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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Kunstgenuß auf Reisen

als Bürgerstadt. Darin besteht in den meisten Fällen nicht allein die
historische Grundlage, die wir aus dem Plan ablesen können. Nicht immer
oder wenigstens nicht allein hat die Bürgerschaft die Oberhand besessen, viel¬
fach haben sich Fürst und Bürgerschaft in die Macht geteilt, was in dem Bau¬
gebilde der Stüdte wie in einer steinernen Chronik auf den ersten Blick zu lesen
ist. Hier gibt der Stadtplan eine sehr wichtige Andeutung. Der große Sinn
des Fürsten hatte immer das Auge auf das Ganze gerichtet und den Bauplan
der Stadt, wie es immer anging, seinen Absichten unterworfen. Er strebte nach
Einheit und Zusammenfassung, und das Schloß sollte der Kulminationspunkt
sein. Der Plan von Karlsruhe ist vollständig dieser Absicht unterworfen; eine
ähnliche Absicht zeigt sich in der Anlage von Schönbrunn in bezug auf Wien
und Potsdam in bezug auf Berlin, wo jedoch die ursprünglich geplante
direkte Verbindung in Form einer riesigen Avenue in den Zeiten des sinkenden
Nuhmessinnes einen mehrfachen Knick bekommen hat. Wo nicht Raum und
die Mittel zu einer ähnlichen großartigen Baugesiunung, die durch Paris und
die Tuilerien vorbildlich geworden, gegeben war, bemerken wir in solchen Fürsten¬
städten, zu deuen die meisten Provinzstädte Süddeutschlands und Österreichs
gehören, eine andre, ebenfalls interessante, in das Leben der Stadt tiefcin-
greifende Schloßanlage. Hier ist die Regel, daß sich das Schloß am nördlichen
Rande der Stadt erhebt, denn der Fürst will einen Fuß in der Stadt haben
und einen im freien Lande.

Beachtenswert ist die strategische Ausnutzung des Termins. Sind Er¬
hebungen vorhanden, dann dominiert das Schloß in der Höhe und ist nach
dem offnen Lande hin durch alte Wassergräben geschützt, wenn nicht ein Flu߬
lauf die natürliche Schutzwehr bildet. Es ist gar nicht zu verkennen, daß die
altertümliche Befestigungsart, die Burganlage, den Grundstein dieser Schlösser
gebildet hat; erst gegen Ende des siebzehnten und im Anfang des achtzehnten
Jahrhunderts, als die burgenhafte Wehrhaftigkeit als Anachronismus empfunden
wurde, empfingen diese Schlösser durch die Barockisierung den künstlerischen
Lebenszuschnitt ihrer Zeit. Ursprünglich waren sie Zwingburgen oder Zwing¬
schlösser. In den kleinen und übersichtlichen Stadtorgcmismen der Provinz ist
diese Entwicklung ganz klar aus der Lage abzusehen, aber wir finden sie auch
an den großen Fürstenstädten, wie in Berlin, Wien, Dresden, um nur einige
zu nennen, wenngleich hier die Grundlinien durch die Neugestaltungen mehr
oder weniger verwischt sind. Wie in Berlin das Kaiserliche Schloß erhebt sich
auch in Wien die "Burg" am Rande der alten Stadt und ist hier von einer
Wasseranlage, wo jetzt die Ringstraße geht, geschützt gewesen. In Dresden,
wo das Schloß nach gleicher Gesetzmäßigkeit angeordnet ist, bildet der Flußlauf
der Elbe eine natürliche Wehr und Grenze. Die Vorstädte, die sich in der
Neuzeit angliedern, bilden eine amorphe Masse. Hier ein künstlerisches Ge-
staltnngsprinzip auszubilden, bleibt eine Ausgabe für die Zukunft.

