Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches gehn, sondern ohne jede Bedenken als etwas ganz Selbstverständliches -- und Unter solchen Umständen ist es besonders dankenswert, daß die preußische Maßgebliches und Unmaßgebliches gehn, sondern ohne jede Bedenken als etwas ganz Selbstverständliches — und Unter solchen Umständen ist es besonders dankenswert, daß die preußische <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0054" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302042"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_225" prev="#ID_224"> gehn, sondern ohne jede Bedenken als etwas ganz Selbstverständliches — und<lb/> warum der Widerstand, nicht spontan aus den Seelenregungen des Volks hervor¬<lb/> brechend, sondern kaltblütig organisiert und wie eine Rolle einstudiert, erst in dem<lb/> Augenblick begann, als ihn eine internationale Hetzorganisation im Hinblick auf die<lb/> in Russisch-Polen erreichten Erfolge beschlossen hatte. Wenn man sich aber vor<lb/> dem Urteil des Auslandes fürchtet — jenes Auslandes, das häufig mit fremd¬<lb/> nationalen Minderheiten viel härter Verfahren ist —, so zeigt sich mich darin eine<lb/> merkwürdige Unkenntnis der Natur des Polentums und der wirklichen Lage sowie<lb/> eine Naivität, die in Erstaunen setzen muß. Kann denn ein Mann mit offnen<lb/> Augen und einigen bescheidnen Kenntnissen der geschichtlichen Entwicklung und der<lb/> politischen Lage wirklich glauben, daß eine Nachgiebigkeit der preußischen Regierung<lb/> in der Frage der Unterrichtssprache den Lügen der internationalen polnischen Pro¬<lb/> paganda und ihren Bemühmigen zur Verhetzung ein Ziel setzen und das Ausland<lb/> veranlassen würde, über unser Verhältnis zu den Polen anders zu denken? In<lb/> welcher Welt leben die Leute, die sich das treuherzig einbilden? Man sollte doch<lb/> endlich begreifen, daß es nicht in unserm freien Willen liegt, ein freundliches Ver¬<lb/> hältnis zu den Polen herbeizuführen. Wir würden sie auch dann nicht zu Freunden<lb/> haben, wenn wir unter Opferung unsrer nationalen Ehre und wichtiger Lebens¬<lb/> interessen des deutschen Volks alle ihre Wünsche erfüllten. Ein wiedererstandnes<lb/> selbständiges Polenreich würde erst recht der Feind Deutschlands sein. Darum<lb/> müssen wir verteidigen, was wir haben, und das Notwendige tun, auch wenn es<lb/> den Unkundigen und Unverständigen in unserm eignen Volke mißfällt. Noch weniger<lb/> aber können wir uns nach denen richten, die ohnehin unter dem Einfluß unsrer<lb/> Feinde stehn, und zwar weniger aus Unkenntnis als aus Grundsatz.</p><lb/> <p xml:id="ID_226" next="#ID_227"> Unter solchen Umständen ist es besonders dankenswert, daß die preußische<lb/> Regierung ihre Festigkeit bewahrt hat. Sie hat die Haltung eingenommen, die<lb/> bet der gegebnen Lage die einzig richtige war, denn sie war ganz auf den<lb/> polnischen Charakter und die besondern Unistände berechnet. Sie bewahrte ihre<lb/> Ruhe, ließ sich nicht zu besondern leidenschaftlichen Maßregeln hinreißen, vor allem<lb/> nicht gegen die widerspenstigen Kinder, sie forderte aber mit unerbittlicher Festig¬<lb/> keit, was sie zur Aufrechterhaltung der bestehenden Gesetze und Verordnungen<lb/> fordern mußte, und ließ die vollen Nachteile des Widerstands auf die schuldigen<lb/> Eltern der streikenden Kinder fallen. Solcher ruhigen Energie ist die polnische<lb/> Willenskraft nicht gewachsen. Das Flackerfeuer künstlich erregter Leidenschaft mußte<lb/> wieder in sich zusammensinken. Und so stehn wir in der Tat vor dem Ende des<lb/> Streiks, dessen Nutzlosigkeit jetzt auch seinen Urhebern klar zu werden beginnt. Bet<lb/> der bekannten deutschen Neigung, selbst ein in der Hcmpsache als richtig erkanntes<lb/> Verfahren durch unzeitige Kritik zu stören, um so durch die Objektivität, Gerechtig¬<lb/> keit und Unbestechlichkeit des Urteils zu glänzen, hat man sich darüber entrüstet,<lb/> daß einzelne Schüler von Gymnasien entfernt wurden, weil ihre Geschwister bei<lb/> dem Streik an einer Volksschule beteiligt waren. Bei einer oberflächlichen Be¬<lb/> urteilung könnte es allerdings scheinen, als ob Unschuldige für die Verfehlungen<lb/> ihrer Geschwister büßen müßten. In Wirklichkeit liegt die Sache doch etwas<lb/> anders. Der Streik ist, wie gesagt, das wohlbedachte Werk einer national¬<lb/> polnischen Organisation, die als Veranlassung des Widerstands die angebliche „Ge¬<lb/> wissensnot" der Eltern vorschiebt. Die Urheber des Streiks haben aber von<lb/> vornherein dekretiert, daß diese „Gewissensnot" nur auf den Volksschulen, nicht<lb/> auf den höhern Schulen besteht. Denn nur durch die Volksschulen kann ein Druck<lb/> auf den Staat ausgeübt werden, der ja für den Volksschulunterricht gesetzlich ver¬<lb/> antwortlich und dazu verpflichtet ist, während die Störung des Unterrichts an den</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0054]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
