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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Tilsit -- el" Zusammenbruch der britischen Festlandpolitik

Als der erste, den Engländern vom französischen Konvent förmlich aufge¬
zwungne Koalitiouskrieg schon vor der Tür stand, wurden durch Parlameuts-
beschluß bloß 17344 Manu (!) als Garde und Garnisontruppen bewilligt,
außer den kleinen Besatzungen von Gibraltar und Sydney. (Die Truppen in
Indien wurden damals bekanntlich von der Ostindischen Kompagnie unterhalten.)
Im Februar 1793 wurde das Heer um 9945 Mann und hundert Frei¬
kompagnien verstärkt. Man begann schon Hunderte, Tausende von Hannoveranern
einzustellen. Im Februar 1794 zählte das reguläre Heer Englands 60244 Mann.
Die Flotte war im Dezember 1792 bloß mit 20000 Matrosen und 5000 Sce-
soldateu bemannt gewesen, die zusammen höchstens für 12 bis 14 Linienschiffe,
10 Fregatten und 50 bis 60 kleinere Schiffe ausreichten. Im Jahre 1793
wurden 20000 Matrosen neu angeworben, aber erst im Jahre 1794 verfügte
das Britenreich über 73000 Matrosen und 12000 Seesoldatcn, die dem vor-
handnen oder in der Ausrüstung begriffnen Schiffsbestande entsprechende Mann¬
schaft. Im August 1793 vermochte die "Herrscherin der Wogen", obwohl die
französische Mittelmcerflotte vou deu realistischen Offizieren dem Feinde preis¬
gegeben worden war und kein britisches Fahrzeug mehr fesselte, bloß 2000 Mann
in Toulon auszuschiffen, die durch 4000 Spanier und 1500 französische Royalisten
notdürftig verstärkt werden mußten, während nach einem Briefe des britischen
Generals Grey an Pitt etwa 50000 Maun nötig waren, den Platz zu be¬
haupten. Mau hoffte auf die Österreicher, die aber nicht kamen.

Zu österreichischen Hilfstruppen hatten die Engländer von jeher großes
Vertrauen, denn die Mannschaften waren immer brav und willig, uicht selten
auch die Generale geschulter und kriegserfahrner als die englischen. Dieses
Vertrauen schwand aber, als der Versuch, gemeinsam die Niederlande gegen die
Sansculotten zu behaupten, durch die Siege Pichegrus und Jourdans über die
verbündete,: Engländer und Österreicher (Tonrcviug Mai, Fleurus Juni 1794)
vereitelt wurde. Zu Expeditionen in andern Weltteilen waren die Briten
weit rascher bereit, weil sie genau wußten, daß ihre Flotte dort das Beste
leistete, und daß die tapfern französischen Gegner über kurz oder lang durch
das Ausbleiben der nötigen Nachschübe mattgesetzt werden würden. So gelang
es ihnen denu, Akkon gegen deu Angriff Bonapartes zu decken und, nach der
Abreise des gefürchteten Feldherrn, die in Ägypten verblichnen Überreste der
französischen Armee mit 17000 Mann niederzuringen und zur Kapitulation zu
nötigen. Als sich aber die französische Flotte trotz ihrer ungeheuern Schiffs-
Verluste in Toulon und bei Abukir unter dem belebenden Einfluß des Ersten
Konsuls zu neuen Kraftanstrengungen aufraffte, und sogar die Flotte Nelsons
in einzelnen ihrer Unternehmungen nicht glücklich war, als die britische Staats¬
schuld unter dem langwierigen Kriegszustande ins riesenhafte anwuchs (sie
betrug schon 537 Millionen Pfund!), da brach England, wie schon so häufig,
aus der Front der verbündeten Mächte. Ägypten war ja den Franzosen ent¬
rissen, die Herrschaft über das Mittelmeerbecken sichergestellt. Zu der Kriegs-


Tilsit — el» Zusammenbruch der britischen Festlandpolitik

Als der erste, den Engländern vom französischen Konvent förmlich aufge¬
zwungne Koalitiouskrieg schon vor der Tür stand, wurden durch Parlameuts-
beschluß bloß 17344 Manu (!) als Garde und Garnisontruppen bewilligt,
außer den kleinen Besatzungen von Gibraltar und Sydney. (Die Truppen in
Indien wurden damals bekanntlich von der Ostindischen Kompagnie unterhalten.)
Im Februar 1793 wurde das Heer um 9945 Mann und hundert Frei¬
kompagnien verstärkt. Man begann schon Hunderte, Tausende von Hannoveranern
einzustellen. Im Februar 1794 zählte das reguläre Heer Englands 60244 Mann.
Die Flotte war im Dezember 1792 bloß mit 20000 Matrosen und 5000 Sce-
soldateu bemannt gewesen, die zusammen höchstens für 12 bis 14 Linienschiffe,
10 Fregatten und 50 bis 60 kleinere Schiffe ausreichten. Im Jahre 1793
wurden 20000 Matrosen neu angeworben, aber erst im Jahre 1794 verfügte
das Britenreich über 73000 Matrosen und 12000 Seesoldatcn, die dem vor-
handnen oder in der Ausrüstung begriffnen Schiffsbestande entsprechende Mann¬
schaft. Im August 1793 vermochte die „Herrscherin der Wogen", obwohl die
französische Mittelmcerflotte vou deu realistischen Offizieren dem Feinde preis¬
gegeben worden war und kein britisches Fahrzeug mehr fesselte, bloß 2000 Mann
in Toulon auszuschiffen, die durch 4000 Spanier und 1500 französische Royalisten
notdürftig verstärkt werden mußten, während nach einem Briefe des britischen
Generals Grey an Pitt etwa 50000 Maun nötig waren, den Platz zu be¬
haupten. Mau hoffte auf die Österreicher, die aber nicht kamen.