Aber auch hier kommt der "Knnstgenuß auf Reisen" nicht zu kurz.
vermeinen mit Unrecht, daß der Boden, auf dem sich die neuen Schablonen-


Kunstgenuß auf Reisen

als Bürgerstadt. Darin besteht in den meisten Fällen nicht allein die
historische Grundlage, die wir aus dem Plan ablesen können. Nicht immer
oder wenigstens nicht allein hat die Bürgerschaft die Oberhand besessen, viel¬
fach haben sich Fürst und Bürgerschaft in die Macht geteilt, was in dem Bau¬
gebilde der Stüdte wie in einer steinernen Chronik auf den ersten Blick zu lesen
ist. Hier gibt der Stadtplan eine sehr wichtige Andeutung. Der große Sinn
des Fürsten hatte immer das Auge auf das Ganze gerichtet und den Bauplan
der Stadt, wie es immer anging, seinen Absichten unterworfen. Er strebte nach
Einheit und Zusammenfassung, und das Schloß sollte der Kulminationspunkt
sein. Der Plan von Karlsruhe ist vollständig dieser Absicht unterworfen; eine
ähnliche Absicht zeigt sich in der Anlage von Schönbrunn in bezug auf Wien
und Potsdam in bezug auf Berlin, wo jedoch die ursprünglich geplante
direkte Verbindung in Form einer riesigen Avenue in den Zeiten des sinkenden
Nuhmessinnes einen mehrfachen Knick bekommen hat. Wo nicht Raum und
die Mittel zu einer ähnlichen großartigen Baugesiunung, die durch Paris und
die Tuilerien vorbildlich geworden, gegeben war, bemerken wir in solchen Fürsten¬
städten, zu deuen die meisten Provinzstädte Süddeutschlands und Österreichs
gehören, eine andre, ebenfalls interessante, in das Leben der Stadt tiefcin-
greifende Schloßanlage. Hier ist die Regel, daß sich das Schloß am nördlichen
Rande der Stadt erhebt, denn der Fürst will einen Fuß in der Stadt haben
und einen im freien Lande.

Beachtenswert ist die strategische Ausnutzung des Termins. Sind Er¬
hebungen vorhanden, dann dominiert das Schloß in der Höhe und ist nach
dem offnen Lande hin durch alte Wassergräben geschützt, wenn nicht ein Flu߬
lauf die natürliche Schutzwehr bildet. Es ist gar nicht zu verkennen, daß die
altertümliche Befestigungsart, die Burganlage, den Grundstein dieser Schlösser
gebildet hat; erst gegen Ende des siebzehnten und im Anfang des achtzehnten
Jahrhunderts, als die burgenhafte Wehrhaftigkeit als Anachronismus empfunden
wurde, empfingen diese Schlösser durch die Barockisierung den künstlerischen
Lebenszuschnitt ihrer Zeit. Ursprünglich waren sie Zwingburgen oder Zwing¬
schlösser. In den kleinen und übersichtlichen Stadtorgcmismen der Provinz ist
diese Entwicklung ganz klar aus der Lage abzusehen, aber wir finden sie auch
an den großen Fürstenstädten, wie in Berlin, Wien, Dresden, um nur einige
zu nennen, wenngleich hier die Grundlinien durch die Neugestaltungen mehr
oder weniger verwischt sind. Wie in Berlin das Kaiserliche Schloß erhebt sich
auch in Wien die „Burg" am Rande der alten Stadt und ist hier von einer
Wasseranlage, wo jetzt die Ringstraße geht, geschützt gewesen. In Dresden,
wo das Schloß nach gleicher Gesetzmäßigkeit angeordnet ist, bildet der Flußlauf
der Elbe eine natürliche Wehr und Grenze. Die Vorstädte, die sich in der
Neuzeit angliedern, bilden eine amorphe Masse. Hier ein künstlerisches Ge-
staltnngsprinzip auszubilden, bleibt eine Ausgabe für die Zukunft.

