Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

mit ihr irgend einen Teil an französischer Küste zu bedrohen. Es ist auch nicht
zu verwundern, daß eine solche zaghafte Selbstsucht zuletzt den Zaren unserm
Gesandten gegenüber zu der Äußerung bewog: ".Handeln Sie, wo Sie wollen,
wenn Sie nur überhaupt handeln!" Schließlich wagte denn auch das neue
Ministerium zu handeln; es machte sich anheischig, 20000 Mann Stralsund zu
Hilfe zu schicken, aber das Verhängnis, das sich damals an unsre Sohlen heftete,
wollte es, daß dieser Beschluß am 17. Juni gefaßt wurde, also drei Tage,
nachdem die Koalition durch den gewaltigen Schlag von Friedland gesprengt
worden war."

So mußte es denn zu der Katastrophe von Tilsit kommen. Obwohl die
Bestimmbarkeit und Wankelmütigkeit des durch ein paar glatte Liebenswürdig¬
keiten des Siegers von Friedland eingenommncn Alexanders des Ersten zum großen
Teil für das traurige Erliegen der Festlandmächte verantwortlich zu machen ist.
so muß eine objektive Geschichtschreibung als entlastende Umstünde doch aner¬
kennen, daß das bettelarme Rußland in jenem Zeitpunkt wohl noch Krieger,
aber keine Kriegsmittel mehr herzugeben vermochte, und daß der Zar einen ver¬
hältnismäßig günstigen Frieden erlangte, indem er für seine Abtretungen an
das Großherzogtum Warschau sogar noch teilweise durch preußische Gebietsteile
Malystok usw.) entschädigt wurde. In Tilsit wurde Preußen nahezu vernichtet.
England aber ebenfalls, wie die folgenden Jahre zeigen sollten, auf das schwerste
getroffen und an den Rand des wirtschaftlichen Rums gebracht. Erst nachdem
es für seine Unterlassungssünde schwer gebüßt hatte, sah es ein. daß es seinen
gewaltigen Gegner auf dem Festlande angreifen mußte. Da es aber die De¬
mütigung der ersten Festlandmächte untätig mit angesehen hatte, sah es sich
genötigt, sich fortan auf die nahezu ohnmächtigen Portugiesen und Spanier zu
stützen. Es ging den Briten sehr ähnlich wie jenem römischen König mit den
sibyllinischen Büchern: je später sie sich zum Zugreifen entschlossen, desto teurer
kam es ihnen zu stehn. ^ --

^,Napoleon hat von den Fähigkeiten der englischen Point er "ut Land¬
generale - sogar den unzweifelhaft gescheiten und tatkräftigen Wellington n.ehe
"nsgenommen - immer eine geringe Meinung gehabt. Als geborner Eas
hielt er von der militärischen Tüchtigkeit aristokratisch regierter Se°atvwesen recht
wenig. Auf Sankt Helena äußerte er zu seinem Leibarzt Antommarch.. E gi d
werde einmal ein ehrlich ruhmloses Eude nehmen wie die einst so gefmchtete
Republik Venedig.




Grenzbmen II 19077^

mit ihr irgend einen Teil an französischer Küste zu bedrohen. Es ist auch nicht
zu verwundern, daß eine solche zaghafte Selbstsucht zuletzt den Zaren unserm
Gesandten gegenüber zu der Äußerung bewog: ».Handeln Sie, wo Sie wollen,
wenn Sie nur überhaupt handeln!« Schließlich wagte denn auch das neue
Ministerium zu handeln; es machte sich anheischig, 20000 Mann Stralsund zu
Hilfe zu schicken, aber das Verhängnis, das sich damals an unsre Sohlen heftete,
wollte es, daß dieser Beschluß am 17. Juni gefaßt wurde, also drei Tage,
nachdem die Koalition durch den gewaltigen Schlag von Friedland gesprengt
worden war."

