Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Umnaßgebtiches er mit dem Hinweis auf unsre trotz der jährlichen Volksvermehrung um 800 bis Inzwischen haben die Braunschweiger am 28. Mai einstimmig den längst treff¬ Maßgebliches und Umnaßgebtiches er mit dem Hinweis auf unsre trotz der jährlichen Volksvermehrung um 800 bis Inzwischen haben die Braunschweiger am 28. Mai einstimmig den längst treff¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0540" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302528"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Umnaßgebtiches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2358" prev="#ID_2357"> er mit dem Hinweis auf unsre trotz der jährlichen Volksvermehrung um 800 bis<lb/> 900000 Köpfe sehr schwache Auswanderung und den allgemeinen Mangel an<lb/> Arbeitskräften in den verschiedensten Berufen ab. „Aber politische Asketen sind wir<lb/> nicht, fuhr er fort, und unsern Anteil am Welthandel begehren wir als ein großes<lb/> und starkes Volk, und deshalb verfolgen wir überall eine Politik der »offnen Tür«,<lb/> und wir wollen, wie es England immer getan hat, mitarbeiten an der Zivilisieruug<lb/> der Welt". Das bezog sich natürlich auch auf unsre Kolonien, von denen sonst nicht<lb/> unmittelbar die Rede war, sodaß auch die Notwendigkeit sür uns, solche zu besitzen<lb/> und als Bezugsquellen von Rohprodukten wie als Absatzgebiete für unsre Jndustrie-<lb/> wareu für uns nutzbar zu machen, nicht weiter betont wurde. Alles in allem war<lb/> es eine offne, würdige, selbstbewußte, aber schlechterdings nicht herausfordernde<lb/> Sprache, wie sie einem großen Volke ziemt, und sie ist auch überall so aufgenommen<lb/> worden. Es entspricht diesem Selbstbewußtsein auch, daß die deutscheu Redner bei<lb/> allen diesen Gelegenheiten deutsch sprachen, nicht englisch, das gehört auch zu dem<lb/> Kapitel der Selbstachtung und der Gleichberechtigung mit andern großen Kultur¬<lb/> völkern, die uns so lange versagt worden ist, und deren Anerkennung wir fordern<lb/> müssen. Freilich, unsre Erwartungen von dem dauernden praktischen Erfolge solchen<lb/> internationalen Verkehrs sind nicht gerade sehr hochgespannt; wen die Tatsachen<lb/> von der Friedfertigkeit unsrer Politik nicht haben überzeugen können, den werden<lb/> auch Worte nicht überzeugen. Immerhin ist es wertvoll, wenn eine Anzahl<lb/> führender Journalisten beider Länder einander im persönlichen Verkehr nahe ge¬<lb/> treten sind und jeder das Volk des andern unbefangen schätzen lernt. Hoffentlich<lb/> kommt das nun vor allem in der Haltung der englischen Presse zum Ausdruck.</p><lb/> <p xml:id="ID_2359" next="#ID_2360"> Inzwischen haben die Braunschweiger am 28. Mai einstimmig den längst treff¬<lb/> lich bewährten Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg zu ihrem Regenten ge¬<lb/> wählt und damit ein höchst unerfreuliches Kapitel der neuesten deutschen Geschichte<lb/> — vorläufig — abgeschlossen. Unerfreulich darum, weil dabei der alte Parti¬<lb/> kularismus, dem es viel wichtiger ist, im eignen „Ländle" möglichst ungestört und<lb/> selbständig zu bleiben, als das gemeinsame Vaterland einig, groß und stark zu sehe«,<lb/> ganz ungescheut hervorgetreten ist, verbunden mit Mißtrauen und Abneigung gegen<lb/> Preußen, das doch nicht das mindeste getan hat, die Selbstbestimmung des Herzog¬<lb/> tums Braunschweig einzuschränken, das nur, übereinstimmend mit dem gesamten<lb/> Bundesrate, die eine selbstverständliche Bedingung bei der Neuordnung der braun-<lb/> schweigischen Verhältnisse gestellt hat: unbedingter und vorbehaltloser Verzicht des<lb/> Hauses Cumberland auf die preußische Provinz Hannover, deren Besitz gerade so<lb/> gut unter dem Schutze der Reichsverfassung steht wie die Rechte Braunschweigs.<lb/> Wollen die Braunschweiger ihr angestammtes Herrscherhaus, dessen Cumberländischer<lb/> Zweig übrigens niemals in Braunschweig regiert hat und dem deutschen Staats¬<lb/> leben völlig entfremdet ist, dessen Erbrecht aber niemand anficht, auch Preußen<lb/> nicht, wiedersahen, so mögen sie dafür sorgen, daß dieser Verzicht klar und unzwei¬<lb/> deutig von allen seinen Gliedern ausgesprochen wird, und daß die welfische Agitation<lb/> in Hannover aufhört. Die Weltgeschichte ist das Weltgericht; das Haus Hannover<lb/> hat seinen Thron von Gottes und Rechts wegen verloren, weil es seine ganz un-<lb/> geschichtliche und unbeschränkte Souveränität, sein Fürstenrecht dem Einheitsbedürf¬<lb/> nis Deutschlands schroff entgegenstellte, noch nach der Entscheidung, und dann auch<lb/> noch, was man nicht vergessen soll, seine Welfenlegion gegen die neue Ordnung<lb/> bewaffnete. Wenn sich das sächsische Königshaus mit dem weit mehr durch die<lb/> Umstände als durch seine Schuld herbeigeführten Verluste der guten Hälfte seines<lb/> Landes längst ehrlich abgefunden hat und seit vierzig Jahren zu einer festen Stütze<lb/> des Reichsbans geworden ist, so muß sich auch das Welfenhaus mit dem Verluste</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0540]
