Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Der Semmelnnlchtanz Aber Liese hielt es fest. Das könnte dir passen, tanzen gehn! Dn bleibst Gib das Kleid her! schrie das Kind wieder grell auf, stampfte mit den Füßen Gib das Kleid her! Sie war völlig außer sich. Da kam ein Laut von nebenan --- die Mutter! Das Kind ließ die Hände sinken, und Liese lief hinaus. Martha aber fiel Nun war es zu spät, nun waren sie gewiß schon fort, nun war es zu spät! Da stand Liese wieder in der Tür. Du sollst kommen, sagte sie mürrisch, faßte Martha am Arm und zog sie nach Martha wagte nicht aufzusehen, denn sie fürchtete sich vor dem, was die Du kannst gehn, klang es aus den Kissen mit mühsamer Stimme, und ich Martha, die noch Tränen in den Augen hatte, tappte sich zum Bett heran. Da! Und plötzlich fühlte das Kind eine grobe, kalte und feuchte Hand in der ihren, Da verging all die dumpfe Bitterkeit, die sich im Herzen des Kindes ge¬ Sie wollte der Mutter danken, ihr etwas gutes sagen, da stöhnte die Frau Lief in die Kammer hinein, zog Kleid und Schuhe über und sprang die Treppe Als sie die ersten Dorfhäuser erreichte, kam ihr gerade der Zug entgegen- Als der Zug sich am Hange hinschlängelte und die Musikanten gerade einen Das Kind aber, dem sie an diesem Tage das Leben gab, ist ein gesunde, Der Semmelnnlchtanz Aber Liese hielt es fest. Das könnte dir passen, tanzen gehn! Dn bleibst Gib das Kleid her! schrie das Kind wieder grell auf, stampfte mit den Füßen Gib das Kleid her! Sie war völlig außer sich. Da kam ein Laut von nebenan -— die Mutter! Das Kind ließ die Hände sinken, und Liese lief hinaus. Martha aber fiel Nun war es zu spät, nun waren sie gewiß schon fort, nun war es zu spät! Da stand Liese wieder in der Tür. Du sollst kommen, sagte sie mürrisch, faßte Martha am Arm und zog sie nach Martha wagte nicht aufzusehen, denn sie fürchtete sich vor dem, was die Du kannst gehn, klang es aus den Kissen mit mühsamer Stimme, und ich Martha, die noch Tränen in den Augen hatte, tappte sich zum Bett heran. Da! Und plötzlich fühlte das Kind eine grobe, kalte und feuchte Hand in der ihren, Da verging all die dumpfe Bitterkeit, die sich im Herzen des Kindes ge¬ Sie wollte der Mutter danken, ihr etwas gutes sagen, da stöhnte die Frau Lief in die Kammer hinein, zog Kleid und Schuhe über und sprang die Treppe Als sie die ersten Dorfhäuser erreichte, kam ihr gerade der Zug entgegen- Als der Zug sich am Hange hinschlängelte und die Musikanten gerade einen Das Kind aber, dem sie an diesem Tage das Leben gab, ist ein gesunde, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0484" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302472"/> <fw type="header" place="top"> Der Semmelnnlchtanz</fw><lb/> <p xml:id="ID_2131"> Aber Liese hielt es fest. Das könnte dir passen, tanzen gehn! Dn bleibst<lb/> hier und hilfst. 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Der Semmelnnlchtanz
Aber Liese hielt es fest. Das könnte dir passen, tanzen gehn! Dn bleibst
hier und hilfst. Es gibt genug zu tun!
Gib das Kleid her! schrie das Kind wieder grell auf, stampfte mit den Füßen
und schlug uach Liesens Händen:
Gib das Kleid her! Sie war völlig außer sich.
Da kam ein Laut von nebenan -— die Mutter!
Das Kind ließ die Hände sinken, und Liese lief hinaus. Martha aber fiel
fast auf das Bett, und das Schluchzen stieß sie ordentlich hin und her.
Nun war es zu spät, nun waren sie gewiß schon fort, nun war es zu spät!
Da stand Liese wieder in der Tür.
Du sollst kommen, sagte sie mürrisch, faßte Martha am Arm und zog sie nach
sich. Dann machte sie die Tür zur Nebenkammer auf und schob das Kind hinein.
Martha wagte nicht aufzusehen, denn sie fürchtete sich vor dem, was die
Mutter litt.
Du kannst gehn, klang es aus den Kissen mit mühsamer Stimme, und ich
will dir auch uoch etwas geben. Komm mal her.
Martha, die noch Tränen in den Augen hatte, tappte sich zum Bett heran.
Da!
Und plötzlich fühlte das Kind eine grobe, kalte und feuchte Hand in der ihren,
und dann lag etwas kleines, eckiges darin, das waren Mutters Ohrringe.
Da verging all die dumpfe Bitterkeit, die sich im Herzen des Kindes ge¬
sammelt hatte, wie Nebel vor dem Sonnenlicht, und an ihrer Stelle wuchs eine
helle reine Kinderfreude empor.
Sie wollte der Mutter danken, ihr etwas gutes sagen, da stöhnte die Frau
plötzlich auf, und das Kind, von Grauen geschüttelt, wandte sich ab und lief
hinaus.
Lief in die Kammer hinein, zog Kleid und Schuhe über und sprang die Treppe
hinunter. Im Flur blieb sie stehn, die Ohrringe einzuhängen. Gerade saßen s^
fest, als aus der Ferne ein feiner Schall herüberkam, Herrgott, sie bliesen stho'^
Wie ging es da die Straße entlang!
Als sie die ersten Dorfhäuser erreichte, kam ihr gerade der Zug entgegen-
Schnell mischte sie sich unter die bunte Schar und zog durch die lachenden Wiese»
freudestrahlend ihrem Glück entgegen.
Als der Zug sich am Hange hinschlängelte und die Musikanten gerade einen
rechten Marsch spielten, trug der Wind die heitern Töne auch zu Frau Riemers
Kammerfenster. Mitten in ihren Schmerzen klangen sie ihr ins Ohr, und in ihre
matten Augen kam ein Heller Schein und in ihr müdes Herz ein wenig Mut.r
Das Kind aber, dem sie an diesem Tage das Leben gab, ist ein gesunde,
fröhlicher Bursche geworden und nachmals ihre Stütze und ihr Stolz.
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