So mußte es denn zu der Katastrophe von Tilsit kommen. Obwohl die
Bestimmbarkeit und Wankelmütigkeit des durch ein paar glatte Liebenswürdig¬
keiten des Siegers von Friedland eingenommncn Alexanders des Ersten zum großen
Teil für das traurige Erliegen der Festlandmächte verantwortlich zu machen ist.
so muß eine objektive Geschichtschreibung als entlastende Umstünde doch aner¬
kennen, daß das bettelarme Rußland in jenem Zeitpunkt wohl noch Krieger,
aber keine Kriegsmittel mehr herzugeben vermochte, und daß der Zar einen ver¬
hältnismäßig günstigen Frieden erlangte, indem er für seine Abtretungen an
das Großherzogtum Warschau sogar noch teilweise durch preußische Gebietsteile
Malystok usw.) entschädigt wurde. In Tilsit wurde Preußen nahezu vernichtet.
England aber ebenfalls, wie die folgenden Jahre zeigen sollten, auf das schwerste
getroffen und an den Rand des wirtschaftlichen Rums gebracht. Erst nachdem
es für seine Unterlassungssünde schwer gebüßt hatte, sah es ein. daß es seinen
gewaltigen Gegner auf dem Festlande angreifen mußte. Da es aber die De¬
mütigung der ersten Festlandmächte untätig mit angesehen hatte, sah es sich
genötigt, sich fortan auf die nahezu ohnmächtigen Portugiesen und Spanier zu
stützen. Es ging den Briten sehr ähnlich wie jenem römischen König mit den
sibyllinischen Büchern: je später sie sich zum Zugreifen entschlossen, desto teurer
kam es ihnen zu stehn. ^ --

^,Napoleon hat von den Fähigkeiten der englischen Point er »ut Land¬
generale - sogar den unzweifelhaft gescheiten und tatkräftigen Wellington n.ehe
«nsgenommen - immer eine geringe Meinung gehabt. Als geborner Eas
hielt er von der militärischen Tüchtigkeit aristokratisch regierter Se°atvwesen recht
wenig. Auf Sankt Helena äußerte er zu seinem Leibarzt Antommarch.. E gi d
werde einmal ein ehrlich ruhmloses Eude nehmen wie die einst so gefmchtete
Republik Venedig.