Aber auch hier kommt der „Knnstgenuß auf Reisen" nicht zu kurz.
vermeinen mit Unrecht, daß der Boden, auf dem sich die neuen Schablonen-


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[0566] Kunstgenuß auf Reisen als Bürgerstadt. Darin besteht in den meisten Fällen nicht allein die historische Grundlage, die wir aus dem Plan ablesen können. Nicht immer oder wenigstens nicht allein hat die Bürgerschaft die Oberhand besessen, viel¬ fach haben sich Fürst und Bürgerschaft in die Macht geteilt, was in dem Bau¬ gebilde der Stüdte wie in einer steinernen Chronik auf den ersten Blick zu lesen ist. Hier gibt der Stadtplan eine sehr wichtige Andeutung. Der große Sinn des Fürsten hatte immer das Auge auf das Ganze gerichtet und den Bauplan der Stadt, wie es immer anging, seinen Absichten unterworfen. Er strebte nach Einheit und Zusammenfassung, und das Schloß sollte der Kulminationspunkt sein. Der Plan von Karlsruhe ist vollständig dieser Absicht unterworfen; eine ähnliche Absicht zeigt sich in der Anlage von Schönbrunn in bezug auf Wien und Potsdam in bezug auf Berlin, wo jedoch die ursprünglich geplante direkte Verbindung in Form einer riesigen Avenue in den Zeiten des sinkenden Nuhmessinnes einen mehrfachen Knick bekommen hat. Wo nicht Raum und die Mittel zu einer ähnlichen großartigen Baugesiunung, die durch Paris und die Tuilerien vorbildlich geworden, gegeben war, bemerken wir in solchen Fürsten¬ städten, zu deuen die meisten Provinzstädte Süddeutschlands und Österreichs gehören, eine andre, ebenfalls interessante, in das Leben der Stadt tiefcin- greifende Schloßanlage. Hier ist die Regel, daß sich das Schloß am nördlichen Rande der Stadt erhebt, denn der Fürst will einen Fuß in der Stadt haben und einen im freien Lande. Beachtenswert ist die strategische Ausnutzung des Termins. Sind Er¬ hebungen vorhanden, dann dominiert das Schloß in der Höhe und ist nach dem offnen Lande hin durch alte Wassergräben geschützt, wenn nicht ein Flu߬ lauf die natürliche Schutzwehr bildet. Es ist gar nicht zu verkennen, daß die altertümliche Befestigungsart, die Burganlage, den Grundstein dieser Schlösser gebildet hat; erst gegen Ende des siebzehnten und im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts, als die burgenhafte Wehrhaftigkeit als Anachronismus empfunden wurde, empfingen diese Schlösser durch die Barockisierung den künstlerischen Lebenszuschnitt ihrer Zeit. Ursprünglich waren sie Zwingburgen oder Zwing¬ schlösser. In den kleinen und übersichtlichen Stadtorgcmismen der Provinz ist diese Entwicklung ganz klar aus der Lage abzusehen, aber wir finden sie auch an den großen Fürstenstädten, wie in Berlin, Wien, Dresden, um nur einige zu nennen, wenngleich hier die Grundlinien durch die Neugestaltungen mehr oder weniger verwischt sind. Wie in Berlin das Kaiserliche Schloß erhebt sich auch in Wien die „Burg" am Rande der alten Stadt und ist hier von einer Wasseranlage, wo jetzt die Ringstraße geht, geschützt gewesen. In Dresden, wo das Schloß nach gleicher Gesetzmäßigkeit angeordnet ist, bildet der Flußlauf der Elbe eine natürliche Wehr und Grenze. Die Vorstädte, die sich in der Neuzeit angliedern, bilden eine amorphe Masse. Hier ein künstlerisches Ge- staltnngsprinzip auszubilden, bleibt eine Ausgabe für die Zukunft. Aber auch hier kommt der „Knnstgenuß auf Reisen" nicht zu kurz. vermeinen mit Unrecht, daß der Boden, auf dem sich die neuen Schablonen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/566>, abgerufen am 06.02.2025.