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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Tilsit -- ein Zusammenbruch der britischen Fcstlandpolitik

Erfahrungen zurückzuführen, die das Britenreich mit größer" überseeischen Ex¬
peditionen im amerikanischen Bürgerkriege gemacht hatte. Dieser langwierige Krieg
hatte trotz der anfänglichen Erfolge schließlich doch einen recht kläglichen Aus-
gang genommen, und er war -- wofür das englische Parlament immer ein sehr
lebhaftes Empfinden hatte -- überaus kostspielig gewesen. Eine ungeheure
Schuldenlast bedrückte die Schultern der unterlegneu Macht, und um Ersparnisse
Zu machen, ließ man nicht bloß das Landhccr, sondern teilweise -- was kaum
glaublich erscheint -- sogar die Flotte verfallen. So war man denn mit ganz
unzureichenden Kräften in den Riesenkampf gegen das revolutionäre Frankreich
eingetreten, und obwohl heldenmütige Admiräle wie Jervis, Nelson. Collingwood
der Flagge mit dem Georgskreuz unerhörte Triumphe verschafften, war doch zu
Lande meist erfolglos oder gar unglücklich gekämpft worden. Als sich die
Briten aber davon überzeugt hatten, daß ungeachtet der von ihnen beim Friedens¬
schluß voll Amiens gemachten außerordentlichen Zugeständnisse -- sie gaben
alle eroberten französischen Kolonien heraus und behielten nur das holländische
Ceylon und das spanische Trinidad -- mit Napoleon kein dauernder Friede
möglich war. als ihnen nach der Schlacht bei Jena und Auerstädt sogar durch
die Kontinentalsperre (datiert aus Berlin 21. November 1806) der Lebensnerv
durchschnitten werden sollte, da war der Zeitpunkt gekommen, den Kr.eg bis
auf das Messer zu führen und dementsprechend zu handeln. Alle großen Fest¬
landmächte waren der Reihe nach zu Boden geworfen worden -- Rußland und
Österreich bei Austerlitz. Preußen bei Jena. Von der ganzen frühern Koalition
stand allein England noch aufrecht da, ja es beherrschte seit Trafalgar alle
Meere und konnte nach seinem Belieben Flottendemonstrationcn unternehmen
"der Truppen landen. Wenn der einzige Bundesgenosse, der noch im Voll¬
besitz seiner Machtmittel ist. nichts, auch gar nichts unternimmt, um die n.cder-
gerungnen Geführte" vor gänzlicher Zerschmetternng zu bewahre.., dann tragt
er unstreitig den größte.. Teil der Verantwortung für die fehl.eßt.che Katastrophe
und damit für d?e ihm selber verderblichen Folgen. Englands Untaügke.t von
Jena bis Tilsit läßt sich uicht durch Empfindlichkeit über die semerze.t von den
Preußen vorgenommn/ Besetzung Hannovers entschuldigen. Preußen hatte
Hannover nnr vorläufig in seine Verwaltung genommen, um es vor franzö¬
sischer Okkupation zu rette... Überdies ging der Kampf um Sem oder N.cht-
seiu; zu kleinlichen nachtragendem Groll war, seitdem sich England in.t dem
Preußenlande wieder im Friedens- und Freundschaftszustande befand, d.e Ze.t
wahrlich nicht im geringsten angetan. ^

-n..^.^Längstherrscja schon die dunkle Norstelluug. daß das Ung et
Tilsit el endlich der Halten.g Englands zur Last zu se-- in, ^ t
d-- nahezu einwandfreie und unwid-rlegliche Nachwe.s geführt werden kau.
daß das Inselreich die Hauptschuld an Preußens ^ederwer ung er ge^ e
Schuld Rußlands durch das völlige Versagen seiner w.rtschaftl.che. Hllfs-
M lieu vinum d^ e Scheol. so danken wir das englischen Gesch.chtsforschnnge...


Tilsit — ein Zusammenbruch der britischen Fcstlandpolitik

Erfahrungen zurückzuführen, die das Britenreich mit größer» überseeischen Ex¬
peditionen im amerikanischen Bürgerkriege gemacht hatte. Dieser langwierige Krieg
hatte trotz der anfänglichen Erfolge schließlich doch einen recht kläglichen Aus-
gang genommen, und er war — wofür das englische Parlament immer ein sehr
lebhaftes Empfinden hatte — überaus kostspielig gewesen. Eine ungeheure
Schuldenlast bedrückte die Schultern der unterlegneu Macht, und um Ersparnisse
Zu machen, ließ man nicht bloß das Landhccr, sondern teilweise — was kaum
glaublich erscheint — sogar die Flotte verfallen. So war man denn mit ganz
unzureichenden Kräften in den Riesenkampf gegen das revolutionäre Frankreich
eingetreten, und obwohl heldenmütige Admiräle wie Jervis, Nelson. Collingwood
der Flagge mit dem Georgskreuz unerhörte Triumphe verschafften, war doch zu
Lande meist erfolglos oder gar unglücklich gekämpft worden. Als sich die
Briten aber davon überzeugt hatten, daß ungeachtet der von ihnen beim Friedens¬
schluß voll Amiens gemachten außerordentlichen Zugeständnisse — sie gaben
alle eroberten französischen Kolonien heraus und behielten nur das holländische
Ceylon und das spanische Trinidad — mit Napoleon kein dauernder Friede
möglich war. als ihnen nach der Schlacht bei Jena und Auerstädt sogar durch
die Kontinentalsperre (datiert aus Berlin 21. November 1806) der Lebensnerv
durchschnitten werden sollte, da war der Zeitpunkt gekommen, den Kr.eg bis
auf das Messer zu führen und dementsprechend zu handeln. Alle großen Fest¬
landmächte waren der Reihe nach zu Boden geworfen worden — Rußland und
Österreich bei Austerlitz. Preußen bei Jena. Von der ganzen frühern Koalition
stand allein England noch aufrecht da, ja es beherrschte seit Trafalgar alle
Meere und konnte nach seinem Belieben Flottendemonstrationcn unternehmen
»der Truppen landen. Wenn der einzige Bundesgenosse, der noch im Voll¬
besitz seiner Machtmittel ist. nichts, auch gar nichts unternimmt, um die n.cder-
gerungnen Geführte» vor gänzlicher Zerschmetternng zu bewahre.., dann tragt
er unstreitig den größte.. Teil der Verantwortung für die fehl.eßt.che Katastrophe
und damit für d?e ihm selber verderblichen Folgen. Englands Untaügke.t von
Jena bis Tilsit läßt sich uicht durch Empfindlichkeit über die semerze.t von den
Preußen vorgenommn/ Besetzung Hannovers entschuldigen. Preußen hatte
Hannover nnr vorläufig in seine Verwaltung genommen, um es vor franzö¬
sischer Okkupation zu rette... Überdies ging der Kampf um Sem oder N.cht-
seiu; zu kleinlichen nachtragendem Groll war, seitdem sich England in.t dem
Preußenlande wieder im Friedens- und Freundschaftszustande befand, d.e Ze.t
wahrlich nicht im geringsten angetan. ^

