Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Ssamarkand Wir folgten durch einen Nebeneingang in den stillen, sonnenbeschienenen, vier¬ Dieses Intermezzo verhalf uns wahrscheinlich schneller in die frische Luft Ssamarkand Wir folgten durch einen Nebeneingang in den stillen, sonnenbeschienenen, vier¬ Dieses Intermezzo verhalf uns wahrscheinlich schneller in die frische Luft <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0474" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302462"/> <fw type="header" place="top"> Ssamarkand</fw><lb/> <p xml:id="ID_1976" prev="#ID_1975"> Wir folgten durch einen Nebeneingang in den stillen, sonnenbeschienenen, vier¬<lb/> eckigen Hof der schir - dor - Medrese, der mit den in Buchara besuchten Kara¬<lb/> wansereien und flüchtig überschauten Medresenhöfen große Ähnlichkeit hatte, nur<lb/> auf allen vier Seiten regelmäßig bebaut und für den Orient in tadellosem Zu¬<lb/> stande war. Der Student, ein melancholisch blickender schwarzer Tadshike, hauste<lb/> in seiner Zelle mit einem jüngern Freunde, einem robusten blonden Burschen,<lb/> zusammen. Wir wurden auf der Hühnerleiter in das obere Stock, den Wohn-,<lb/> sentier- und Schlafraum, hinaufgebeten und mit Tee und einem säuerlichen<lb/> Gebäck bewirtet. Die ganze Zelle samt der darunterliegenden Kochgelegenheit<lb/> war durchaus ordentlich; auch die Studiosen konnten sich in ihren weiß-rot ge¬<lb/> blümten Zitz-Chalaten wohl sehen lassen. Nur die von dem einen ausgeführte<lb/> Zuckerzerkleinerung war nicht gerade appetitreizend. Aber es wäre eine Be¬<lb/> leidigung gewesen, das Gebotne zurückzuweisen. Und so durchlebten wir unter<lb/> vielen „Chosch", Verbeugungen, gedrechselten Redensarten, immer von dem<lb/> schwärmerischen Aufschlag des seelenvollen Auges des Ältern stumm amüsiert,<lb/> eine köstliche halbe Stunde in der friedlichen Kühle des Studio, auf Kissen<lb/> und Decken gekauert und die an die Wand geklebten Bilder und Zettel, die<lb/> wenigen Bücher neugierig musternd. Die Gastfreunde machten die allerbeste<lb/> Miene zum bösen Spiel, als die auf dem Basar zurückgebliebnen Gefährten sich<lb/> ans wunderbare Weise heranfanden. Köstlich wurde die Szene, als den jungen<lb/> Leuten unsrerseits eine Zigarre geboten wurde. Mit Löwenmut rauchend wurden<lb/> sie bald weißer als die Zellenwand und rutschten ängstlich und verlegen nach<lb/> einer Stelle, wo sie das böse Gifttrank heimlich und ohne Schaden für die<lb/> Decken beseitigen konnten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1977" next="#ID_1978"> Dieses Intermezzo verhalf uns wahrscheinlich schneller in die frische Luft<lb/> des Daches der Medrese, als sonst schicklich ist. Es war herrlich da oben, eine<lb/> nicht sehr bequeme und nicht ganz ungefährliche Kletterpartie zwar auf enger,<lb/> hochstufiger Wendeltreppe und offnem Aufstieg auf den Pischtak, aber unendlich<lb/> lohnend. Ganz Ssamarkand hat man zu seinen Füßen. Das rege Treiben<lb/> auf den Basarstraßen und dem Registan, die Häuser und Höfe der Eingcbornen-<lb/> stadt, in deren Inneres man sonst keinen Einblick erhält, und deren gerade<lb/> Dächer dem Bilde keineswegs schaden, die Gärten und Alleen, die Berge, alles<lb/> wieder von glänzender Nachmittagssonne überstrahlt. Gegenüber lag die Negistan-<lb/> front der Ulug-beg-Medrese mit den schräg nach außen geneigten Minarets, von<lb/> denen man nicht weiß, ob sie diese ihre Haltung der Absicht des Bauherrn<lb/> oder Baumeisters oder einer Laune der Mutter Erde verdanken. Die drei<lb/> Medresen sind untereinander ganz verschieden. Die lange Frontmauer der<lb/> Tilla-Karl, die ganz wie aus blauem Porzellan geformt aussieht, hat rechts<lb/> und links des Pischtaks mit dem großen Eingangstor unter dem Kielbogen in<lb/> zwei Etagen eine Anzahl kleinerer Alkoven mit derselben Bogenform, alle be¬<lb/> grenzt von kokett gestalteten Säulenformen. Die Minarets zu beiden Seiten<lb/> der Front sind bis zum obern Rande mit buntfarbigen Verzierungen belegt und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0474]
