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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Der Semmelmilchtanz

Kaufen, nahm Liese drinnen das Wort auf, ja wohl, und sie lachte bitter, weil
wirs jetzt gerade übrig haben. Warum nich gleich ein weiszes Kleid! Kaufen! jetzt, wo
wir jeden Groschen zusammennehmen müssen für das Wurm!

Das Wurm... schwer legte sich das Wort ans des Kindes Herz. Bisher hatte sie
noch gehofft, die Mutter werde wohl einen Rat wissen. Nun gab sie es völlig auf.

Es kam ja wieder eins -- nud sie warf einen halb scheuen, halb finstern Blick
nach der Gestalt der Mutter -- wieder eins! und das Weinen saß ihr im Halse.

Aber sie weinte nicht. Nur ein sorgenvoller alter Zug kam in das schmale Gesicht,
jener frühreife Ausdruck, an dem man die Kinder armer Leute erkennt.

So was is nich für uns, ließ sich Liescs scharfe Stimme wieder hören, dazu
haben wir kein Geld. Für uns gibts nichts als Sorgen und Kinderkriegen!

Hör auf! rief Frau Riemer ärgerlich nach dem Fenster hinüber und warf ein
"nsgerungnes Stück Zeug mit heftigem Plauz in den Eimer am Boden. Dann
wandte sie sich an das Kind.

^^^Geh nur jetzt rein. Martha, und setze die Kartoffeln an, nud sieh mich mal
nach Kurden.

Langsam stand das Kind auf und ging ins Haus, und die weißen Blumen
fielen ihr vom Schoß nud lagen verstreut und welk auf dem heißen Sande.




Frau Riemer sah ihr nach. Dann arbeitete sie weiter. Endlich hatte sie alles
>S dem Wasser und fing an, die Stücke auf die Leine zu legen, die zwischen dem
ab r ^ ""^ ^" großen Haken in der Mauer ausgespannt war. Sie fühlte
°er bald, daß ihr das Recken zu schwer wurde, so rief sie Liese.

Was denn!

Ich kann nich damit fertig werden, du mußt raus kommen!

Liese antwortete nicht, erschien aber nach einer Weile in der Tür und griff mit zu.

Sie war größer als die Mutter, wo die sich recken mußte, reichte sie bequem
in>!"^ bewegten sich die bunten Stoffe im Winde. Die beiden redeten nicht
einander, als sie aber gerade in zwei entgegengesetzten Ecken waren, rief Frau
"'einer plötzlich über die Schulter nach Lichen hin.

Sie soll aber doch mit!

Was?

Die Martha soll mit!
'

Son Unsinn.

Nun drehte sich die Frau um und machte ein paar Schritte auf Liese zu, und
u^re hellen Augen sahen scharf nach der Tochter.

Rede, was du willst, ich sage, sie geht mit! Und als Liese schwieg, fügte sie
""e für sich hinzu: Du hast ja kein Herz für so was!

Da lachte Liese:

Und die Schuhe?

Ja, du lieber Gott, das wird mir schwer. Ich muß eben noch mal zu Möllern
^du, ob er mir'n Paar borgt.

Na, der wird dir schön kommen.

Grob is er, das weiß Gott, aber am Ende, er kennt mich und . . .

.. So'n Unsinn! fuhr Liese dazwischen, wenn nur der Vater hier war, der würde
°'rs weisen!

Ja, der und du! sagte Frau Riemer bitter, aber wenn ich mich gleich zu Tode
packen müßte, die Martha soll mir mit!


Der Semmelmilchtanz

Kaufen, nahm Liese drinnen das Wort auf, ja wohl, und sie lachte bitter, weil
wirs jetzt gerade übrig haben. Warum nich gleich ein weiszes Kleid! Kaufen! jetzt, wo
wir jeden Groschen zusammennehmen müssen für das Wurm!

Das Wurm... schwer legte sich das Wort ans des Kindes Herz. Bisher hatte sie
noch gehofft, die Mutter werde wohl einen Rat wissen. Nun gab sie es völlig auf.

Es kam ja wieder eins — nud sie warf einen halb scheuen, halb finstern Blick
nach der Gestalt der Mutter — wieder eins! und das Weinen saß ihr im Halse.

Aber sie weinte nicht. Nur ein sorgenvoller alter Zug kam in das schmale Gesicht,
jener frühreife Ausdruck, an dem man die Kinder armer Leute erkennt.

So was is nich für uns, ließ sich Liescs scharfe Stimme wieder hören, dazu
haben wir kein Geld. Für uns gibts nichts als Sorgen und Kinderkriegen!

Hör auf! rief Frau Riemer ärgerlich nach dem Fenster hinüber und warf ein
"nsgerungnes Stück Zeug mit heftigem Plauz in den Eimer am Boden. Dann
wandte sie sich an das Kind.

^^^Geh nur jetzt rein. Martha, und setze die Kartoffeln an, nud sieh mich mal
nach Kurden.

Langsam stand das Kind auf und ging ins Haus, und die weißen Blumen
fielen ihr vom Schoß nud lagen verstreut und welk auf dem heißen Sande.




