Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Der lahme vassilis öffnen. Aber es fehlte ihm die Kraft zu einem solchen Geständnis, und so oft er Photo, lies das, es ist für dich! und er wollte sich dann vor Scham Doch wie sehr quälte er sich nicht ab, bis er diesen Brief zustande brachte! Er legte sich verzweifelt zum Schlafen nieder, aber auch auf dem Lager, mit Frau Kostantina war noch nicht eingeschlafen. Da sie in der andern Stube Was schreibt er nur um diese Stunde? sagte sie bei sich. Sie blieb stehn, Einen Brief hat er geschrieben, an wen wohl? Vassilis löschte vergnügt das Sieh doch mal, sagte sie, ein verkrüppelter Mensch und schämt sich nicht; mag Am Mittag kam Vassilis freudig heim, daran denkend, wie er der Photo den Hinaus mit dir aus dem Hause, du Lausbube! Schnell, pank deinen Krempel Vassilis wurde bleich wie Wachs. Alles um ihn her ging auf und nieder, Ich möchte wenigstens noch ein paar Tage bleiben, bis ich das Examen mache, Der lahme vassilis öffnen. Aber es fehlte ihm die Kraft zu einem solchen Geständnis, und so oft er Photo, lies das, es ist für dich! und er wollte sich dann vor Scham Doch wie sehr quälte er sich nicht ab, bis er diesen Brief zustande brachte! Er legte sich verzweifelt zum Schlafen nieder, aber auch auf dem Lager, mit Frau Kostantina war noch nicht eingeschlafen. Da sie in der andern Stube Was schreibt er nur um diese Stunde? sagte sie bei sich. Sie blieb stehn, Einen Brief hat er geschrieben, an wen wohl? Vassilis löschte vergnügt das Sieh doch mal, sagte sie, ein verkrüppelter Mensch und schämt sich nicht; mag Am Mittag kam Vassilis freudig heim, daran denkend, wie er der Photo den Hinaus mit dir aus dem Hause, du Lausbube! Schnell, pank deinen Krempel Vassilis wurde bleich wie Wachs. Alles um ihn her ging auf und nieder, Ich möchte wenigstens noch ein paar Tage bleiben, bis ich das Examen mache, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0538" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302526"/> <fw type="header" place="top"> Der lahme vassilis</fw><lb/> <p xml:id="ID_2339" prev="#ID_2338"> öffnen. Aber es fehlte ihm die Kraft zu einem solchen Geständnis, und so oft er<lb/> sich dazu entschloß, wankten ihm die Knie, und er fing am ganzen Körper an zu<lb/> zittern. Er beschloß, ihr zu schreiben. Was er ihr mit dem Munde zu sagen<lb/> hatte, warum sollte er es ihr nicht auf einem schöne» Bogen Papier aufschreiben?<lb/> Er wollte ihn in ein Kuvert schließen, eine Zeit abpassen, wo sie allein wäre, ihr<lb/> dann den Brief überreichen und zu ihr sprechen:</p><lb/> <p xml:id="ID_2340"> Photo, lies das, es ist für dich! und er wollte sich dann vor Scham<lb/> verkriechen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2341"> Doch wie sehr quälte er sich nicht ab, bis er diesen Brief zustande brachte!<lb/> Er schrieb und zerriß wieder. Keiner drückte das aus, was er im Herzen fühlte;<lb/> er sagte immer andres, als er sagen wollte; sowie er das Geschriebn? sah, wurde<lb/> er über sich selber ärgerlich und schlug sich an den Kopf, daß er nicht besser schreiben<lb/> und lesen lerne. Wenn er Lust zum Studieren hatte, so wollte er in diesem Falle<lb/> sein Inneres zeigen und konnte es nicht fertig bringen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2342"> Er legte sich verzweifelt zum Schlafen nieder, aber auch auf dem Lager, mit<lb/> halboffnen Augen, setzte er den Brief auf. Manchmal schien er ihm zu gefallen.<lb/> Da springt er plötzlich auf, und halb nackt, wie er ist, setzt er sich an den Tisch.<lb/> Ein Lichtchen leuchtet ihm über dem Kopf. Er schreibt und schreibt; diesmal fliegt<lb/> die Feder nur so.</p><lb/> <p xml:id="ID_2343"> Frau Kostantina war noch nicht eingeschlafen. Da sie in der andern Stube<lb/> Licht sah, schöpfte sie Verdacht und stand auf, um zu sehen, was es gäbe. Auf<lb/> den Fußspitzen an die Tür tretend, legte sie das Auge ans Schlüsselloch. Sie sah<lb/> Vassilis schreiben und war erstaunt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2344"> Was schreibt er nur um diese Stunde? sagte sie bei sich. Sie blieb stehn,<lb/> um zu sehen, was werdeu würde. Vassilis blieb lange Zeit gebückt am Tische<lb/> sitzen, dann nahm er den Brief in die Hand, las ihn Wort für Wort durch, las<lb/> ihn wieder ein-, zwei-, fünf-, zehnmal durch, faltete thu vorsichtig zusammen und<lb/> steckte ihn dann in ein Buch, sodaß er nicht zu sehen war.