Zu österreichischen Hilfstruppen hatten die Engländer von jeher großes
Vertrauen, denn die Mannschaften waren immer brav und willig, uicht selten
auch die Generale geschulter und kriegserfahrner als die englischen. Dieses
Vertrauen schwand aber, als der Versuch, gemeinsam die Niederlande gegen die
Sansculotten zu behaupten, durch die Siege Pichegrus und Jourdans über die
verbündete,: Engländer und Österreicher (Tonrcviug Mai, Fleurus Juni 1794)
vereitelt wurde. Zu Expeditionen in andern Weltteilen waren die Briten
weit rascher bereit, weil sie genau wußten, daß ihre Flotte dort das Beste
leistete, und daß die tapfern französischen Gegner über kurz oder lang durch
das Ausbleiben der nötigen Nachschübe mattgesetzt werden würden. So gelang
es ihnen denu, Akkon gegen deu Angriff Bonapartes zu decken und, nach der
Abreise des gefürchteten Feldherrn, die in Ägypten verblichnen Überreste der
französischen Armee mit 17000 Mann niederzuringen und zur Kapitulation zu
nötigen. Als sich aber die französische Flotte trotz ihrer ungeheuern Schiffs-
Verluste in Toulon und bei Abukir unter dem belebenden Einfluß des Ersten
Konsuls zu neuen Kraftanstrengungen aufraffte, und sogar die Flotte Nelsons
in einzelnen ihrer Unternehmungen nicht glücklich war, als die britische Staats¬
schuld unter dem langwierigen Kriegszustande ins riesenhafte anwuchs (sie
betrug schon 537 Millionen Pfund!), da brach England, wie schon so häufig,
aus der Front der verbündeten Mächte. Ägypten war ja den Franzosen ent¬
rissen, die Herrschaft über das Mittelmeerbecken sichergestellt. Zu der Kriegs-


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[0558] Tilsit — el» Zusammenbruch der britischen Festlandpolitik Als der erste, den Engländern vom französischen Konvent förmlich aufge¬ zwungne Koalitiouskrieg schon vor der Tür stand, wurden durch Parlameuts- beschluß bloß 17344 Manu (!) als Garde und Garnisontruppen bewilligt, außer den kleinen Besatzungen von Gibraltar und Sydney. (Die Truppen in Indien wurden damals bekanntlich von der Ostindischen Kompagnie unterhalten.) Im Februar 1793 wurde das Heer um 9945 Mann und hundert Frei¬ kompagnien verstärkt. Man begann schon Hunderte, Tausende von Hannoveranern einzustellen. Im Februar 1794 zählte das reguläre Heer Englands 60244 Mann. Die Flotte war im Dezember 1792 bloß mit 20000 Matrosen und 5000 Sce- soldateu bemannt gewesen, die zusammen höchstens für 12 bis 14 Linienschiffe, 10 Fregatten und 50 bis 60 kleinere Schiffe ausreichten. Im Jahre 1793 wurden 20000 Matrosen neu angeworben, aber erst im Jahre 1794 verfügte das Britenreich über 73000 Matrosen und 12000 Seesoldatcn, die dem vor- handnen oder in der Ausrüstung begriffnen Schiffsbestande entsprechende Mann¬ schaft. Im August 1793 vermochte die „Herrscherin der Wogen", obwohl die französische Mittelmcerflotte vou deu realistischen Offizieren dem Feinde preis¬ gegeben worden war und kein britisches Fahrzeug mehr fesselte, bloß 2000 Mann in Toulon auszuschiffen, die durch 4000 Spanier und 1500 französische Royalisten notdürftig verstärkt werden mußten, während nach einem Briefe des britischen Generals Grey an Pitt etwa 50000 Maun nötig waren, den Platz zu be¬ haupten. Mau hoffte auf die Österreicher, die aber nicht kamen. Zu österreichischen Hilfstruppen hatten die Engländer von jeher großes Vertrauen, denn die Mannschaften waren immer brav und willig, uicht selten auch die Generale geschulter und kriegserfahrner als die englischen. Dieses Vertrauen schwand aber, als der Versuch, gemeinsam die Niederlande gegen die Sansculotten zu behaupten, durch die Siege Pichegrus und Jourdans über die verbündete,: Engländer und Österreicher (Tonrcviug Mai, Fleurus Juni 1794) vereitelt wurde. Zu Expeditionen in andern Weltteilen waren die Briten weit rascher bereit, weil sie genau wußten, daß ihre Flotte dort das Beste leistete, und daß die tapfern französischen Gegner über kurz oder lang durch das Ausbleiben der nötigen Nachschübe mattgesetzt werden würden. So gelang es ihnen denu, Akkon gegen deu Angriff Bonapartes zu decken und, nach der Abreise des gefürchteten Feldherrn, die in Ägypten verblichnen Überreste der französischen Armee mit 17000 Mann niederzuringen und zur Kapitulation zu nötigen. Als sich aber die französische Flotte trotz ihrer ungeheuern Schiffs- Verluste in Toulon und bei Abukir unter dem belebenden Einfluß des Ersten Konsuls zu neuen Kraftanstrengungen aufraffte, und sogar die Flotte Nelsons in einzelnen ihrer Unternehmungen nicht glücklich war, als die britische Staats¬ schuld unter dem langwierigen Kriegszustande ins riesenhafte anwuchs (sie betrug schon 537 Millionen Pfund!), da brach England, wie schon so häufig, aus der Front der verbündeten Mächte. Ägypten war ja den Franzosen ent¬ rissen, die Herrschaft über das Mittelmeerbecken sichergestellt. Zu der Kriegs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/558>, abgerufen am 06.02.2025.