-n..^.^Längstherrscja schon die dunkle Norstelluug. daß das Ung et
Tilsit el endlich der Halten.g Englands zur Last zu se-- in, ^ t
d-- nahezu einwandfreie und unwid-rlegliche Nachwe.s geführt werden kau.
daß das Inselreich die Hauptschuld an Preußens ^ederwer ung er ge^ e
Schuld Rußlands durch das völlige Versagen seiner w.rtschaftl.che. Hllfs-
M lieu vinum d^ e Scheol. so danken wir das englischen Gesch.chtsforschnnge...


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[0555] Tilsit — ein Zusammenbruch der britischen Fcstlandpolitik Erfahrungen zurückzuführen, die das Britenreich mit größer» überseeischen Ex¬ peditionen im amerikanischen Bürgerkriege gemacht hatte. Dieser langwierige Krieg hatte trotz der anfänglichen Erfolge schließlich doch einen recht kläglichen Aus- gang genommen, und er war — wofür das englische Parlament immer ein sehr lebhaftes Empfinden hatte — überaus kostspielig gewesen. Eine ungeheure Schuldenlast bedrückte die Schultern der unterlegneu Macht, und um Ersparnisse Zu machen, ließ man nicht bloß das Landhccr, sondern teilweise — was kaum glaublich erscheint — sogar die Flotte verfallen. So war man denn mit ganz unzureichenden Kräften in den Riesenkampf gegen das revolutionäre Frankreich eingetreten, und obwohl heldenmütige Admiräle wie Jervis, Nelson. Collingwood der Flagge mit dem Georgskreuz unerhörte Triumphe verschafften, war doch zu Lande meist erfolglos oder gar unglücklich gekämpft worden. Als sich die Briten aber davon überzeugt hatten, daß ungeachtet der von ihnen beim Friedens¬ schluß voll Amiens gemachten außerordentlichen Zugeständnisse — sie gaben alle eroberten französischen Kolonien heraus und behielten nur das holländische Ceylon und das spanische Trinidad — mit Napoleon kein dauernder Friede möglich war. als ihnen nach der Schlacht bei Jena und Auerstädt sogar durch die Kontinentalsperre (datiert aus Berlin 21. November 1806) der Lebensnerv durchschnitten werden sollte, da war der Zeitpunkt gekommen, den Kr.eg bis auf das Messer zu führen und dementsprechend zu handeln. Alle großen Fest¬ landmächte waren der Reihe nach zu Boden geworfen worden — Rußland und Österreich bei Austerlitz. Preußen bei Jena. Von der ganzen frühern Koalition stand allein England noch aufrecht da, ja es beherrschte seit Trafalgar alle Meere und konnte nach seinem Belieben Flottendemonstrationcn unternehmen »der Truppen landen. Wenn der einzige Bundesgenosse, der noch im Voll¬ besitz seiner Machtmittel ist. nichts, auch gar nichts unternimmt, um die n.cder- gerungnen Geführte» vor gänzlicher Zerschmetternng zu bewahre.., dann tragt er unstreitig den größte.. Teil der Verantwortung für die fehl.eßt.che Katastrophe und damit für d?e ihm selber verderblichen Folgen. Englands Untaügke.t von Jena bis Tilsit läßt sich uicht durch Empfindlichkeit über die semerze.t von den Preußen vorgenommn/ Besetzung Hannovers entschuldigen. Preußen hatte Hannover nnr vorläufig in seine Verwaltung genommen, um es vor franzö¬ sischer Okkupation zu rette... Überdies ging der Kampf um Sem oder N.cht- seiu; zu kleinlichen nachtragendem Groll war, seitdem sich England in.t dem Preußenlande wieder im Friedens- und Freundschaftszustande befand, d.e Ze.t wahrlich nicht im geringsten angetan. ^ -n..^.^Längstherrscja schon die dunkle Norstelluug. daß das Ung et Tilsit el endlich der Halten.g Englands zur Last zu se-- in, ^ t d-- nahezu einwandfreie und unwid-rlegliche Nachwe.s geführt werden kau. daß das Inselreich die Hauptschuld an Preußens ^ederwer ung er ge^ e Schuld Rußlands durch das völlige Versagen seiner w.rtschaftl.che. Hllfs- M lieu vinum d^ e Scheol. so danken wir das englischen Gesch.chtsforschnnge...

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/555>, abgerufen am 06.02.2025.