So fügt auch im vorliegenden Falle der Einsender hinzu: Dieser fürchterliche
Satz ..tätige" ein Deutsch, bei dem einem das Blut in den Adern ger.unt.
Mir ist dabei das einem bekannten Wiener Couplet angepaßte Festlied ein¬
gefallen, das vor Jahren hier auf dem Deutschen Anwaltstage unter schallendem
Beifall gesungen wurde mit dem Endreim: Das hat ka Schiller gemacht, dew
hat ka Goethe gedicht. das ist nicht klassisch und von keinem Genie; das ist das
Reichsgericht, das so das Urteil spricht, und klingt halt doch wie lauter Poesie.

Wenn die Sache mit Witzen und Scherzen abgetan wäre. Hütten wir schon
längst ein schöneres Juristendeutsch, so viel ist schon darüber gelacht und ge¬
spottet worden Mit mehr Ernst und Verständnis hat sich deshalb der
Allgemeine deutsche Sprachverein der Juristen- und Kanzleisprache angenommen
und in manchem Aufsatz dagegen angekämpft, auch einzelne Schriftsteller, wie
Wnstmanu. Schröder. Rothe und Mitglieder des Reichsgerichts selbst wie
Daubcnspcck und Förtsch sind für ein gutes Juristendeutsch in besondern
Schriften eingetreten; aber trotzdem haben die Kuriositäten des Neichsgerichts-
deutsch und des Juristendeutsch allgemein noch dauernden Bestand. Wer die
Verhältnisse nicht kennt, kann auf den Gedanken kommen, daß da olim um
höchsten Gerichtshofe des Deutschen Reichs versteinerte Greise in roten Roben
sitzen, die aus den Zeiten des seligen Neichskammergerichts übrig geblieben und
ihrer Gedanken und Feder nicht mehr Herr sind, die verständnislose Satze von
sich geben und von unsrer herrlichen deutschen Muttersprache keine Ahnung
haben. In früherer ^eit hielt man allerdings alles, was man nicht verstand
im den Gipfel der Gelehrsamkeit und schaute mit Ehrfurcht zu s^M Gwß^hinauf, die ihre eigne Schreiberei nicht verstanden, a er he^n e wen
Staatsbürger verlangen, daß ihm die Gesetze, die er w deren ^nicht mehr zu beherrschen und zu übersehen ^mag.
deutlich ausgelegt werden. Und gerade das Reichsgericht ist S"" ^suchen Auslegung berufen; bei seiner Errichtung 'se ^gewesen, eine einheitliche Rechtsprechung für ^ deutsch ut ^Deshalb sind die Urteile dieses Gerichtshofes ^ °"e unt^-we Richtschnur in der Auslegung. und die Räte des Ne^ge^
Zahl allmählich bis ans neunzig gestiegen ist. sind temere preche d d,e euch igs n
Juristen, die ans allen Bundesstaaten sorgfältig ausgewählt werd . ^lus eb n
lesen Grunde werden die wichtigsten Entscheidungen gesannnelt i ut ^deutschen Gerichten als die Haupthilfsmittel und die beM
juristischen Bücherei augesehen. Mehr als sechzig Bände sind bis M erschienen


Grenzboten II 1907
Reichsgerichtsdeutsch

seitens des Berichterstatters und unter Zustimmung des Vorsitzenden abgegebenen Er¬
klärung, der zwischen H. und L. abgeschlossene Vertrag wäre ein verschleierter Kauf¬
vertrag und die Zurücknahme der Klage werde angeraten, nicht abzuwehren vermag.

Derartige Veröffentlichungen sind nichts neues; die Presse bringt zur
Belustigung 'ihrer Leser oft solche Satzungeheucr. hat dafür lediglich Spott
und Hohn und behandelt sie wie die übrigen Witze in der beliebten Witzecke.
So fügt auch im vorliegenden Falle der Einsender hinzu: Dieser fürchterliche
Satz ..tätige" ein Deutsch, bei dem einem das Blut in den Adern ger.unt.
Mir ist dabei das einem bekannten Wiener Couplet angepaßte Festlied ein¬
gefallen, das vor Jahren hier auf dem Deutschen Anwaltstage unter schallendem
Beifall gesungen wurde mit dem Endreim: Das hat ka Schiller gemacht, dew
hat ka Goethe gedicht. das ist nicht klassisch und von keinem Genie; das ist das
Reichsgericht, das so das Urteil spricht, und klingt halt doch wie lauter Poesie.