Maßgebliches und Umnaßgebtiches
er mit dem Hinweis auf unsre trotz der jährlichen Volksvermehrung um 800 bis
900000 Köpfe sehr schwache Auswanderung und den allgemeinen Mangel an
Arbeitskräften in den verschiedensten Berufen ab. „Aber politische Asketen sind wir
nicht, fuhr er fort, und unsern Anteil am Welthandel begehren wir als ein großes
und starkes Volk, und deshalb verfolgen wir überall eine Politik der »offnen Tür«,
und wir wollen, wie es England immer getan hat, mitarbeiten an der Zivilisieruug
der Welt". Das bezog sich natürlich auch auf unsre Kolonien, von denen sonst nicht
unmittelbar die Rede war, sodaß auch die Notwendigkeit sür uns, solche zu besitzen
und als Bezugsquellen von Rohprodukten wie als Absatzgebiete für unsre Jndustrie-
wareu für uns nutzbar zu machen, nicht weiter betont wurde. Alles in allem war
es eine offne, würdige, selbstbewußte, aber schlechterdings nicht herausfordernde
Sprache, wie sie einem großen Volke ziemt, und sie ist auch überall so aufgenommen
worden. Es entspricht diesem Selbstbewußtsein auch, daß die deutscheu Redner bei
allen diesen Gelegenheiten deutsch sprachen, nicht englisch, das gehört auch zu dem
Kapitel der Selbstachtung und der Gleichberechtigung mit andern großen Kultur¬
völkern, die uns so lange versagt worden ist, und deren Anerkennung wir fordern
müssen. Freilich, unsre Erwartungen von dem dauernden praktischen Erfolge solchen
internationalen Verkehrs sind nicht gerade sehr hochgespannt; wen die Tatsachen
von der Friedfertigkeit unsrer Politik nicht haben überzeugen können, den werden
auch Worte nicht überzeugen. Immerhin ist es wertvoll, wenn eine Anzahl
führender Journalisten beider Länder einander im persönlichen Verkehr nahe ge¬
treten sind und jeder das Volk des andern unbefangen schätzen lernt. Hoffentlich
kommt das nun vor allem in der Haltung der englischen Presse zum Ausdruck.
Inzwischen haben die Braunschweiger am 28. Mai einstimmig den längst treff¬
lich bewährten Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg zu ihrem Regenten ge¬
wählt und damit ein höchst unerfreuliches Kapitel der neuesten deutschen Geschichte
— vorläufig — abgeschlossen. Unerfreulich darum, weil dabei der alte Parti¬
kularismus, dem es viel wichtiger ist, im eignen „Ländle" möglichst ungestört und
selbständig zu bleiben, als das gemeinsame Vaterland einig, groß und stark zu sehe«,
ganz ungescheut hervorgetreten ist, verbunden mit Mißtrauen und Abneigung gegen
Preußen, das doch nicht das mindeste getan hat, die Selbstbestimmung des Herzog¬
tums Braunschweig einzuschränken, das nur, übereinstimmend mit dem gesamten
Bundesrate, die eine selbstverständliche Bedingung bei der Neuordnung der braun-
schweigischen Verhältnisse gestellt hat: unbedingter und vorbehaltloser Verzicht des
Hauses Cumberland auf die preußische Provinz Hannover, deren Besitz gerade so
gut unter dem Schutze der Reichsverfassung steht wie die Rechte Braunschweigs.
Wollen die Braunschweiger ihr angestammtes Herrscherhaus, dessen Cumberländischer
Zweig übrigens niemals in Braunschweig regiert hat und dem deutschen Staats¬
leben völlig entfremdet ist, dessen Erbrecht aber niemand anficht, auch Preußen
nicht, wiedersahen, so mögen sie dafür sorgen, daß dieser Verzicht klar und unzwei¬
deutig von allen seinen Gliedern ausgesprochen wird, und daß die welfische Agitation
in Hannover aufhört. Die Weltgeschichte ist das Weltgericht; das Haus Hannover
hat seinen Thron von Gottes und Rechts wegen verloren, weil es seine ganz un-
geschichtliche und unbeschränkte Souveränität, sein Fürstenrecht dem Einheitsbedürf¬
nis Deutschlands schroff entgegenstellte, noch nach der Entscheidung, und dann auch
noch, was man nicht vergessen soll, seine Welfenlegion gegen die neue Ordnung
bewaffnete. Wenn sich das sächsische Königshaus mit dem weit mehr durch die
Umstände als durch seine Schuld herbeigeführten Verluste der guten Hälfte seines
Landes längst ehrlich abgefunden hat und seit vierzig Jahren zu einer festen Stütze
des Reichsbans geworden ist, so muß sich auch das Welfenhaus mit dem Verluste
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