Grenzbmen II 19077^
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0561" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302549"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_2420" prev="#ID_2419"> mit ihr irgend einen Teil an französischer Küste zu bedrohen. Es ist auch nicht<lb/>
zu verwundern, daß eine solche zaghafte Selbstsucht zuletzt den Zaren unserm<lb/>
Gesandten gegenüber zu der Äußerung bewog: ».Handeln Sie, wo Sie wollen,<lb/>
wenn Sie nur überhaupt handeln!« Schließlich wagte denn auch das neue<lb/>
Ministerium zu handeln; es machte sich anheischig, 20000 Mann Stralsund zu<lb/>
Hilfe zu schicken, aber das Verhängnis, das sich damals an unsre Sohlen heftete,<lb/>
wollte es, daß dieser Beschluß am 17. Juni gefaßt wurde, also drei Tage,<lb/>
nachdem die Koalition durch den gewaltigen Schlag von Friedland gesprengt<lb/>
worden war."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2421"> So mußte es denn zu der Katastrophe von Tilsit kommen. Obwohl die<lb/>
Bestimmbarkeit und Wankelmütigkeit des durch ein paar glatte Liebenswürdig¬<lb/>
keiten des Siegers von Friedland eingenommncn Alexanders des Ersten zum großen<lb/>
Teil für das traurige Erliegen der Festlandmächte verantwortlich zu machen ist.<lb/>
so muß eine objektive Geschichtschreibung als entlastende Umstünde doch aner¬<lb/>
kennen, daß das bettelarme Rußland in jenem Zeitpunkt wohl noch Krieger,<lb/>
aber keine Kriegsmittel mehr herzugeben vermochte, und daß der Zar einen ver¬<lb/>
hältnismäßig günstigen Frieden erlangte, indem er für seine Abtretungen an<lb/>
das Großherzogtum Warschau sogar noch teilweise durch preußische Gebietsteile<lb/>
Malystok usw.) entschädigt wurde. In Tilsit wurde Preußen nahezu vernichtet.<lb/>
England aber ebenfalls, wie die folgenden Jahre zeigen sollten, auf das schwerste<lb/>
getroffen und an den Rand des wirtschaftlichen Rums gebracht. Erst nachdem<lb/>
es für seine Unterlassungssünde schwer gebüßt hatte, sah es ein. daß es seinen<lb/>
gewaltigen Gegner auf dem Festlande angreifen mußte.  Da es aber die De¬<lb/>
mütigung der ersten Festlandmächte untätig mit angesehen hatte, sah es sich<lb/>
genötigt, sich fortan auf die nahezu ohnmächtigen Portugiesen und Spanier zu<lb/>
stützen.  Es ging den Briten sehr ähnlich wie jenem römischen König mit den<lb/>
sibyllinischen Büchern: je später sie sich zum Zugreifen entschlossen, desto teurer<lb/>
kam es ihnen zu stehn. ^ --</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2422"> ^,Napoleon hat von den Fähigkeiten der englischen Point er »ut Land¬<lb/>
generale - sogar den unzweifelhaft gescheiten und tatkräftigen Wellington n.ehe<lb/>
«nsgenommen - immer eine geringe Meinung gehabt. Als geborner Eas<lb/>
hielt er von der militärischen Tüchtigkeit aristokratisch regierter Se°atvwesen recht<lb/>
wenig. Auf Sankt Helena äußerte er zu seinem Leibarzt Antommarch.. E gi d<lb/>
werde einmal ein ehrlich ruhmloses Eude nehmen wie die einst so gefmchtete<lb/>
Republik Venedig.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbmen II 19077^</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0561] mit ihr irgend einen Teil an französischer Küste zu bedrohen. Es ist auch nicht zu verwundern, daß eine solche zaghafte Selbstsucht zuletzt den Zaren unserm Gesandten gegenüber zu der Äußerung bewog: ».Handeln Sie, wo Sie wollen, wenn Sie nur überhaupt handeln!« Schließlich wagte denn auch das neue Ministerium zu handeln; es machte sich anheischig, 20000 Mann Stralsund zu Hilfe zu schicken, aber das Verhängnis, das sich damals an unsre Sohlen heftete, wollte es, daß dieser Beschluß am 17. Juni gefaßt wurde, also drei Tage, nachdem die Koalition durch den gewaltigen Schlag von Friedland gesprengt worden war." So mußte es denn zu der Katastrophe von Tilsit kommen. Obwohl die Bestimmbarkeit und Wankelmütigkeit des durch ein paar glatte Liebenswürdig¬ keiten des Siegers von Friedland eingenommncn Alexanders des Ersten zum großen Teil für das traurige Erliegen der Festlandmächte verantwortlich zu machen ist. so muß eine objektive Geschichtschreibung als entlastende Umstünde doch aner¬ kennen, daß das bettelarme Rußland in jenem Zeitpunkt wohl noch Krieger, aber keine Kriegsmittel mehr herzugeben vermochte, und daß der Zar einen ver¬ hältnismäßig günstigen Frieden erlangte, indem er für seine Abtretungen an das Großherzogtum Warschau sogar noch teilweise durch preußische Gebietsteile Malystok usw.) entschädigt wurde. In Tilsit wurde Preußen nahezu vernichtet. England aber ebenfalls, wie die folgenden Jahre zeigen sollten, auf das schwerste getroffen und an den Rand des wirtschaftlichen Rums gebracht. Erst nachdem es für seine Unterlassungssünde schwer gebüßt hatte, sah es ein. daß es seinen gewaltigen Gegner auf dem Festlande angreifen mußte. Da es aber die De¬ mütigung der ersten Festlandmächte untätig mit angesehen hatte, sah es sich genötigt, sich fortan auf die nahezu ohnmächtigen Portugiesen und Spanier zu stützen. Es ging den Briten sehr ähnlich wie jenem römischen König mit den sibyllinischen Büchern: je später sie sich zum Zugreifen entschlossen, desto teurer kam es ihnen zu stehn. ^ -- ^,Napoleon hat von den Fähigkeiten der englischen Point er »ut Land¬ generale - sogar den unzweifelhaft gescheiten und tatkräftigen Wellington n.ehe «nsgenommen - immer eine geringe Meinung gehabt. Als geborner Eas hielt er von der militärischen Tüchtigkeit aristokratisch regierter Se°atvwesen recht wenig. Auf Sankt Helena äußerte er zu seinem Leibarzt Antommarch.. E gi d werde einmal ein ehrlich ruhmloses Eude nehmen wie die einst so gefmchtete Republik Venedig. Grenzbmen II 19077^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/561
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/561>, abgerufen am 06.02.2025.