Ssamarkand
Wir folgten durch einen Nebeneingang in den stillen, sonnenbeschienenen, vier¬
eckigen Hof der schir - dor - Medrese, der mit den in Buchara besuchten Kara¬
wansereien und flüchtig überschauten Medresenhöfen große Ähnlichkeit hatte, nur
auf allen vier Seiten regelmäßig bebaut und für den Orient in tadellosem Zu¬
stande war. Der Student, ein melancholisch blickender schwarzer Tadshike, hauste
in seiner Zelle mit einem jüngern Freunde, einem robusten blonden Burschen,
zusammen. Wir wurden auf der Hühnerleiter in das obere Stock, den Wohn-,
sentier- und Schlafraum, hinaufgebeten und mit Tee und einem säuerlichen
Gebäck bewirtet. Die ganze Zelle samt der darunterliegenden Kochgelegenheit
war durchaus ordentlich; auch die Studiosen konnten sich in ihren weiß-rot ge¬
blümten Zitz-Chalaten wohl sehen lassen. Nur die von dem einen ausgeführte
Zuckerzerkleinerung war nicht gerade appetitreizend. Aber es wäre eine Be¬
leidigung gewesen, das Gebotne zurückzuweisen. Und so durchlebten wir unter
vielen „Chosch", Verbeugungen, gedrechselten Redensarten, immer von dem
schwärmerischen Aufschlag des seelenvollen Auges des Ältern stumm amüsiert,
eine köstliche halbe Stunde in der friedlichen Kühle des Studio, auf Kissen
und Decken gekauert und die an die Wand geklebten Bilder und Zettel, die
wenigen Bücher neugierig musternd. Die Gastfreunde machten die allerbeste
Miene zum bösen Spiel, als die auf dem Basar zurückgebliebnen Gefährten sich
ans wunderbare Weise heranfanden. Köstlich wurde die Szene, als den jungen
Leuten unsrerseits eine Zigarre geboten wurde. Mit Löwenmut rauchend wurden
sie bald weißer als die Zellenwand und rutschten ängstlich und verlegen nach
einer Stelle, wo sie das böse Gifttrank heimlich und ohne Schaden für die
Decken beseitigen konnten.
Dieses Intermezzo verhalf uns wahrscheinlich schneller in die frische Luft
des Daches der Medrese, als sonst schicklich ist. Es war herrlich da oben, eine
nicht sehr bequeme und nicht ganz ungefährliche Kletterpartie zwar auf enger,
hochstufiger Wendeltreppe und offnem Aufstieg auf den Pischtak, aber unendlich
lohnend. Ganz Ssamarkand hat man zu seinen Füßen. Das rege Treiben
auf den Basarstraßen und dem Registan, die Häuser und Höfe der Eingcbornen-
stadt, in deren Inneres man sonst keinen Einblick erhält, und deren gerade
Dächer dem Bilde keineswegs schaden, die Gärten und Alleen, die Berge, alles
wieder von glänzender Nachmittagssonne überstrahlt. Gegenüber lag die Negistan-
front der Ulug-beg-Medrese mit den schräg nach außen geneigten Minarets, von
denen man nicht weiß, ob sie diese ihre Haltung der Absicht des Bauherrn
oder Baumeisters oder einer Laune der Mutter Erde verdanken. Die drei
Medresen sind untereinander ganz verschieden. Die lange Frontmauer der
Tilla-Karl, die ganz wie aus blauem Porzellan geformt aussieht, hat rechts
und links des Pischtaks mit dem großen Eingangstor unter dem Kielbogen in
zwei Etagen eine Anzahl kleinerer Alkoven mit derselben Bogenform, alle be¬
grenzt von kokett gestalteten Säulenformen. Die Minarets zu beiden Seiten
der Front sind bis zum obern Rande mit buntfarbigen Verzierungen belegt und
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