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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Die Zertrümmerung der Lauerngnter

werden durch die Neuerwerbung auch meist nicht vermehrt; die Arbeiter des alten
zerschlagnen Hofes finden bei dem Mangel an Leuten überall Arbeit, und der
Verkäufer zieht in die Stadt, wenn er von seinem Überschuß leben kaun,
andernfalls sucht er irgendwo unterzukommen. Doch das sind alles bekannte
Tatsachen, die schon oft erörtert worden sind, aber trotzdem immer wieder in
Erinnerung gebracht werden müssen. Bisher hat man noch kein Mittel ge¬
funden, der Güterausschlächterei Einhalt zu tun, und man wird sie voraus¬
sichtlich nie aus der Welt schaffen, da die Einzelfülle zu verschiede" liegen
und manchmal zu derartigen Maßnahmen zwingen.

Die andre Stelle, von der der Bauernschaft Gefahr droht, ist der Gro߬
grundbesitz. Dieser hat stets das Bedürfnis der Abrundung, mag er auch noch
so schön abgerundet sein. Da gibt es immer noch ein Stück Land, das an
das Rittergut angrenzt und sich ihm einfügt, oder eine Waldparzelle der
Bauern, die den Jagdbezirk stört, oder auch ein ganzes Bauerngehöft, das dem
Rittergutsbesitzer schon längst ein Dorn im Auge ist; kurz, wo etwas zu ver¬
kaufen ist, wagt kaun: jemand dem Gutsherrn entgegenzutreten. Er bedarf
auch keiner Vermittlung; der Bauer bekommt den Kaufpreis bar ausgezahlt,
und die Auflassung geht glatt vor sich. Mancher Bauernbcsitz ist schon in dein
Großgrundbesitz aufgegangen; die Rittergüter mit Besitzern des alten Adels
und die modernen Fabrikgüter, die für den Rübenbau eignes Land brauchen,
um möglichst billig und unabhängig zu wirtschaften, machen dabei keinen
Unterschied, und es gibt im Anhaltischen und in der Magdeburger Borde
Dörfer, in denen sich kaum noch einige wenige selbständige Bauern halten;
die übrigen Wirtschaften sind von den Zuckerfabriken angekauft worden, und
diese nehmen obendrein noch die besten Arbeitskräfte für sich in Anspruch, da
sie besser zahlen können. Das einzige, was die Bauern behalten, sind die
öffentlichen Lasten, namentlich die Schullasten, die die Grundbesitzer nicht gern
mit übernehmen.

Neben diesen beiden Arten der Zerschlagung von Bauerugüteru durch
freiwillige Vereinbarung kommt noch die weniger freiwillige Zwangsversteigerung
in Frage; bei ihr ist die Zersplitterung des Besitztums jedoch nicht die Regel.
Es kann zwar auch auf einzelne Grundstücke geboten werden, aber da die ge¬
setzliche Bestimmung des geringsten Gebots besteht und in der Regel alle Grund¬
stücke gleich hoch belastet sind, so ist es für den Bieter einzelner Parzellen
höchst unbequem, einen Teil der vorgehenden Schulden und sonstigen Lasten,
die ja unberührt bleiben, mitzuübernehmen. In den meisten Fällen bleiben
die versteigerten Grundstücke in einer Hand, oft in der des Antragstellers und
letzten Gläubigers, der darauf angewiesen ist, das geringste Gebot abzugeben,
um seine Forderung herauszubekommen.

Die Gründe, weshalb schon seit Jahrzehnten so viele Bauerngüter in allen
Landesteilen Deutschlands verkauft werden, sind ebenfalls schon oft geschildert
worden. Sie liegen in Familienverhältnissen und in den Zeitverhältnissen,


Die Zertrümmerung der Lauerngnter

werden durch die Neuerwerbung auch meist nicht vermehrt; die Arbeiter des alten
zerschlagnen Hofes finden bei dem Mangel an Leuten überall Arbeit, und der
Verkäufer zieht in die Stadt, wenn er von seinem Überschuß leben kaun,
andernfalls sucht er irgendwo unterzukommen. Doch das sind alles bekannte
Tatsachen, die schon oft erörtert worden sind, aber trotzdem immer wieder in
Erinnerung gebracht werden müssen. Bisher hat man noch kein Mittel ge¬
funden, der Güterausschlächterei Einhalt zu tun, und man wird sie voraus¬
sichtlich nie aus der Welt schaffen, da die Einzelfülle zu verschiede» liegen
und manchmal zu derartigen Maßnahmen zwingen.

Die andre Stelle, von der der Bauernschaft Gefahr droht, ist der Gro߬
grundbesitz. Dieser hat stets das Bedürfnis der Abrundung, mag er auch noch
so schön abgerundet sein. Da gibt es immer noch ein Stück Land, das an
das Rittergut angrenzt und sich ihm einfügt, oder eine Waldparzelle der
Bauern, die den Jagdbezirk stört, oder auch ein ganzes Bauerngehöft, das dem
Rittergutsbesitzer schon längst ein Dorn im Auge ist; kurz, wo etwas zu ver¬
kaufen ist, wagt kaun: jemand dem Gutsherrn entgegenzutreten. Er bedarf
auch keiner Vermittlung; der Bauer bekommt den Kaufpreis bar ausgezahlt,
und die Auflassung geht glatt vor sich. Mancher Bauernbcsitz ist schon in dein
Großgrundbesitz aufgegangen; die Rittergüter mit Besitzern des alten Adels
und die modernen Fabrikgüter, die für den Rübenbau eignes Land brauchen,
um möglichst billig und unabhängig zu wirtschaften, machen dabei keinen
Unterschied, und es gibt im Anhaltischen und in der Magdeburger Borde
Dörfer, in denen sich kaum noch einige wenige selbständige Bauern halten;
die übrigen Wirtschaften sind von den Zuckerfabriken angekauft worden, und
diese nehmen obendrein noch die besten Arbeitskräfte für sich in Anspruch, da
sie besser zahlen können. Das einzige, was die Bauern behalten, sind die
öffentlichen Lasten, namentlich die Schullasten, die die Grundbesitzer nicht gern
mit übernehmen.

Neben diesen beiden Arten der Zerschlagung von Bauerugüteru durch
freiwillige Vereinbarung kommt noch die weniger freiwillige Zwangsversteigerung
in Frage; bei ihr ist die Zersplitterung des Besitztums jedoch nicht die Regel.
Es kann zwar auch auf einzelne Grundstücke geboten werden, aber da die ge¬
setzliche Bestimmung des geringsten Gebots besteht und in der Regel alle Grund¬
stücke gleich hoch belastet sind, so ist es für den Bieter einzelner Parzellen
höchst unbequem, einen Teil der vorgehenden Schulden und sonstigen Lasten,
die ja unberührt bleiben, mitzuübernehmen. In den meisten Fällen bleiben
die versteigerten Grundstücke in einer Hand, oft in der des Antragstellers und
letzten Gläubigers, der darauf angewiesen ist, das geringste Gebot abzugeben,
um seine Forderung herauszubekommen.

Die Gründe, weshalb schon seit Jahrzehnten so viele Bauerngüter in allen
Landesteilen Deutschlands verkauft werden, sind ebenfalls schon oft geschildert
worden. Sie liegen in Familienverhältnissen und in den Zeitverhältnissen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/506>, abgerufen am 06.02.2025.