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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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^elbständtgkeitsbeivoguilg in Indien

Lande, die indischen Pensionäre lebten in England herrlich und in Freuden
von dem Schweiße der fast verhungernden Inder. Eine Rupie (1^ Mark)
auf den Kopf der Bevölkerung -- das erscheint dieser ein unerschwinglicher
^eichenen. Und dieser Segen geht aus dem Lande, das dient zur Verdopplung
der Anklagen. "Unter der Herrschaft unsrer eignen kleinen Gewalthaber be¬
halten und verzehren die Untertanen ihre Erzeugnisse, wenn sie auch manchmal
"meer Willkürlichkeiten zu leiden haben. Unter dem despotischen cmglo-britischen
'Regime lebt jedermann in Frieden, es gibt keine Gewalttätigkeit; aber man
Mdigt ihn auf leise, sanfte, spitzfindige Weise in seinem Eigentum: während
Mieder, Gesetz, Ordnung herrschen, stirbt er vor Hunger." So schreibt
^adabhai Naoriji, ein angesehener indischer Publizist. Wir brauchen hier
"ur daran zu erinnern, daß der Hunger auch, und viel schlimmer, wütete, als
le Engländer noch nicht Gesetz, Frieden und Ordnung zur Anerkennung ge¬
eicht hatten. Aber solche Betrachtungen unterdrückt natürlich der Agitator,
-vcalebari. der Herausgeber des Inciiau Lxeetator, erklärt, das indische Volk
>^ zu arm, als daß es auf die Dauer die Kosten der britischen Verwaltung
und der Kriege tragen könnte. Diese würden angeblich im Interesse Indiens
geführt, in Wahrheit in dem Englands. Das ist nun handgreiflich schief,
cum n)in^ England Indien nicht verteidigte, so bemächtigten sich andre der
"ehrlosen Beute. Rußland hätte schon längst zugegriffen, und Indien würde
^ ganz ohne Frage viel schlechter weggekommen sein.

Aber so etwas sieht der erregte Teil der indischen Bevölkerung in einem
^uz eignen Sinne an. Nur den Herrn wechseln -- das möchte man natürlich
^hr. Mg,, stellt nicht einmal offen das Verlangen nach Unabhängigkeit.
an verlangt "Indien für die Inder", aber in Formen, die die englische
Herrschaft nur dem Namen nach bestehen läßt. Man beschuldigt England,
leine Pflicht gegen das unterworfne Land, das ihm soviel einbringt, nicht zu
erfüllen. Man sieht nicht die Linderung der Hungersnot, sondern das, was
aran noch fortbesteht, und behauptet, daß England imstande sein müsse,'olchem Unglück vorzubeugen. Chcmdavarkar, ein Advokat in Bombay, hielt
"uf dem Kongreß in Lahore im Jahre 1902 eine flammende Anklagerede und
berief sich ^f die indobritische Statistik, nach der der Ackerbau des Landes
M in guten Jahren nur 17 Rupien (21^ Mary auf den Kopf der Ne¬
uerung liefere. Von diesem winzigen Ertrage könne die Bevölkerung gar
nchts für schlechte Jahre zurücklegen. Bei einem Mißwuchs bliebe ihr nichts
^'Ug, als zu hungern, zu verhungern. Man dulde nicht einmal ausreichende
Schutzzölle, durch die die indische Industrie sich entwickeln könne, denn man
volle den Fabrikanten von Manchester den Markt offen halten. Die Heeres¬
verwaltung verschlinge 360 Millionen Mark, die auf die Hebung der Landes-
vohlfahrt Hütten verwandt werden müssen. Aber für diese bleibe von dem
^esamtbudget von 1500 Millionen Mark nicht viel übrig. Die arbeitende
Bevölkerung laufe in Lumpen und hungere, während die englischen Beamten


^elbständtgkeitsbeivoguilg in Indien

Lande, die indischen Pensionäre lebten in England herrlich und in Freuden
von dem Schweiße der fast verhungernden Inder. Eine Rupie (1^ Mark)
auf den Kopf der Bevölkerung — das erscheint dieser ein unerschwinglicher
^eichenen. Und dieser Segen geht aus dem Lande, das dient zur Verdopplung
der Anklagen. „Unter der Herrschaft unsrer eignen kleinen Gewalthaber be¬
halten und verzehren die Untertanen ihre Erzeugnisse, wenn sie auch manchmal
"meer Willkürlichkeiten zu leiden haben. Unter dem despotischen cmglo-britischen
'Regime lebt jedermann in Frieden, es gibt keine Gewalttätigkeit; aber man
Mdigt ihn auf leise, sanfte, spitzfindige Weise in seinem Eigentum: während
Mieder, Gesetz, Ordnung herrschen, stirbt er vor Hunger." So schreibt
^adabhai Naoriji, ein angesehener indischer Publizist. Wir brauchen hier
"ur daran zu erinnern, daß der Hunger auch, und viel schlimmer, wütete, als
le Engländer noch nicht Gesetz, Frieden und Ordnung zur Anerkennung ge¬
eicht hatten. Aber solche Betrachtungen unterdrückt natürlich der Agitator,
-vcalebari. der Herausgeber des Inciiau Lxeetator, erklärt, das indische Volk
>^ zu arm, als daß es auf die Dauer die Kosten der britischen Verwaltung
und der Kriege tragen könnte. Diese würden angeblich im Interesse Indiens
geführt, in Wahrheit in dem Englands. Das ist nun handgreiflich schief,
cum n)in^ England Indien nicht verteidigte, so bemächtigten sich andre der
"ehrlosen Beute. Rußland hätte schon längst zugegriffen, und Indien würde
^ ganz ohne Frage viel schlechter weggekommen sein.

Aber so etwas sieht der erregte Teil der indischen Bevölkerung in einem
^uz eignen Sinne an. Nur den Herrn wechseln — das möchte man natürlich
^hr. Mg,, stellt nicht einmal offen das Verlangen nach Unabhängigkeit.
an verlangt „Indien für die Inder", aber in Formen, die die englische
Herrschaft nur dem Namen nach bestehen läßt. Man beschuldigt England,
leine Pflicht gegen das unterworfne Land, das ihm soviel einbringt, nicht zu
erfüllen. Man sieht nicht die Linderung der Hungersnot, sondern das, was
aran noch fortbesteht, und behauptet, daß England imstande sein müsse,'olchem Unglück vorzubeugen. Chcmdavarkar, ein Advokat in Bombay, hielt
"uf dem Kongreß in Lahore im Jahre 1902 eine flammende Anklagerede und
berief sich ^f die indobritische Statistik, nach der der Ackerbau des Landes
M in guten Jahren nur 17 Rupien (21^ Mary auf den Kopf der Ne¬
uerung liefere. Von diesem winzigen Ertrage könne die Bevölkerung gar
nchts für schlechte Jahre zurücklegen. Bei einem Mißwuchs bliebe ihr nichts
^'Ug, als zu hungern, zu verhungern. Man dulde nicht einmal ausreichende
Schutzzölle, durch die die indische Industrie sich entwickeln könne, denn man
volle den Fabrikanten von Manchester den Markt offen halten. Die Heeres¬
verwaltung verschlinge 360 Millionen Mark, die auf die Hebung der Landes-
vohlfahrt Hütten verwandt werden müssen. Aber für diese bleibe von dem
^esamtbudget von 1500 Millionen Mark nicht viel übrig. Die arbeitende
Bevölkerung laufe in Lumpen und hungere, während die englischen Beamten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/499>, abgerufen am 06.02.2025.