Frau Riemer sah ihr nach. Dann arbeitete sie weiter. Endlich hatte sie alles
>S dem Wasser und fing an, die Stücke auf die Leine zu legen, die zwischen dem
ab r ^ ""^ ^" großen Haken in der Mauer ausgespannt war. Sie fühlte
°er bald, daß ihr das Recken zu schwer wurde, so rief sie Liese.

Was denn!

Ich kann nich damit fertig werden, du mußt raus kommen!

Liese antwortete nicht, erschien aber nach einer Weile in der Tür und griff mit zu.

Sie war größer als die Mutter, wo die sich recken mußte, reichte sie bequem
in>!"^ bewegten sich die bunten Stoffe im Winde. Die beiden redeten nicht
einander, als sie aber gerade in zwei entgegengesetzten Ecken waren, rief Frau
"'einer plötzlich über die Schulter nach Lichen hin.

Sie soll aber doch mit!

Was?

Die Martha soll mit!
'

Son Unsinn.

Nun drehte sich die Frau um und machte ein paar Schritte auf Liese zu, und
u^re hellen Augen sahen scharf nach der Tochter.

Rede, was du willst, ich sage, sie geht mit! Und als Liese schwieg, fügte sie
""e für sich hinzu: Du hast ja kein Herz für so was!

Da lachte Liese:

Und die Schuhe?

Ja, du lieber Gott, das wird mir schwer. Ich muß eben noch mal zu Möllern
^du, ob er mir'n Paar borgt.

Na, der wird dir schön kommen.

Grob is er, das weiß Gott, aber am Ende, er kennt mich und . . .

.. So'n Unsinn! fuhr Liese dazwischen, wenn nur der Vater hier war, der würde
°'rs weisen!

Ja, der und du! sagte Frau Riemer bitter, aber wenn ich mich gleich zu Tode
packen müßte, die Martha soll mir mit!


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[0479] Der Semmelmilchtanz Kaufen, nahm Liese drinnen das Wort auf, ja wohl, und sie lachte bitter, weil wirs jetzt gerade übrig haben. Warum nich gleich ein weiszes Kleid! Kaufen! jetzt, wo wir jeden Groschen zusammennehmen müssen für das Wurm! Das Wurm... schwer legte sich das Wort ans des Kindes Herz. Bisher hatte sie noch gehofft, die Mutter werde wohl einen Rat wissen. Nun gab sie es völlig auf. Es kam ja wieder eins — nud sie warf einen halb scheuen, halb finstern Blick nach der Gestalt der Mutter — wieder eins! und das Weinen saß ihr im Halse. Aber sie weinte nicht. Nur ein sorgenvoller alter Zug kam in das schmale Gesicht, jener frühreife Ausdruck, an dem man die Kinder armer Leute erkennt. So was is nich für uns, ließ sich Liescs scharfe Stimme wieder hören, dazu haben wir kein Geld. Für uns gibts nichts als Sorgen und Kinderkriegen! Hör auf! rief Frau Riemer ärgerlich nach dem Fenster hinüber und warf ein "nsgerungnes Stück Zeug mit heftigem Plauz in den Eimer am Boden. Dann wandte sie sich an das Kind. ^^^Geh nur jetzt rein. Martha, und setze die Kartoffeln an, nud sieh mich mal nach Kurden. Langsam stand das Kind auf und ging ins Haus, und die weißen Blumen fielen ihr vom Schoß nud lagen verstreut und welk auf dem heißen Sande. Frau Riemer sah ihr nach. Dann arbeitete sie weiter. Endlich hatte sie alles >S dem Wasser und fing an, die Stücke auf die Leine zu legen, die zwischen dem ab r ^ ""^ ^" großen Haken in der Mauer ausgespannt war. Sie fühlte °er bald, daß ihr das Recken zu schwer wurde, so rief sie Liese. Was denn! Ich kann nich damit fertig werden, du mußt raus kommen! Liese antwortete nicht, erschien aber nach einer Weile in der Tür und griff mit zu. Sie war größer als die Mutter, wo die sich recken mußte, reichte sie bequem in>!"^ bewegten sich die bunten Stoffe im Winde. Die beiden redeten nicht einander, als sie aber gerade in zwei entgegengesetzten Ecken waren, rief Frau "'einer plötzlich über die Schulter nach Lichen hin. Sie soll aber doch mit! Was? Die Martha soll mit! ' Son Unsinn. Nun drehte sich die Frau um und machte ein paar Schritte auf Liese zu, und u^re hellen Augen sahen scharf nach der Tochter. Rede, was du willst, ich sage, sie geht mit! Und als Liese schwieg, fügte sie ""e für sich hinzu: Du hast ja kein Herz für so was! Da lachte Liese: Und die Schuhe? Ja, du lieber Gott, das wird mir schwer. Ich muß eben noch mal zu Möllern ^du, ob er mir'n Paar borgt. Na, der wird dir schön kommen. Grob is er, das weiß Gott, aber am Ende, er kennt mich und . . . .. So'n Unsinn! fuhr Liese dazwischen, wenn nur der Vater hier war, der würde °'rs weisen! Ja, der und du! sagte Frau Riemer bitter, aber wenn ich mich gleich zu Tode packen müßte, die Martha soll mir mit!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/479>, abgerufen am 06.02.2025.