</p><lb/> <p xml:id="ID_2345"> Einen Brief hat er geschrieben, an wen wohl? Vassilis löschte vergnügt das<lb/> Licht aus und hüllte sich wieder in seine Decken. Die alte Kostantina hatte den<lb/> Sinn begriffen. Am Morgen verriet sie niemand etwas. Aber als Vassilis fort<lb/> war, ging sie in seine Kammer, stöberte umher, fand das Buch und nahm den<lb/> Brief heraus. Sie setzte dann ihre Brille auf und begann zu lesen. Der Brief<lb/> war an Photo, ihre Tochter, gerichtet. Sie las, was Vassilis an sie geschrieben,<lb/> und geriet außer sich vor Wut.</p><lb/> <p xml:id="ID_2346"> Sieh doch mal, sagte sie, ein verkrüppelter Mensch und schämt sich nicht; mag<lb/> er nur am Mittag kommen, ich will ihm den Kopf zurechtsetzen, wie ers ver¬<lb/> dient hat!</p><lb/> <p xml:id="ID_2347"> Am Mittag kam Vassilis freudig heim, daran denkend, wie er der Photo den<lb/> Brief übergeben sollte. Kaum aber hatte er den Fuß über die Schwelle gesetzt,<lb/> da ließ sich von innen die wütende Stimme der Frau Kostantina vernehmen:</p><lb/> <p xml:id="ID_2348"> Hinaus mit dir aus dem Hause, du Lausbube! Schnell, pank deinen Krempel<lb/> zusammen und scher dich fort von hier! Sie schäumte vor Wut.</p><lb/> <p xml:id="ID_2349"> Vassilis wurde bleich wie Wachs. Alles um ihn her ging auf und nieder,<lb/> und er brachte keinen Laut heraus. 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Der lahme vassilis
öffnen. Aber es fehlte ihm die Kraft zu einem solchen Geständnis, und so oft er
sich dazu entschloß, wankten ihm die Knie, und er fing am ganzen Körper an zu
zittern. Er beschloß, ihr zu schreiben. Was er ihr mit dem Munde zu sagen
hatte, warum sollte er es ihr nicht auf einem schöne» Bogen Papier aufschreiben?
Er wollte ihn in ein Kuvert schließen, eine Zeit abpassen, wo sie allein wäre, ihr
dann den Brief überreichen und zu ihr sprechen:
Photo, lies das, es ist für dich! und er wollte sich dann vor Scham
verkriechen.
Doch wie sehr quälte er sich nicht ab, bis er diesen Brief zustande brachte!
Er schrieb und zerriß wieder. Keiner drückte das aus, was er im Herzen fühlte;
er sagte immer andres, als er sagen wollte; sowie er das Geschriebn? sah, wurde
er über sich selber ärgerlich und schlug sich an den Kopf, daß er nicht besser schreiben
und lesen lerne. Wenn er Lust zum Studieren hatte, so wollte er in diesem Falle
sein Inneres zeigen und konnte es nicht fertig bringen.
Er legte sich verzweifelt zum Schlafen nieder, aber auch auf dem Lager, mit
halboffnen Augen, setzte er den Brief auf. Manchmal schien er ihm zu gefallen.
Da springt er plötzlich auf, und halb nackt, wie er ist, setzt er sich an den Tisch.
Ein Lichtchen leuchtet ihm über dem Kopf. Er schreibt und schreibt; diesmal fliegt
die Feder nur so.
Frau Kostantina war noch nicht eingeschlafen. Da sie in der andern Stube
Licht sah, schöpfte sie Verdacht und stand auf, um zu sehen, was es gäbe. Auf
den Fußspitzen an die Tür tretend, legte sie das Auge ans Schlüsselloch. Sie sah
Vassilis schreiben und war erstaunt.
Was schreibt er nur um diese Stunde? sagte sie bei sich. Sie blieb stehn,
um zu sehen, was werdeu würde. Vassilis blieb lange Zeit gebückt am Tische
sitzen, dann nahm er den Brief in die Hand, las ihn Wort für Wort durch, las
ihn wieder ein-, zwei-, fünf-, zehnmal durch, faltete thu vorsichtig zusammen und
steckte ihn dann in ein Buch, sodaß er nicht zu sehen war.
Einen Brief hat er geschrieben, an wen wohl? Vassilis löschte vergnügt das
Licht aus und hüllte sich wieder in seine Decken. Die alte Kostantina hatte den
Sinn begriffen. Am Morgen verriet sie niemand etwas. Aber als Vassilis fort
war, ging sie in seine Kammer, stöberte umher, fand das Buch und nahm den
Brief heraus. Sie setzte dann ihre Brille auf und begann zu lesen. Der Brief
war an Photo, ihre Tochter, gerichtet. Sie las, was Vassilis an sie geschrieben,
und geriet außer sich vor Wut.
Sieh doch mal, sagte sie, ein verkrüppelter Mensch und schämt sich nicht; mag
er nur am Mittag kommen, ich will ihm den Kopf zurechtsetzen, wie ers ver¬
dient hat!
Am Mittag kam Vassilis freudig heim, daran denkend, wie er der Photo den
Brief übergeben sollte. Kaum aber hatte er den Fuß über die Schwelle gesetzt,
da ließ sich von innen die wütende Stimme der Frau Kostantina vernehmen:
Hinaus mit dir aus dem Hause, du Lausbube! Schnell, pank deinen Krempel
zusammen und scher dich fort von hier! Sie schäumte vor Wut.
Vassilis wurde bleich wie Wachs. Alles um ihn her ging auf und nieder,
und er brachte keinen Laut heraus. Er blickte umher, um Photo zu erspähen und
Mut zu fassen; die aber hatte sich in die Tiefe des Hauses verkrochen und ließ sich
vor Scham den ganzen Tag nirgends blicken.
Ich möchte wenigstens noch ein paar Tage bleiben, bis ich das Examen mache,
wagte er zu bemerke», mit einer Stimme, die wie aus der Unterwelt kam. Sie
aber hörte gar nicht, sie schäumte und tobte nur:
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