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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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tvas das fahrende Volk erzählte

Dann traten die Schrecken des Krieges, die man jahrelang die armen Ver¬
triebnen so redselig hatte schildern hören, in greifbarste Nähe. Im April 1626
brachte die Schlacht um der Roßlaner Elbbriicke viel versprengtes und maro¬
dierendes Kriegsvolk nach Coswig, Mansfeld selbst zog starke Kontributionen
an Wagen, Pferden und Lebensmitteln ein. Aber schlimmer noch wurde es,
als Wallenstein im nächsten Jahr selbst in Coswig lag, und seine zuchtlosen
Truppen die Bürgerschaft anssogen. Die Kirchenbücher, die von fremden Leiden
so beweglich erzählen, schweigen von den eignen; aber sie nehmen auch in den
folgenden Jahren die frühere, anschauliche Art der Berichterstattung nicht wieder
auf. Trockner, kürzer, seltner werden die Notizen, oft fehlte wohl wirklich die
Möglichkeit zu helfen, daneben stumpfte der zehnjährige Anblick fremden und
heimischen Unglücks allmählich ab.

Eintönig setzt sich der Zug der Abgebrannten, Ausgeplünderten, Ver¬
triebnen und Exnlanten durch die nächsten Jahre fort. Sie kommen noch immer
aus der Pfalz, aus Böhmen, der Mark, ans Österreich, Mähren, ans den
Stiftern Braunschweig, Magdeburg, aus Stendal und andern niedersächsischen
Städten. Seit 1631 stellte sich der schier endlose, wohl drei Jahre dauernde
Zug der unglücklichen Magdeburger ein, die die Vernichtung ihrer Vaterstadt
durch Tilly überlebt hatten. Männer, Weiber und ganze Familien, besonders
aber Weiber und Kinder zogen zu Hunderten, von allem Notwendigsten ent¬
blößt, die Straßen entlang und sprachen Städte und Kirchen um eine milde
Gabe an. Viele von ihnen, besonders kleine Kinder, fielen den Beschwerden
der Wanderung und des Exils zum Opfer, und mehrmals wurden solche
kleinen, am Wege gestorbnen Wandrer in Coswig auf Unkosten der Kirche
beerdigt. Überhaupt ist es auffallend, wie die zunehmende Entvölkerung Deutsch¬
lands all Männern die Landstraßen mit Weibern und Kindern erfüllte.

Mit dem Jahre 1635 brechen anch die Kirchenbücher ab, erst nach langer
Pause, wenn ich nicht irre in den achtziger Jahren, setzen sie ihre Berichte
fort. Die Stadtrechnungen sind dagegen, wenn auch sehr lückenhaft, seit dem
Jahre 1631, nach der barbarischen Verheerung Coswigs und der Elbgegenden
dnrch die Schweden, wieder erhalten, aber es ist verständlich, daß die gleich
dem ganzen Anhaltlande völlig ausgesogne Stadt für fremde Anne zunächst
nichts übrig hatte. Erst seit 1655 finden wir wieder ein zunächst recht be¬
scheidnes Register von Spenden an durchziehende Almosensammler, worunter
zuerst einige Posten zur Erbauung von Kirchen und Schulen zu Halle und
bei Magdeburg auffallen. Die Wiederherstellung der im langen Kriege zer¬
störten Gotteshäuser, Schulen und Rathäuser hielt noch viele Jahre eine Armee
von Sammlern auf den Beinen. Solche kamen zum Beispiel im Jahre 1656
aus Darmstadt, aus "Planckeuburg am hartze", aus dem Sächsischen und
Altenburgischen, aber sie wurden bald verdrängt durch die Opfer der neuen
Kriegsgreucl in der schwedisch-polnischen Fehde, unter denen auch Branden¬
burg alsbald zu leiden begann.


tvas das fahrende Volk erzählte

Dann traten die Schrecken des Krieges, die man jahrelang die armen Ver¬
triebnen so redselig hatte schildern hören, in greifbarste Nähe. Im April 1626
brachte die Schlacht um der Roßlaner Elbbriicke viel versprengtes und maro¬
dierendes Kriegsvolk nach Coswig, Mansfeld selbst zog starke Kontributionen
an Wagen, Pferden und Lebensmitteln ein. Aber schlimmer noch wurde es,
als Wallenstein im nächsten Jahr selbst in Coswig lag, und seine zuchtlosen
Truppen die Bürgerschaft anssogen. Die Kirchenbücher, die von fremden Leiden
so beweglich erzählen, schweigen von den eignen; aber sie nehmen auch in den
folgenden Jahren die frühere, anschauliche Art der Berichterstattung nicht wieder
auf. Trockner, kürzer, seltner werden die Notizen, oft fehlte wohl wirklich die
Möglichkeit zu helfen, daneben stumpfte der zehnjährige Anblick fremden und
heimischen Unglücks allmählich ab.

Eintönig setzt sich der Zug der Abgebrannten, Ausgeplünderten, Ver¬
triebnen und Exnlanten durch die nächsten Jahre fort. Sie kommen noch immer
aus der Pfalz, aus Böhmen, der Mark, ans Österreich, Mähren, ans den
Stiftern Braunschweig, Magdeburg, aus Stendal und andern niedersächsischen
Städten. Seit 1631 stellte sich der schier endlose, wohl drei Jahre dauernde
Zug der unglücklichen Magdeburger ein, die die Vernichtung ihrer Vaterstadt
durch Tilly überlebt hatten. Männer, Weiber und ganze Familien, besonders
aber Weiber und Kinder zogen zu Hunderten, von allem Notwendigsten ent¬
blößt, die Straßen entlang und sprachen Städte und Kirchen um eine milde
Gabe an. Viele von ihnen, besonders kleine Kinder, fielen den Beschwerden
der Wanderung und des Exils zum Opfer, und mehrmals wurden solche
kleinen, am Wege gestorbnen Wandrer in Coswig auf Unkosten der Kirche
beerdigt. Überhaupt ist es auffallend, wie die zunehmende Entvölkerung Deutsch¬
lands all Männern die Landstraßen mit Weibern und Kindern erfüllte.

Mit dem Jahre 1635 brechen anch die Kirchenbücher ab, erst nach langer
Pause, wenn ich nicht irre in den achtziger Jahren, setzen sie ihre Berichte
fort. Die Stadtrechnungen sind dagegen, wenn auch sehr lückenhaft, seit dem
Jahre 1631, nach der barbarischen Verheerung Coswigs und der Elbgegenden
dnrch die Schweden, wieder erhalten, aber es ist verständlich, daß die gleich
dem ganzen Anhaltlande völlig ausgesogne Stadt für fremde Anne zunächst
nichts übrig hatte. Erst seit 1655 finden wir wieder ein zunächst recht be¬
scheidnes Register von Spenden an durchziehende Almosensammler, worunter
zuerst einige Posten zur Erbauung von Kirchen und Schulen zu Halle und
bei Magdeburg auffallen. Die Wiederherstellung der im langen Kriege zer¬
störten Gotteshäuser, Schulen und Rathäuser hielt noch viele Jahre eine Armee
von Sammlern auf den Beinen. Solche kamen zum Beispiel im Jahre 1656
aus Darmstadt, aus „Planckeuburg am hartze", aus dem Sächsischen und
Altenburgischen, aber sie wurden bald verdrängt durch die Opfer der neuen
Kriegsgreucl in der schwedisch-polnischen Fehde, unter denen auch Branden¬
burg alsbald zu leiden begann.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/530>, abgerufen am 06.02.2025.