Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Der Semmelmilchtan.i Wie du dich immer gleich hast! war die höhnische Antwort. Als die Mutter Martha saß unterdessen in der rußigen kleinen Küche neben den Herd geklemmt Da hörte sie die Mutter rufen, wischte die Augen mit dem Kittel trocken und Die Mutter stand wieder hinter dem Waschfaß, und der Schaum sprang. Sie Das Kind hob den Kopf: Und die Schuhe? Kriegst du auch! Marthas Augen strahlten auf, doch sagte sie nichts, mußte Und wie eine weiche Hand strich ihr die Freude über die Stirn und wischte Und des Kindes Blick siel auf die bunten Stücke an der Leine, die wie lauter Und in ihrem kleinen Herzen war eitel Freude. Dann fielen ihr die neuen Die andern haben alle Ohrringe! I wo nich gar! meinte Frau Riemer erstaunt. Dann verstand sie, wo das Und das Kind kam zu ihr heraugesprungen, haschte nach dem tropfenden Und endlich versenkte sie ihre dünnen Ärmchen in die felsige Lauge, angelte Und die klare Sonne sah die beiden ungleichen Wäscherinnen freundlich an und Und Pfingsten kam heran, sonnig und blütenreich, so wie es immer erwartet Schon der erste Feiertag war schön und heiter. Aber noch ging ein kühler Ein sanfter Silberschein zeigte sich am östlichen Himmel, und wie Flötentöne Der Semmelmilchtan.i Wie du dich immer gleich hast! war die höhnische Antwort. Als die Mutter Martha saß unterdessen in der rußigen kleinen Küche neben den Herd geklemmt Da hörte sie die Mutter rufen, wischte die Augen mit dem Kittel trocken und Die Mutter stand wieder hinter dem Waschfaß, und der Schaum sprang. Sie Das Kind hob den Kopf: Und die Schuhe? Kriegst du auch! Marthas Augen strahlten auf, doch sagte sie nichts, mußte Und wie eine weiche Hand strich ihr die Freude über die Stirn und wischte Und des Kindes Blick siel auf die bunten Stücke an der Leine, die wie lauter Und in ihrem kleinen Herzen war eitel Freude. Dann fielen ihr die neuen Die andern haben alle Ohrringe! I wo nich gar! meinte Frau Riemer erstaunt. Dann verstand sie, wo das Und das Kind kam zu ihr heraugesprungen, haschte nach dem tropfenden Und endlich versenkte sie ihre dünnen Ärmchen in die felsige Lauge, angelte Und die klare Sonne sah die beiden ungleichen Wäscherinnen freundlich an und Und Pfingsten kam heran, sonnig und blütenreich, so wie es immer erwartet Schon der erste Feiertag war schön und heiter. 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Die<lb/> Tränen liefen heftiger und zogen weiße Straßen auf dem staubigen Gesicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_2061"> Da hörte sie die Mutter rufen, wischte die Augen mit dem Kittel trocken und<lb/> erschien in der Hoftür.</p><lb/> <p xml:id="ID_2062"> Die Mutter stand wieder hinter dem Waschfaß, und der Schaum sprang. Sie<lb/> richtete ihre Augen freundlich auf das Kind und sagte: Martha, du kannst doch mit.</p><lb/> <p xml:id="ID_2063"> Das Kind hob den Kopf: Und die Schuhe?</p><lb/> <p xml:id="ID_2064"> Kriegst du auch! 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Gleich war der Übermut da, und plötzlich sagte sie zur Mutter hingewandt:</p><lb/> <p xml:id="ID_2068"> Die andern haben alle Ohrringe!</p><lb/> <p xml:id="ID_2069"> I wo nich gar! meinte Frau Riemer erstaunt. 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Der Semmelmilchtan.i
Wie du dich immer gleich hast! war die höhnische Antwort. Als die Mutter
nichts erwiderte, nahm Liese die Klammern auf und ging ins Haus.
Martha saß unterdessen in der rußigen kleinen Küche neben den Herd geklemmt
in großem Kummer. Ihr waren nun doch die Trauer gekommen, und sie rieb sich
mit der kleinen schmutzigen Faust die Augen. Diesmal sollte ein Karussell draußen
sein, das hatte Schusters Grete erzählt, und sie hatte sich so sehr darauf gefreut! Die
Tränen liefen heftiger und zogen weiße Straßen auf dem staubigen Gesicht.
Da hörte sie die Mutter rufen, wischte die Augen mit dem Kittel trocken und
erschien in der Hoftür.
Die Mutter stand wieder hinter dem Waschfaß, und der Schaum sprang. Sie
richtete ihre Augen freundlich auf das Kind und sagte: Martha, du kannst doch mit.
Das Kind hob den Kopf: Und die Schuhe?
Kriegst du auch! Marthas Augen strahlten auf, doch sagte sie nichts, mußte
sich nur vor lauter Überraschung fest an den Türpfosten lehnen.
Und wie eine weiche Hand strich ihr die Freude über die Stirn und wischte
den alten Zug aus dem schmalen Gesichtchen fort.
Und des Kindes Blick siel auf die bunten Stücke an der Leine, die wie lauter
fröhliche Festfahnen wehten, und plötzlich sah sie sich ganz deutlich im festlichen Zuge
wandern; die langen Tische in der Mühle tauchten vor ihr auf, die Milchbecher
und die braunen Rosinensemmeln...
Und in ihrem kleinen Herzen war eitel Freude. Dann fielen ihr die neuen
Schuhe ein, und wie ihr nun die Mutter gewiß auch das alte blaue Kleid wieder
hübsch machen würde. Und sie dachte: Kann die Mutter das, kann sie Wohl noch
mehr. Gleich war der Übermut da, und plötzlich sagte sie zur Mutter hingewandt:
Die andern haben alle Ohrringe!
I wo nich gar! meinte Frau Riemer erstaunt. Dann verstand sie, wo das
hinaus wollte, und lachte gutmütig auf.
Und das Kind kam zu ihr heraugesprungen, haschte nach dem tropfenden
Schaume und lachte mit.
Und endlich versenkte sie ihre dünnen Ärmchen in die felsige Lauge, angelte
sich einen blauen Zipfel heraus und fing an, ihn mit ihren kleinen Fäusten wacker
zu bearbeiten.
Und die klare Sonne sah die beiden ungleichen Wäscherinnen freundlich an und
übergoß sie mit ihrem reinsten Licht.
Und Pfingsten kam heran, sonnig und blütenreich, so wie es immer erwartet
wird und sich doch so selten zeigt.
Schon der erste Feiertag war schön und heiter. Aber noch ging ein kühler
Wind und trieb große, weiße Wolkenballen über den Himmel. Am Abend legte
er sich, und als die Nacht mit ihren Sternen kam, standen die Bäume alle regungs¬
los, und es war, als erwarteten sie in feierlichem Schweigen die Schönheit des
kommenden Tages.
Ein sanfter Silberschein zeigte sich am östlichen Himmel, und wie Flötentöne
einer Silberpfeife entlockt, erschallte vom höchsten Lindenwipfel ein erster Amselruf.
Mit jedem lichtern Strahle am Himmel ward eine hellere Vogelstimme wach. Die
Finken schmetterten im Buschwerk. Vom Felde her klang der schrille Zirpton der
Goldammern, und als die Sonne leuchtend hervortrat, war der ganze Vogelchor
beisammen und füllte das Tal mit festlichem Schall.
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