gehn, sondern ohne jede Bedenken als etwas ganz Selbstverständliches — und
warum der Widerstand, nicht spontan aus den Seelenregungen des Volks hervor¬
brechend, sondern kaltblütig organisiert und wie eine Rolle einstudiert, erst in dem
Augenblick begann, als ihn eine internationale Hetzorganisation im Hinblick auf die
in Russisch-Polen erreichten Erfolge beschlossen hatte. Wenn man sich aber vor
dem Urteil des Auslandes fürchtet — jenes Auslandes, das häufig mit fremd¬
nationalen Minderheiten viel härter Verfahren ist —, so zeigt sich mich darin eine
merkwürdige Unkenntnis der Natur des Polentums und der wirklichen Lage sowie
eine Naivität, die in Erstaunen setzen muß. Kann denn ein Mann mit offnen
Augen und einigen bescheidnen Kenntnissen der geschichtlichen Entwicklung und der
politischen Lage wirklich glauben, daß eine Nachgiebigkeit der preußischen Regierung
in der Frage der Unterrichtssprache den Lügen der internationalen polnischen Pro¬
paganda und ihren Bemühmigen zur Verhetzung ein Ziel setzen und das Ausland
veranlassen würde, über unser Verhältnis zu den Polen anders zu denken? In
welcher Welt leben die Leute, die sich das treuherzig einbilden? Man sollte doch
endlich begreifen, daß es nicht in unserm freien Willen liegt, ein freundliches Ver¬
hältnis zu den Polen herbeizuführen. Wir würden sie auch dann nicht zu Freunden
haben, wenn wir unter Opferung unsrer nationalen Ehre und wichtiger Lebens¬
interessen des deutschen Volks alle ihre Wünsche erfüllten. Ein wiedererstandnes
selbständiges Polenreich würde erst recht der Feind Deutschlands sein. Darum
müssen wir verteidigen, was wir haben, und das Notwendige tun, auch wenn es
den Unkundigen und Unverständigen in unserm eignen Volke mißfällt. Noch weniger
aber können wir uns nach denen richten, die ohnehin unter dem Einfluß unsrer
Feinde stehn, und zwar weniger aus Unkenntnis als aus Grundsatz.
Unter solchen Umständen ist es besonders dankenswert, daß die preußische
Regierung ihre Festigkeit bewahrt hat. Sie hat die Haltung eingenommen, die
bet der gegebnen Lage die einzig richtige war, denn sie war ganz auf den
polnischen Charakter und die besondern Unistände berechnet. Sie bewahrte ihre
Ruhe, ließ sich nicht zu besondern leidenschaftlichen Maßregeln hinreißen, vor allem
nicht gegen die widerspenstigen Kinder, sie forderte aber mit unerbittlicher Festig¬
keit, was sie zur Aufrechterhaltung der bestehenden Gesetze und Verordnungen
fordern mußte, und ließ die vollen Nachteile des Widerstands auf die schuldigen
Eltern der streikenden Kinder fallen. Solcher ruhigen Energie ist die polnische
Willenskraft nicht gewachsen. Das Flackerfeuer künstlich erregter Leidenschaft mußte
wieder in sich zusammensinken. Und so stehn wir in der Tat vor dem Ende des
Streiks, dessen Nutzlosigkeit jetzt auch seinen Urhebern klar zu werden beginnt. Bet
der bekannten deutschen Neigung, selbst ein in der Hcmpsache als richtig erkanntes
Verfahren durch unzeitige Kritik zu stören, um so durch die Objektivität, Gerechtig¬
keit und Unbestechlichkeit des Urteils zu glänzen, hat man sich darüber entrüstet,
daß einzelne Schüler von Gymnasien entfernt wurden, weil ihre Geschwister bei
dem Streik an einer Volksschule beteiligt waren. Bei einer oberflächlichen Be¬
urteilung könnte es allerdings scheinen, als ob Unschuldige für die Verfehlungen
ihrer Geschwister büßen müßten. In Wirklichkeit liegt die Sache doch etwas
anders. Der Streik ist, wie gesagt, das wohlbedachte Werk einer national¬
polnischen Organisation, die als Veranlassung des Widerstands die angebliche „Ge¬
wissensnot" der Eltern vorschiebt. Die Urheber des Streiks haben aber von
vornherein dekretiert, daß diese „Gewissensnot" nur auf den Volksschulen, nicht
auf den höhern Schulen besteht. Denn nur durch die Volksschulen kann ein Druck
auf den Staat ausgeübt werden, der ja für den Volksschulunterricht gesetzlich ver¬
antwortlich und dazu verpflichtet ist, während die Störung des Unterrichts an den
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