Wenn die Sache mit Witzen und Scherzen abgetan wäre. Hütten wir schon
längst ein schöneres Juristendeutsch, so viel ist schon darüber gelacht und ge¬
spottet worden Mit mehr Ernst und Verständnis hat sich deshalb der
Allgemeine deutsche Sprachverein der Juristen- und Kanzleisprache angenommen
und in manchem Aufsatz dagegen angekämpft, auch einzelne Schriftsteller, wie
Wnstmanu. Schröder. Rothe und Mitglieder des Reichsgerichts selbst wie
Daubcnspcck und Förtsch sind für ein gutes Juristendeutsch in besondern
Schriften eingetreten; aber trotzdem haben die Kuriositäten des Neichsgerichts-
deutsch und des Juristendeutsch allgemein noch dauernden Bestand. Wer die
Verhältnisse nicht kennt, kann auf den Gedanken kommen, daß da olim um
höchsten Gerichtshofe des Deutschen Reichs versteinerte Greise in roten Roben
sitzen, die aus den Zeiten des seligen Neichskammergerichts übrig geblieben und
ihrer Gedanken und Feder nicht mehr Herr sind, die verständnislose Satze von
sich geben und von unsrer herrlichen deutschen Muttersprache keine Ahnung
haben. In früherer ^eit hielt man allerdings alles, was man nicht verstand
im den Gipfel der Gelehrsamkeit und schaute mit Ehrfurcht zu s^M Gwß^hinauf, die ihre eigne Schreiberei nicht verstanden, a er he^n e wen
Staatsbürger verlangen, daß ihm die Gesetze, die er w deren ^nicht mehr zu beherrschen und zu übersehen ^mag.
deutlich ausgelegt werden. Und gerade das Reichsgericht ist S»« ^suchen Auslegung berufen; bei seiner Errichtung 'se ^gewesen, eine einheitliche Rechtsprechung für ^ deutsch ut ^Deshalb sind die Urteile dieses Gerichtshofes ^ °"e unt^-we Richtschnur in der Auslegung. und die Räte des Ne^ge^
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Juristen, die ans allen Bundesstaaten sorgfältig ausgewählt werd . ^lus eb n
lesen Grunde werden die wichtigsten Entscheidungen gesannnelt i ut ^deutschen Gerichten als die Haupthilfsmittel und die beM
juristischen Bücherei augesehen. Mehr als sechzig Bände sind bis M erschienen


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[0569] Reichsgerichtsdeutsch seitens des Berichterstatters und unter Zustimmung des Vorsitzenden abgegebenen Er¬ klärung, der zwischen H. und L. abgeschlossene Vertrag wäre ein verschleierter Kauf¬ vertrag und die Zurücknahme der Klage werde angeraten, nicht abzuwehren vermag. Derartige Veröffentlichungen sind nichts neues; die Presse bringt zur Belustigung 'ihrer Leser oft solche Satzungeheucr. hat dafür lediglich Spott und Hohn und behandelt sie wie die übrigen Witze in der beliebten Witzecke. So fügt auch im vorliegenden Falle der Einsender hinzu: Dieser fürchterliche Satz ..tätige" ein Deutsch, bei dem einem das Blut in den Adern ger.unt. Mir ist dabei das einem bekannten Wiener Couplet angepaßte Festlied ein¬ gefallen, das vor Jahren hier auf dem Deutschen Anwaltstage unter schallendem Beifall gesungen wurde mit dem Endreim: Das hat ka Schiller gemacht, dew hat ka Goethe gedicht. das ist nicht klassisch und von keinem Genie; das ist das Reichsgericht, das so das Urteil spricht, und klingt halt doch wie lauter Poesie. Wenn die Sache mit Witzen und Scherzen abgetan wäre. Hütten wir schon längst ein schöneres Juristendeutsch, so viel ist schon darüber gelacht und ge¬ spottet worden Mit mehr Ernst und Verständnis hat sich deshalb der Allgemeine deutsche Sprachverein der Juristen- und Kanzleisprache angenommen und in manchem Aufsatz dagegen angekämpft, auch einzelne Schriftsteller, wie Wnstmanu. Schröder. Rothe und Mitglieder des Reichsgerichts selbst wie Daubcnspcck und Förtsch sind für ein gutes Juristendeutsch in besondern Schriften eingetreten; aber trotzdem haben die Kuriositäten des Neichsgerichts- deutsch und des Juristendeutsch allgemein noch dauernden Bestand. Wer die Verhältnisse nicht kennt, kann auf den Gedanken kommen, daß da olim um höchsten Gerichtshofe des Deutschen Reichs versteinerte Greise in roten Roben sitzen, die aus den Zeiten des seligen Neichskammergerichts übrig geblieben und ihrer Gedanken und Feder nicht mehr Herr sind, die verständnislose Satze von sich geben und von unsrer herrlichen deutschen Muttersprache keine Ahnung haben. In früherer ^eit hielt man allerdings alles, was man nicht verstand im den Gipfel der Gelehrsamkeit und schaute mit Ehrfurcht zu s^M Gwß^hinauf, die ihre eigne Schreiberei nicht verstanden, a er he^n e wen Staatsbürger verlangen, daß ihm die Gesetze, die er w deren ^nicht mehr zu beherrschen und zu übersehen ^mag. deutlich ausgelegt werden. Und gerade das Reichsgericht ist S»« ^suchen Auslegung berufen; bei seiner Errichtung 'se ^gewesen, eine einheitliche Rechtsprechung für ^ deutsch ut ^Deshalb sind die Urteile dieses Gerichtshofes ^ °"e unt^-we Richtschnur in der Auslegung. und die Räte des Ne^ge^ Zahl allmählich bis ans neunzig gestiegen ist. sind temere preche d d,e euch igs n Juristen, die ans allen Bundesstaaten sorgfältig ausgewählt werd . ^lus eb n lesen Grunde werden die wichtigsten Entscheidungen gesannnelt i ut ^deutschen Gerichten als die Haupthilfsmittel und die beM juristischen Bücherei augesehen. Mehr als sechzig Bände sind bis M erschienen Grenzboten II 1907

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/569>, abgerufen am 06.02.2025.